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„Revolution! Revolution?“

Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit. Selbstverständlich in unserer Gesellschaft. Wirklich? Nein. Es gibt heute wieder Sorge um unsere Demokratie.
Umso wichtiger ist die großangelegte Ausstellung „Revolution! Revolution? Hamburg 1918/19“, mit der das Museum für Hamburgische Geschichte in zwölf Kapiteln die Ereignisse und Errungenschaften der politischen Umbrüche vor 100 Jahren anschaulich nachzeichnet.

„Hier wurde infolge der Revolution in Hamburg am Mittwoch, den 6. Nov. 1918 während des Gebets der Elisabeth die Vorstellung abgebrochen u. das Publikum zum Verlassen des Theaters aufgefordert“, vermerkte ein Geiger mit Bleistift säuberlich am unteren Rand der Seite 53 seiner Notenschrift für Viola. Erstaunlich, dass der Musiker noch die Zeit und vor allem die Geistesgegenwärtigkeit dazu besaß, denn genau in diesem Moment stürmten bewaffnete Arbeiter und Soldaten während der „Tannhäuser“-Aufführung das Stadttheater an der Dammtorstraße und forderten die Zuschauer auf, sich umgehend in Sicherheit zu bringen: Auf den Straßen würde geschossen.

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Lebendiger und unmittelbarer als mit diesem Notenblatt, von dem übrigens heute noch in der Oper gespielt wird, kann man sich die Parallelität der Ereignisse in Hamburg vor 100 Jahren wohl kaum vorstellen. Während es in der Stadt vor bewaffneten Matrosen und Soldaten nur so wimmelte, auf Dächern und Kriegsschiffen im Hafen rote Fahnen wehten; während Vertreter des erst am Morgen gebildeten provisorischen Arbeiter- und Soldatenrats im Hamburger Rathaus ihre Forderungen nach Anerkennung des Soldatenrats, Kontrolle der Lebensmittelversorgung und Absetzung des Generalkommandanten Adalbert von Falk durchsetzten, während also die Revolution in Hamburg in vollem Gange war… genoss die hanseatische Hautevolee Wagners Sängerkrieg auf der Wartburg.
Dieses Beispiel zeigt, wie Menschen sich einrichten in unruhigen Zeiten, sich gewöhnen an Aufmärsche und hitzige Diskussionen. Wir sollten unsere Lehren daraus ziehen. Der Revolution von 1918, die zur ersten Deutschen Demokratie führte, der Weimarer Republik, war eine allgemeine Misere vorausgegangen. Die Menschen hungerten, lebten im Elend und waren entsetzt über die Erkenntnis, dass neun Millionen Soldaten gefallen waren (davon über 2 Millionen Deutsche und 1,5 Millionen aus Österreich-Ungarn), dass all die Opfer und Entbehrungen der letzten Jahre sinnlos war: Der Erste Weltkrieg war verloren!

Als die Admiralität der kaiserlichen Marine wider besseren Wissens und gegen alle Friedensbemühungen im Oktober 1918 der Hochseeflotte in Wilhelmshafen den Befehl zur „Entscheidungsschlacht“ gegen die Engländer und zum „ehrenvollen Untergang“ gab, streikten die Matrosen. Mit Erfolg. Die Admiralität verlegte daraufhin das III. Geschwader nach Kiel – mit dem Ziel, die Meuterei endgültig zu beenden, doch in Kiel ging es erst richtig los. Die Soldaten, ganze Truppeneinheiten schlossen sich den Matrosen an, auch die Arbeiterschaft. Die Wut des erschöpften Volkes entlud sich, es wollte keine weiteren Toten, nur Frieden und Brot. Wie ein Flächenbrand breitete sich die Revolution in Norddeutschland aus, das lässt sich im Museum für Hamburger Geschichte anhand einer großen Karte eindrücklich nachvollziehen. Eine Stadt nach der anderen nahmen die Aufständischen ein, von Kiel nach Hamburg, von Hamburg nach Ahrensburg und weiter nach Lauenburg. Mit Lastwagen, Bahnen und Flugzeugen. Per Telefon und Telegrafie, durch Flugblätter, Handzettel und Plakate, die in besetzten Verlagen und Redaktionen gedruckt wurden, verbreitete sich die Revolution in Windeseile im ganzen Reich. Gesundheit, Wirtschaft, Versorgung – kein Aspekt der Ereignisse bleibt in dieser sehenswerten Ausstellung unerwähnt. So dokumentierten Original-Filme in einem nachempfundenen Lazarett unterschiedliche Schütteltraumata als Folgen von Verschüttung und Granatsplitter. Das wandgroße Foto einer hübschen Schaffnerin in weiten Hosen steht stellvertretend für das Schicksal vieler Frauen, die während des Krieges „Männerberufe“ ausüben „durften“ – um in Friedenszeiten (ab 11.November 1918) wieder den Kriegsheimkehrern Platz machen zu müssen.

Weitere Kapitel sind der Bildung und der Demokratisierung gewidmet. Was heute kaum noch jemand weiß: Erst mit der Revolution von 1918 wurde das Schulgeld abgeschafft und die Lernmittelfreiheit eingeführt. Erst vor bald 100 Jahren fanden mit den Wahlen zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 die ersten allgemeinen, freien und gleichen Wahlen in Deutschland stand. Frauen durften zum ersten Mal in Deutschland wählen und Einkommensgrenzen zur Teilnahme an der Wahl spielten keine Rolle mehr. Und noch eine Errungenschaft sind den linken Revolutionären zu verdanken. Der Arbeiter- und Soldatenrat erklärte damals: „Der Glaube ist Privatsache“. Daran müssen einige Politiker heute wohl wieder erinnert werden.

„Revolution! Revolution?“

zu sehen bis 25.2.2019 im Museum für Hamburgische Geschichte, Holstenwall 24, 20355 Hamburg
Öffnungszeiten: Montag, Mittwoch bis Freitag 10-17 Uhr, Sa/So 10-18 Uhr. Dienstag geschlossen.
Alle Informationen zum Themenjahr


Lesen Sie bei KulturPort zu diesem Thema auch: Die Stunde der Matrosen – Kiel und die deutsche Revolution 1918


Abbildungsnachweis:
Header: Revolution-Revolution. Minenräumboote im Hamburger Hafen, 1918 (Detail). Foto: Atelier-Schaul, Staatsarchiv-Hamburg
Galerie:
01. Hans Leip, Demonstrationszug in Hamburg, Zeichnung, November 1918. Sammlung Museum für Hamburgische Geschichte
02. Ankunft des Reserve-Infanterie-Regiments Nr. 76 am Hannoverschen Bahnhof, 1918. Foto: Atelier Schaul, Staatsarchiv Hamburg
03. Begrüßung des Reserveinfanterie-Regiment 76 am Hachmannplatz, 1918. Foto: Fotoatelier Schaul, Staatsarchiv Hamburg
04.
Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 76 am Jungfernstieg, 1918. Foto: Atelier Schaul, Staatsarchiv Hamburg
05. Bewaffnete Soldaten in der Rathausdiele, 1919. Foto: Atelier Schaul, Staatsarchiv Hamburg
06. Heinrich Laufenberg und Wilhelm Heise, Vorsitzende des Arbeiter- und Soldatenrats, 1918. Foto: Staatsarchiv Hamburg
07. Stadthauskommandant Setter, 1918. Foto: Alexander Jaap, Staatsarchiv Hamburg
08. Der 30er Ausschuss des Obersten Marinerates der Niederlebe am Jungfernstieg, 1918. Foto: Alexander Jaap, Staatsarchiv Hamburg
09. Wachen vor der Redaktion des Hamburger Echos, Februar 1919. Foto: Alexander Jaap, Staatsarchiv Hamburg
10. Barnowsky, Chef der Altonaer Polizei, 1918. Foto: Fotoatelier Jaap, Staatsarchiv Hamburg
11. Cesar Klein, Plakat des Werbedienstes der deutschen sozialistischen Republik, Januar 1919. Sammlung Museum für Hamburgische Geschichte
12. Lucien Bernhard, Plakat der Frauenverbände Deutschlands, 1919. Sammlung Museum für Hamburgische Geschichte.

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