Kultur, Geschichte & Management

Im Rahmen eines Seminars an der Lettischen Kulturakademie in Riga erhielten vier Studenten die Aufgabe, etwa 20 obligatorische Schlüsselbegriffe zum Thema „Kulturmanagement” in ein zweiseitiges Essay zu integrieren. Innerhalb einer kurzen Frist sind ganz unterschiedliche Texte entstanden.

 

Einige der kreativen Ergebnisse, werden bei KulturPort.De veröffentlicht und sollen Anregung zum Weiterdenken geben.

 

Pizza Napoli

 

Setze dich.

 

Er setzt sich. Die Tür geht zu. Der Blick ist starr. Der Stuhl steht fest. Grau. Die Positionierung im Raum eindeutig. Er hinter dem Schreibtisch. Sie vor dem Fenster. Stehend.

 

Erinnerst du dich an mein Ziel? An meine Motivation? Die Entscheidung steht fest.

 

Sie zeigt auf die Tür. Die Tür steht offen. Er geht zum Schreibtisch. Weiß. Eine Pflanze, ein iMac, ein paar lose Papiere (bedruckt) und ein Locher. Er packt den Locher ein. Er geht aus dem Büro.

 

Keine Nachfragen erlaubt.

 

Es ist Mittwochmittag, 11:15 Uhr. Der Wecker klingelt seit einigen Wochen nicht mehr wie früher um 6:30 Uhr. Der Wecker klingelt jetzt gar nicht mehr. Stattdessen steht er auf, wenn die Sonne langsam den Punkt erreicht hat, dass sein komplettes Bett in Sonne gebadet ist. Während er so im Bett liegt und sich noch einmal herumwälzt, erinnert er sich an seinen alten Alltag. Jeder Tag war geplant. Ohne Planung, keine Innovation hatte er immer gesagt. Er dachte dabei nicht an sein eigenes Leben, nicht an die kleinen Innovationsschritte, sondern an das große Ganze. Der Kampf um das Programm der Innovation sollte nur mit guter Vorbereitung und gutem Controlling, ein Wort, das er heute nicht mehr nutzen möchte, einhergehen. Ohne Kreativität, keine Innovation.

 

Er hatte auch mal eine Freundin. Das war schon einige Jahre her. Er sah sie das erste Mal bei ihrem Bewerbungsgespräch im. Er arbeitete bereits auf höherer Managementebene. Seine Professionalität hatte nicht zugelassen, dass er sie ansprach.

 

Sie: 23, Master in Public Relation, lange schwarze Haare, Name: Camile, Lieblingspflanze: Pilea.

 

Erst als das Leadership sich noch während ihrer Probezeit gegen Cemile entschied, konnte er sie nach einer Verabredung fragen. An ihrem ersten gemeinsamen Abend gingen sie in eine kleine Pizzeria in Prenzlauer Berg. Der Laden war halb leer und dekoriert mit rot-weiß-karierten Tischdecken, riesigen Essig- und Öl- Spendern und Bildern von Stränden und verlassenen Booten. Das Licht war leicht gedimmt und auf jedem Tisch standen drei Stabkerzen. Beide bestellten Negroni und teilten sich eine Pizza Napoli. Er war begeistert von ihrer absoluten Eleganz, die sie besaß. Während er versuchte mit Messer und Gabel die Pizza zu teilen, griff sie zu und riss sich ein Stück ab. Ihrer Eleganz tat das keinen Abbruch.
Sie diskutierten den ganzen Abend über Kulturpolitik und Kulturmanagement nach Peter Bendixen, über die Herausforderung mit dem Fahrrad die Hermannstraße zu meistern, über die Vormachtstellung staatlicher Institutionen durch institutionelle Förderung im kulturellen Alltag,
über ihre Väter, die beide selten zu Hause waren,
über die Bedingungen einer erfolgreichen Kommunikation,
über die Musik von Glenn Miller,
über die Möglichkeit gemeinsam Neues zu schaffen und den Kampf der individuellen Profilierung aufzugeben.

 

Co-Creation! Dieser ganze Bullshit, den ihr da im Büro macht, bringt einen eh nicht weiter. Ein Kompetenzgerangel, dass auch dich noch vor die Tür setzen wird! Selbst wenn sie wütend wurde, hatte sie dabei ein besonderes Lächeln, sodass er ihr nichts übelnehmen konnte. Auch die nächsten fünf Jahre nicht.

 

Er goss sich den Espresso aus der Bialetti, einen der Überreste von der Beziehung mit Camile, auf die kalte Milch in seiner Tasse. Mit der Tasse auf dem Balkon stehend starrte er auf die stark befahrene Hermannstraße. Lieferwagen blockierten eine Fahrbahn. Ein Fahrradfahrer schlängelte sich durch den Verkehr. Er atmete tief ein und schloss seine Augen.

 

Mein Führungsstil ist ein anderer! Ich will auch delegieren können! Mit den Zielen motivieren!
Er sah sie nur an.
Dein Grad der Professionalität scheint mir dafür passend!

 

Er schaut sie begeistert an.

 

Ich setze für dich das Ziel, dass du unsere Fundraising-Ausgaben minimierst, ohne, dass unser Image darunter leidet.

 

Er nickte zur Bestätigung.

 

Wir sprechen in sechs Monaten noch einmal.

 

Er steht auf. Er geht zu seinem Schreibtisch (weiß) und schaltet den iMac an. Er goss die Pflanze. Neu. Von seiner Freundin, Camile.

 

Er lächelte, als er die Augen wieder öffnete. Er ging zurück in das Schlafzimmer. Er legte sich noch einmal ins Bett, las die Zeitung und trank den Kaffee aus. Er klappte den Laptop auf und bestellte sich eine Pizza Napoli nach Hause.


Lettische Kulturakademie Riga

FB: Soziologie, Internationales Medien- und Kulturmanagement

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