Kultur, Geschichte & Management

Von September 1895 bis Mai 1896 unternahm der mittlerweile legendäre jüdische Kulturwissenschaftler und Hamburger Bankierssohn Aby Warburg eine ausgedehnte USA-Reise.

Ausgestattet mit Empfehlungsschreiben wichtiger Persönlichkeiten und einem Freifahrtschein der Eisenbahn machte er sich von New York aus auf den Weg Richtung Südwesten in die Bundesstaaten Colorado, New Mexiko und Arizona, um die Kunst und Kultur der dort ansässigen Pueblo-Gemeinschaften zu erforschen.

 

Er fotografierte, machte sich Aufzeichnungen und erwarb eine Reihe von Kunst- und Kultgegenständen. Darunter waren Keramiken, Webarbeiten, Korbwaren und sogenannte Katsina-Figuren, die zur Ausstattung religiöser Zeremonien der verschiedenen Pueblo-Gemeinschaften gehören. Im Jahre 1902 übereignete er seine Sammlung dem damaligen Völkerkundemuseum Hamburg, dem heutigen Museum am Rothenbaum (MARKK). Das präsentiert jetzt die Sammlung zum ersten Mal unter dem Titel „Blitzsymbol & Schlangentanz“.

 

Die Ausstellung rekapituliert Warburgs Reise und problematisiert dabei den europäischen Blick auf die Kultur der indigenen Gemeinschaften. Deshalb werden manche Objekte der Sammlung nicht gezeigt, stattdessen durch ein weißes Stück Holz ersetzt und so als Leerstelle kenntlich gemacht. Sie sind geweihte Gegenstände, spielen innerhalb einer religiösen Zeremonie eine besondere Rolle und verkörpern Teil eines privaten bzw. geheimen Wissens. Dieses ist nur den Angehörigen von Geheimgesellschaften vorbehalten, um es zum Wohl des Dorfes und der Gemeinschaft anzuwenden. Die Rituale und religiösen Zeremonien sind eng verknüpft mit dem Jahreszyklus von Säen und Ernten. Der Südwesten der USA ist trocken und Wasser ist knapp. Es zu erbitten und die Natur günstig zu stimmen, sind die Ziele verschiedener Rituale. Jede Geheimgesellschaft hat dabei eine spezifische Aufgabe, die ein entsprechendes Wissen erfordert, in das nur sie eingeweiht ist. Gemeinsam setzen sie es zum Wohle aller ein. Das Wissen ist quasi dezentral innerhalb einer Pueblo-Gemeinschaft verteilt, damit es nur gemeinsam zur Wirkung kommt und kein Schaden entstehen kann, denn es macht mächtig.

 

Blitzsymbol Blick in die Ausstellung F Ruth Asseyer

Blick in die Ausstellung. Foto: Ruth Asseyer

 

Amerikanische und europäische Anthropologen, Missionare und Wissenschaftler haben seit dem 19. Jahrhundert versucht, die Pueblo-Kultur zu erforschen und sich dieses Wissen anzueignen. Sie glaubten, die Kolonisation würde diese Kultur zum Verschwinden bringen, und sie müssten sie „aufbewahren“, also musealisieren. Dieses Wissen aufzuschreiben und zu veröffentlichen, die Kult-Gegenstände zu sammeln und auszustellen, widerspricht jedoch den Regeln der Pueblo-Gemeinschaften. Sie erleben das bis heute als Verletzung ihrer Privatsphäre und als kulturelle Enteignung. Dass einige Angehörige von Geheimgesellschaften mit den Weißen kooperiert und Wissen weitergegeben haben, hat innerhalb der Gemeinschaften immer wieder zu Konflikten geführt.

 

Dazu brachte der Ausbau des Eisenbahnnetzes seit den 1880er Jahren immer mehr Touristen in den Südwesten der USA, darunter nicht zuletzt Aby Warburg. Die Landschaft und die für Europäer exotisch oder wild anmutenden Zeremonien wie z.B. der Schlangentanz der Hopi wurden von Eisenbahngesellschaften als attraktive Events beworben und auf Postkarten gezeigt. Zwar sind Zuschauer bei den religiösen Zeremonien grundsätzlich erwünscht. Denn für die Pueblo-Gemeinschaften bedeuten das Teilnehmen und Beobachten eine Form des Lernens. Allerdings wird dabei ein respektvolles Verhalten erwartet, Fotografieren und Abzeichnen widerspricht den Regeln. Daher begannen die Pueblo-Gemeinschaften ab 1915 schrittweise das Fotografieren der Zeremonien zu verbieten.

 

Vor diesem Hintergrund war es für das MARKK selbstverständlich, sich bei der Erarbeitung der Ausstellung von Experten der Hopi-, Cochiti- und San Ildefonso-Pueblo beraten zu lassen, um den Respekt zu erweisen, der in der Vergangenheit gefehlt hat.

Wer die Ausstellung besichtigt, bewegt sich also in diesem Spannungsfeld. Das spiegelt auch der Ausstellungsaufbau: an der Eingangswand informieren große Texttafel über die Biografie Aby Warburgs, seine Reiseroute und die Geschichte der Pueblo-Gemeinschaften. In der Raummitte konzentrieren sich die Vitrinen mit den Objekten, an den Wänden reihen sich als ein umlaufendes Band verschiedene Dokumente wie Reisefotos und Briefe. D.h. die historische Reiseerzählung eines Europäers rahmt die Kultgegenstände der indigenen Amerikaner. Zwischen diesen Perspektiven pendelt die Besichtigung.

 

Blitzsymbol Formen

Blick in die Ausstellung. Foto: Ruth Asseyer

 

Man sieht in den Vitrinen die formschönen, mit kunstvollen geometrischen Mustern dekorierten Keramiken, erfährt in kurzen Erläuterungen, dass z.B. die häufig auftretenden getreppten Formen abstrahierte Wolken darstellen, also den ersehnten Regen, und dass die Frauen beim Herstellen und Bemalen der Gefäße Gebete sprechen. Gezackte Linien symbolisieren den Blitz, häufig werden Schmetterlinge oder Libellen abgebildet. Fast alles steht im Zusammenhang von Regen und Fruchtbarkeit. Ähnliche farbige Muster findet man auf den Korbwaren. Flache Teller, Schalen oder sogar Trinkflaschen sind darunter, hergestellt in Weidenflecht- oder Spiralwulsttechnik. Sie dienen als Geschenke und stellen eine Art soziale Währung dar. Dazu kommen einige wenige Webarbeiten wie Schärpen und Fußgelenkbänder.

 

Blitzsymbol Webarbeiten

Zweiteilige broschierte T anzschärpe (mötsapngönkwewa) Künstler unbekannt, Hopi, Arizona, Baumwolle und Wolle, um 1890-1895. Erworben von Aby Warburg bei Henry R. Voth. MARKK, Inv.-Nr. B 6134. © MARKK

 

Dass das alles ausgestellt werden darf und sogar einige heilige Katsina-Figuren wie z.B. die Sa´lakwmana, die als Mais-Bringerin verehrt wird, liegt letztlich am Tourismus. Denn schon bald haben die Pueblo-Gemeinschaften begonnen, Korbwaren, Keramiken und Tanz-Utensilien extra für Reisende herzustellen. Auf einem Schwarzweiß-Porträt ist die berühmte Pueblo-Künstlerin Nampeyo zu sehen, würdevoll und gelassen steht sie da. Anfang des 20.Jahrhunderts hat sie mit ihrer Keramik die traditionellen Stilelemente der Hopi weiterentwickelt, damit sogar eine Familien-Dynastie von Töpfern begründet. Auch Aby Warburg hat solche Touristen-Objekte gekauft. Die sind nie mit irgendwelchen Zeremonien in Berührung gewesen und dürfen daher gezeigt werden.

 

Blitzsymbol Nampeyo

Arnold Genthe: Portrait der Meistertöpferin Nampeyo, ca. 1926, Fotografie. Washington DC, National Portrait Gallery, NPG.98.51

 

Aby Warburg reiste in den Südwesten der USA, weil er die Zivilisation im östlichen Amerika als „leer“ empfand und er die Pueblo- Kunst kennenlernen wollte, die er sich vermutlich als „ursprünglicher“ vorstellte. Er hoffte, ihre symbolische und kosmologische Dimension erfassen und deuten zu können. Er hatte beste Kontakte zu Persönlichkeiten aus Politik und Wissenschaft, die ihn unterstützten und an Kenner vor Ort vermittelten. Beispielsweise traf er in einem entlegenen Hopi-Dorf den deutschsprachigen Mennoniten-Missionar Henry R. Voth, der Hopi sprach und tief in diese Kultur eingedrungen war, was innerhalb der indigenen Gemeinschaft zu Konflikten führte.

 

Blitzsymbol Warburg Walpi WIA

Aby Warburg: Ansicht des Hopi-Dorfes Wàlpi, Arizona, April 1896, Fotografie. London, Warburg Institute Archive

 

Doch von diesen internen Spannungen hat Aby Warburg kaum etwas mitbekommen. Ihn interessierte vielmehr, die Pueblo- Formensprache zu verstehen und herauszufinden, welche Spuren die europäische Kolonisierung darin hinterlassen hat. So las er beispielsweise in einer christlichen Schule indigenen Schülern eine Geschichte vor, in der ein Gewitter vorkam. Hinterher ließ er die Schüler Bilder zu der Geschichte zeichnen, um zu testen, wie häufig sie ihre traditionellen Blitz- und Wolkensymbole verwenden würden. Seine Schwarzweißaufnahme von zwei Schülern in ihrer europäischen Bekleidung erinnert an diesen Schulbesuch.

 

In den Kunst- und Kulturwissenschaften hat Aby Warburgs USA-Reise vor allem durch seinen berühmten Vortrag über den Schlangentanz der Hopi Eingang gefunden. Er hielt ihn allerdings erst 1923 im Sanatorium Kreuzlingen, um den Ärzten seine geistige Gesundung zu beweisen. Der Vortrag basierte auf seinen Aufzeichnungen aus den Jahren 1895/96, doch hatte er damals diese Zeremonie nie selbst gesehen. In der Ausstellung sind ein paar Seiten des originalen Schreibmaschinen-Manuskripts der Einleitung zu seinem Vortrag zu sehen, auf dem Warburg bereits viele handschriftliche Korrekturen angebracht hat. Den Vortrag selbst hielt er dann frei, ohne sich genau an das Manuskript zu halten. In dem ausgestellten kurzen Ausschnitt der Einleitung kann man Begriffe wie „primitive Kunst“ lesen und darin einen evolutionstheoretischen Ansatz erkennen, der das moderne abstrakte europäische Denken dem sogenannten „primitiven“ magischen Denken als überlegen gegenüberstellt. Doch das wird letztlich Warburgs wissenschaftlichen Gesamtbeitrag nicht gerecht, der aber auch nicht Thema der Ausstellung ist.

 

Die Pueblo-Gemeinschaften haben seit der spanischen Invasion 1540 Mord, Unterwerfung, Landraub und Missionierung erduldet, dazu das Abdrängen in Reservate und andere Zwangsmaßnahmen der US-Regierung wie z.B. eine christliche Erziehung ihrer Kinder. In langen politischen Kämpfen haben sie schließlich 1978 ihr Recht auf freie Religionsausübung durchgesetzt und so ihre Kultur einigermaßen bewahren können. Pueblo-Künstler der Gegenwart arbeiten mit den überlieferten Symbolen auch in modernen Medien wie Film und Foto. In der Ausstellung ist z.B. eine Serie des Künstlers Tuwaponya zu sehen, der in seinen Bildern das zerstörte Gleichgewicht zwischen Mensch und Erde thematisiert.

 

Blitzsymbol modern

Links: Charles Fredric Lovato: „Of Beauty and Woman“ , Kewa Pueblo, New Mexico, vor 1985, Lithographie auf Papier. MARKK, Inv.-Nr. 85.122:2. Rechts: Roxanne Swentzell: „The Presenter“, Santa Clara Pueblo, New Mexico, 2000, Bemalter Ton. MARKK, Inv.-Nr. 2022.2:1. © MARKK. Fotos: Paul Schimweg

 

Die Ausstellung erzählt zwei spannende parallele Geschichten: über die Reise des Großbürgers und Kunsthistorikers Aby Warburg, der sich von der Begegnung mit der Pueblo-Kunst inspirieren ließ. Und über die Anstrengungen der Pueblo-Gemeinschaften, ihre für uns rätselhafte Kultur innerhalb einer kolonialen Situation zu verteidigen und zu halten. Beide Erzählstränge sind faszinierend. Die Ausstellung macht neugierig, mehr zu erfahren. Dazu empfiehlt es sich, den Katalog zu lesen.


Blitzsymbol & Schlangentanz. Aby Warburg und die Pueblo-Kunst

Die Ausstellung ist zu sehen bis 8. Januar 2023

im MARKK (Museum am Rothenbaum Kulturen und Künste der Welt), Rothenbaumchaussee, Hamburg

Weitere Informationen

 

Es ist ein Katalog erschienen: Blitzsymbol & Schlangentanz, herausgegeben von: Christine Chávez, Uwe Fleckner, 396 Seiten, erhältlich auf Deutsch und Englisch.

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