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Claus Friede: Um 18 Uhr ist noch helllichter Tag, keine Spur von Nacht, quirliges Treiben in der Stadt, die Mönckebergstraße scheint von einem 10-jährigen Jubiläum der „Langen Nacht der Museen“ nichts zu wissen.

Die 10. Lange Nacht der Museen in HamburgWo ich anfange, hatte ich mir im goldenen Büchlein mit 287 Seiten bereits Stunden vorher herausgesucht. Übrigens verliert das Buch nach kurzer Zeit seinen Wert: Die goldene Farbe klebt an meinen Händen und der abnehmende Mond auf dem Cover wird schlagartig zum Neumond.

Ich marschiere durch die Abendsonne zum Museum für Kunst und Gewerbe – wie licht und angenehm der neue Eingangsbereich ist – und freue mich auf das „Projekt Paradies!“. Dahin sehne ich mich schon seit geraumer Zeit. Mir wird allerdings schnell klar, dass ich dem Wort „Projekt“ zu wenig Bedeutung zugestanden habe und mich nur auf „Paradies“ konzentriert habe.
Das Paradies kann warten, ich schaue mir erst einmal die Neuerwerbungen an. Louis Armstrong trällert und trompetet vom Band wie in einer Hotellobby und begleitet mich in dem Raum vorbei an sieben historischen, chinesischen Stühlen aus dem Projekt Fairytale 2007 des documenta-Künstlers Ai Wei Wei, an ausgesprochen sehenswerten Modestücken von Alexander McQueen, Joop!, Issey Miyake, Comme des Garcon und anderen. Vor einem langgezogenen Plakat der Berliner Illustrierten, das den letzten Kriegsgefangenen des Ersten Weltkriegs thematisiert bleibe ich eine Weile stehen. Sieht aus wie ein Filmstill aus „Papillon“.
Wenn ich schon hier bin, kann ich mir auch gleich „Body & Soul – Menschenbilder aus vier Jahrtausenden“ anschauen. Und die China- und Japanabteilung. So langsam wird es voll in dem labyrinthischen Gebäude und der Luftaustausch bei den „Antiquitäten“ schadet den Artefakten und mir. Ich gehe dem Klang der Musik nach und durchquere „Johann Adam Reinckens musikalischen Lustgarten“. Das Ensemble aus Barockviolinen, Viola da Gamba und Cembalo spielt wunderbar, der Klang berauscht, der Raum ist aber viel zu klein. Das Paradies ist eng!
Karsten Glinski (Saxophon) und Andreas Paulsen (Piano) haben es besser, ihr Raum ist großzügig und hell und ihr Rhythm’n’Blues einfühlsam, melodisch und schön.
Überhaupt ist Musik allgegenwärtig, begleitet mich in jedem Museum, an jedem Ort.
Auf zur zweiten Station – ich will in die Speicherstadt. Aber wie? Wegen einer Großdemo am Ballindamm und Jungfernstieg ist gerade die Innenstadt abgeriegelt. Für alle Busse – auch für meinen. Der muss einen riesigen Umweg fahren und kommt doch nicht an sein Ziel. Die Busfahrerin lässt sich dazu hinreißen, leicht ärgerlich zu sagen: „Ich hasse Studenten!“ hält dann irgendwo weit ab vom eigentlichen Ziel an und sagt: „Wer aussteigen will kann das jetzt tun“. Und die, die nicht wollen?
Aber ich bin zu schnell aus dem Bus draußen, um mich noch weiter mit der Materie zu beschäftigen. Jetzt quer rüber zum Rathausmarkt und... mitten in die Demo. Ach so sehen also Studenten aus! Die tragen Banner gegen Abschiebung und brüllen im Gleichklang. Polizeigruppen in Grün oder Schwarz mit Punkten, Strichen oder gar nichts auf dem Rücken stehen entlang des Jungfernstiegs, laufen parallel zu den Demonstranten oder sitzen in den Mannschaftswagen. Irgendwie wirkt das alles martialisch und ich weiß erneut, warum ich derlei Ansammlungen nicht mag. Ich stelle mir vor, das sei eine Aktion der „Langen Nacht der Museen“ unter dem Titel „Performance im öffentlichen Raum“. Wirkt jedenfalls super realistisch.

Am Rathausmarkt kommt dann eine Mitfahrgelegenheit in die Speicherstadt. Ich steige am Afghanischen Museum aus, es ist mittlerweile dunkel. (Eigentlich hätten wir uns jetzt treffen müssen, Dagmar.)
Ich bin eben nicht hungrig und lasse das Putenfleisch auf dem Grill. Dafür bin ich rechtzeitig auf dem 1. Boden, um den Orientalischen Tanz zu sehen und die Duftimpressionen des Landes am Hindukusch zu genießen. Im Halbdunkel eines nach gebauten „Tschaikhana“ (Teehauses) werden Hände und Unterarme mit Henna verziert.
Besonders genossen aber habe ich die Einladung Herrn Mohamads (das ist der Eigentümer des Afghanischen Museums), in seinem Büro mit ihm zu sprechen. Er teilt mir mit, dass die Museumsschließung möglicherweise abgewendet sei. Bis August bleiben sie noch am jetzigen Ort, danach erhält man vielleicht neue Räume in der Nähe, und mit einer Unterstützung ist zu rechnen. Wer Herrn Mohamad und sein Team kennt, der weiß, wie viel Herzblut, Arbeit und Fachwissen in dem kleinen Museum stecken. Als ich runtergehen und das Speicherhaus verlassen will, ist kaum noch ein Durchkommen, die Leute stehen bis auf die Straße.

Um die Ecke im Kesselhaus ist die „Morgenland Slam-Vorrunde“. Ich bleibe nicht lange, denn das Morgenland kommt nach der Nacht und mir jetzt zu schnell, außerdem slamt mich die Vorrunde nicht vom Hocker.

Da kommt der Bus. Der Fahrer hat etwas die Orientierung verloren und fragt sympathisch grinsend welche Museen hier nun seien: Ich bekomme sein Mirkophon und mache die Durchsage: „Kesselhaus, Afghanisches Museum und Wunderland – alles aussteigen“. Der Bus leert sich nicht. Weiter geht es am Hafen entlang in Richtung St. Pauli. Ein weiteres Spektakel bahnt sich an – außerprogrammmäßig. Die „AIDA blu“ hat eben abgelegt und zieht mit einer unglaublichen Geschwindigkeit die Elbe hinunter. „Ach, können Sie nicht anhalten – bitte“ rufen einige Fahrgäste und der Bus hält. Alle raus, Treppe hoch zur Überseebrücke, Kreuzfahrtschiff fotografieren, alle runter und wieder rein in den Bus. Es sieht aus wie eine Persiflage eines Jacques Tati-Films.
Zum Hafenmuseum muss man in Barkassen übersetzen, aber das lohnt sich. Die Sonderausstellung zeigt „Dienstleistungen für Schifffahrt und Hafenbetrieb“ und im Filmcontainer laufen Präsentationen über den Hamburger Hafen. Schön, auch einmal hier gewesen zu sein.

Ich fahre zurück zum Rathausmarkt – lange Schlangen vor dem Bucerius Kunstforum – die erspare ich mir, biege kurzerhand links ab und stehe im Rathaus. Das ist zwar nicht wirklich museal, aber wie schon im vergangenen Jahr steht ihm die Kultur ausgesprochen gut.
Die Rathausdiele ist ein riesiger Klangkörper, die Swingwerkstatt zeigt wie gut man zum Gypsy Swing tanzen kann – und wie anstrengend das ist. Wolkly Rosenberg, die Brüder Weiss und Kohe Reinhardt geben ihr Bestes an Gitarren, Bass und Klarinette. „Swingin’ Hallroom“ lautet das Motto. Die Leiterin der Senatskanzlei berichtet, dass die Musiker aus Politik und Verwaltung auf der Bühne richtig gut waren und groovten. Im Festsaal spielt das international besetzte „Trio Macchiato“, während Dj Singin’ Swannee in der Rathausdiele alte Kostbarkeiten des Swings auflegte.
Die Gypsies können es nicht lassen und spielen backstage immer weiter und weiter.
Auch wenn es der musikalischen Vielfalt des ELBJAZZ-Festivals im Mai nicht gerecht wird, das Programm im Rathaus ist gut zusammengestellt.

Wie schön und locker die Atmosphäre bei der Langen Nacht der Museen ist, zeigt sich allen Orten, die ich besuche. Das zeichnet sie aus. Egal, ob Besucher, Busfahrer oder Museumspersonal, die Stimmung ist einmalig.

Eigentlich hatte ich vor gehabt, nach Bergedorf zu fahren. Aber was Dagmars Beatlemainia ist, ist mein Deutsches Maler- und Lackierermuseum. Nächstes Jahr!

Copyright Fotos: Lange Nacht der Museen

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