Kultur, Geschichte & Management
25 Jahre Lettische Kulturakademie in Riga

Am 20. Mai feiert die Lettische Kulturakademie in Riga ihr 25jähriges Jubiläum. Seit 16 Jahren gibt es dort den deutsch-sprachigen Studiengang für „Internationales Medien- und Kulturmanagement“. Ein guter Grund eine Bilanz zu ziehen. Die Nachrichten-Redakteurin des staatlichen Senders „Latvijas Radio“ und Studentin des deutsch-sprachigen Studiengangs, Agnese Vasermane, traf sich zum Interview mit der Rektorin der Lettischen Kulturakademie, Professorin Rûta Muktupâvela in Riga.

Agnese Vasermane (AV): Im Jahr 1991 begannen an der Lettischen Kulturakademie (LKA) die ersten 63 Bachelor-Studenten mit dem Studium. Zur weiteren Ausbildung wurde 1996 der Master-Abschluss eingeführt und schließlich im Jahr 1999 das Doktorandenstudium. Was bedeutet Ihnen die LKA?

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Rûta Muktupâvela (RM): Die Lettische Kulturakademie ist nicht nur einfach Studien- und Arbeitsort. Sie ist ein Raum, in dem viele verschiedene Menschen zusammentreffen und sich austauschen. Ein Platz, an dem man zusammen lachen und träumen kann und an dem man manchmal auch traurig und nachdenklich sein darf. Eben dieses Fleckchen in der sogenannten „Moskauer Vorstadt“ Rigas, an dem man über sich selbst, über das Land, über die ganze Welt nachdenken kann.

AV: In diesem Jahr wird die Lettische Kulturakademie ein Vierteljahrhundert alt – ist das ein ‚hohes Alter’ für eine Akademie?

RM: Es hängt davon ab, womit man uns vergleicht. Wenn man die Lettische Kulturakademie als Mitglied der Gemeinschaft Lettischer Kunsthochschulen sieht, sind wir neben der Lettischen Kunstakademie und der Lettischen Musikakademie von Jâzeps Vîtols die kleinste und jüngste chwester. Die anderen beide feiern bald ihr einhundertjähriges Bestehen. Trotzdem sind wir in diesem Vierteljahrhundert schon ziemlich gewachsen.
Das Jubiläum der Lettischen Kulturakademie ist außerdem von Bedeutung, weil wir zusammen mit der wiederhergestellten lettischen Unabhängigkeit in den 1990er-Jahren „geboren“ wurden. Wir sind Kinder des dritten lettischen Erwachens und der Barrikadenzeit. Die Geschichte der Lettischen Kulturakademie ist eng mit der Geschichte des Staates Lettland verbunden.

AV: Ihr Leben ist schon lange mit der Lettischen Kulturakademie verbunden. Hier haben Sie Ihre wissenschaftlichen Titel und Grade erhalten, seit Jahren bilden Sie Studenten aus, seit zwei Jahren wirken Sie als Rektorin. Wie geht es der Kulturakademie heute im Vergleich zu den Jahren zuvor?

RM: Der LKA geht es gut – obwohl in der heutigen Welt leider mehr und mehr das ökonomische Denken dominiert. Es geht oft um denselben Prozess, auch in der Kultur: Kaufen und Verkaufen. Viele verlangen sofort sichtbare und rechenbare Resultate. Die Naturwissenschaften haben immer mehr an Bedeutung gewonnen und im Prozess der Bildung haben sie oft Priorität. Das sind allgemein westliche Tendenzen, die wir kaum beeinflussen können. Doch paradoxerweise sinkt das Interesse an Kultur- und Geschichtswissenschaften nicht! Und ich freue mich über das Potential unserer Kulturakademie – dank unserer Lehrkräfte können wir den Studenten eine qualitative, persönliche Ausbildung bieten. Unsere Absolventen sind repräsentative Beispiele dieser Qualität. Die Absolventenumfragen zeigen auch, dass unsere Studenten gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Ein Teil findet schon während des Studiums eine Arbeit. Insgesamt ist die Akademie also auf
dem richtigen Weg.

AV: Sie haben die „Qualitative Ausbildung” erwähnt. Was ist heute denn eine gute Hochschulausbildung?

RM: Eine gute Ausbildung an einer Fachhochschule hilft den Menschen auf ihrer Suche nach dem (Traum-)Beruf. Doch das Modell qualitativer Universitäten, auch das der Lettischen Kulturakademie, konzentriert sich auf den Menschen als Individuum, und darauf, dass dieser nach dem Studienabschluss über ein umfangreiches Wissen und Kenntnisse auf mehreren Gebieten verfügt. Zum Beispiel kann man als Produzent oder Manager in verschiedenen Bereichen tätig sein, etwa in Bereichen unserer Grunddisziplinen: Theater, audiovisuelle Kunst, Kulturtheorie, Kultursoziologie, in der Kreativindustrie oder wenn es um interkulturelle Beziehungen zwischen Ländern geht.

AV: Kulturtheorie, Kultursoziologie und Kulturgeschichte – Fächer, die man an der LKA studieren kann, sind von großem Wert, doch heute ist die Bedeutung des Kulturmanagements, der Präsentationsarbeit sehr stark gestiegen. Hat die Kulturakademie Pläne, sich auch in diese Richtung in der Zukunft zu entwickeln?

RM: Ja, um die Studienqualität zu verbessern, haben wir die Kritik von Studenten beachtet und die Studien an der Kulturakademie viel praktischer ausgerichtet. Parallel mit den theoretischen Lehrveranstaltungen haben die Studenten heute mehrere praktische Aufgaben. Sie nehmen an verschiedenen Management- und Produktionsprojekten teil, bei denen sie „Credit Points“ sammeln können. Eine weitere Ausrichtung, auf dessen Stärke wir uns konzentrieren, ist die internationale Dimension in der Lehre und die Anbindung von Gastdozenten. Dank eines neuen Finanzierungsmodells können wir Gastdozenten und Professoren aus Deutschland, Holland, Großbritannien und vielen anderen Ländern nach Lettland einladen. Das Masterstudienprogramm des Medien- und Kulturmanagements in deutscher Sprache ist ein gutes Beispiel einer solchen internationalen Zusammenarbeit.

AV: Wie läuft die Zusammenarbeit mit ausländischen Gastdozenten und Professoren an der Lettischen Kulturakademie ab?

RM: Zum größten Teil fußt diese auf verschiedenen wissenschaftlichen Projekten kreativer Zusammenarbeit der Europäischen Union. Sehr wichtig ist auch der Persönlichkeitsfaktor – unsere Dozenten nehmen an verschiedenen internationalen Seminaren und Konferenzen teil, bei denen sie neue Kollegen, Spezialisten aus anderen Ländern, kennenlernen und vom Studiengang hier in Riga erzählen.
Und soweit ich das beurteilen kann, haben die Gastlehrenden großes Interesse an den baltischen Ländern und somit auch daran, in Lettland zu arbeiten. Sie mögen die Tatsache, dass die Studenten in Lettland sehr neugierig und begabt sind, dass sie sich viel Mühe geben, und künstlerisch als auch wissenschaftlich arbeiten können. Ich denke auch, dass jeder Professor die Aufgabe hat, seine Erfahrung, Professionalität und Ideen mit anderen zu teilen. Und je weiter der Horizont, desto besser.

AV: Im Ausbildungsmarkt der Hochschulen wird versucht, potentielle Studenten zu überzeugen, dass die jeweils eigene Hochschule am geeignetsten ist. Wie positioniert sich die LKA, wie bindet sie Studenten an sich?

RM: Wir geben keine kosmischen Summen für Werbung aus – dafür fehlt auch schlicht und ergreifend das Geld. Wir nehmen aber regelmäßig an Ausbildungsmessen teil. Es gibt auch die so genannte Studentenbotschaftsbewegung der Akademie – unsere Studenten besuchen Schulen, an denen sie ihr Abitur gemacht haben und erzählen den Schülern der höheren Klassen von den Studienmöglichkeiten bei uns. Außerdem sind die sozialen Netzwerke im Internet eine große Hilfe. Und wie gesagt – es gibt nichts besseres, als zu zeigen, wer unsere Absolventen sind und wie erfolgreich sie nach dem Abschluss des Studiums im Arbeitsmarkt mitmischen. Ihre Werke sprechen für sich. Und es ist sehr interessant zu hören, warum genau sie das Studium an der Kulturakademie ausgewählt haben. Ein prozentuell großer Teil, mehr als 73 Prozent, sind nach dem Schulabschluss zielbewusst zu einer Lehranstalt gegangen, und zwar zur Lettischen Kulturakademie. Wahrscheinlich weil wir auch branchenspezifisch auf den Kulturbereich ausgerichtet sind. Auf jeden Fall benutzen wir keine aggressiven Methoden, um die Studenten auf die Akademie aufmerksam zu machen.

AV: Ist die Lettische Kulturakademie konkurrenzfähig, wenn man sie mit Hochschulen in anderen Ländern vergleicht?

RM: Wenn es um wissenschaftliche Forschung geht, kann man unsere Konkurrenzfähigkeit gut von unserer Teilnahme an verschiedenen Projekten und Programmen auf der europäischen und Weltebene ablesen. Am 7. April haben wir zum Beispiel mit anderen Partnern an der Universität von Newcastle in England ein internationales Projekt namens „CoHere: Critical Heritages: performing and representing identities in Europe”, begonnen. Dieses Projekt liegt unter dem „Horizon 2020” – ein Programm der Europäischen Union. Unsere Masterstudenten nehmen an bedeutenden Kongressen und Konferenzen teil. Auch im audiovisuellen Bereich sind unsere Filme an kulturellen Wettbewerben und Kinofestivals erfolgreich gestartet. In diesem Jahr hat etwa der lettische Kinoregisseur Renârs Vimba mit seinem Film „Es esmu šeit” (dt. „Ich bleibe hier“ engl. „Mellow Mud”) den Gläsernen Bär für den Besten Film im Wettbewerb „Generation 14plus”, auf der Berlinale erhalten. Im vorigen Jahr haben die Brüder Lauris und Raitis Âbele mit ihrem Kurzfilm „Kastrat Eber” ("Castratus the Boar") den „Grand Prix” beim Tampere Kurzfilmfestival in Finnland gewonnen. Und zurzeit ist unser Theaterregisseur Valters Sîlis für das Goldene Kreuz der Szene nominiert, die höchste litauische Theater-Auszeichnung. Diese sind alle Studenten und Absolventen der Lettischen Kulturakademie!

AV: Die Lettische Kulturakademie hat seit Jahren über einen anderen Standort, weg aus der Moskauer Vorstadt Rigas, nachgedacht. Wann wird es soweit sein?

RM: Aktuell befinden wir uns in einem alten Gebäudekomplex mit einem wunderschönen Garten in der Ludzas Straße, es gehört dem Rigaer Stadtrat. Mit der Stadt haben wir sehr gute Beziehungen, sie hilft uns bei unseren kreativen Projekten. Sie finanziert auch den Erhalt der Gebäude. Im vorigen Jahr hat sie einige Räume renoviert, das Dach neu gedeckt. Aber die Räume, die wir hier haben, sind eigentlich zu klein für die Kulturakademie, es ist nicht genug Platz für alle. Wenn wir den audiovisuellen Bereich weiterentwickeln möchten, brauchen wir Pavillons. Und Säle und Bühnen für Theater und zeitgenössischen Tanz. Ja, momentan haben wir das Theaterhaus „Zirgu pasts” („Pferdepost”) in der Dzirnavu Straße und das Eduards-Smilgis-Theatermuseum in Pârdaugava zu Verfügung gestellt bekommen, doch auch damit ist es recht knapp bemessen. Und dann kam die Lösung: Das Kultusministerium Lettland entwickelt ein Zentrum für Kreativindustrie und Kulturpolitik in der Miera Straße 58a, das Territorium der ehemaligen Tabakfabrik. Jetzt renovieren sie dort die Räume, um diese an das Neue Theater Riga anzupassen, deren Theaterhaus in der Lacpleša Straße noch einige Jahre renoviert und erneuert wird. Das Kultusministerium hat uns den Vorschlag unterbreitet, dass die Lettische Kulturakademie die Räume in der Tabakfabrik nutzen kann, nachdem das Neue Theater Riga zurück in die Lacpleša Straße gezogen ist. Dieser Idee haben wir natürlich mit großem Enthusiasmus zugestimmt.
Wir befänden uns dann auf der wunderbaren Miera (Friedens) Straße, ein berühmtes Viertel, in dem sich die verschiedensten künstlerischen Projekte konzentrieren. Es sind 5 bis10 Minuten zu Fuß bis zum Daile-Theater. Die ehemalige Tabakfabrik befindet sich auch näher zum Stadtzentrum als die Ludzas Straße, doch das Wichtigste ist ein anderes Detail – wenn alles so weitergeht, wird die Lettische Kulturakademie Staatseigentum werden. Sie wird einen ganz anderen Status bekommen. Es sieht jedoch so aus, dass die Veränderungen nicht vor 2020 oder 2021 eintreten. Doch wir sind voller Hoffnung.

AV: Wir drücken auch die Daumen. Und jetzt nochmal zurück zum 25-jährigen Jubiläum – was wünschen Sie, als Rektorin der Lettischen Kulturakademie, Ihren Lehrkräften und Studenten?

RM: Es ist schwer auf diese Frage zu antworten, aber ich würde die Worte wählen, die der lettische Philosophie-Professor Raitis Vilcinš einmal über unsere Kulturakademie gesagt hat. Die Akademie bildet im Studienprozess eine schöne Chinesische Mauer, die jeden Studenten umschließt und ihm den weiteren Gang in seinem Leben erleichtert.
Ich wünsche, dass es auch so bleibt. Dass alle, die einmal mit der Kulturakademie verbunden waren, eine solche innere Freiheit, selbständiges Urteilsvermögen und Wissen bekommen, wie man es sich anderswo in Lettland oder in einem anderen Land nicht aneignen kann. Ich wünsche, dass wir so bleiben, wie wir schon sind – ein bisschen sonderbar, einzigartig und vor allem sehr, sehr kreativ!


Rûta Muktupâvela wurde in Kaunas, Litauen geboren.
- Bakkalaureus (1989) an der Pädagogischen Universität von Litauen. Spezialisierung: Geschichte
- Magistergrad (1996) und Doktorgrad (2005) an der Lettischen Kulturakademie. Spezialisierung: Kulturtheorie
- Expertin im Wissenschaftsrat Lettlands, Vorstandsmitglied in der Assoziation der Lettischen Hochschulprofessoren, Mitglied des Nationalen Enzyklopädie Rates
- Mitglied der International Sociological Association (ISA), European Association of Social Anthropologists (EASA) und Société Internationale d’Ethnologie et de Folklore (SIEF)
- Leitende Forscherin im Zentrum der wissenschaftlichen Forschung der Lettischen Kulturakademie, Professorin
- Musiziert gemeinsam mit dem post-folkloristischen Musik-Ensemble „Ilgi”.



Abbildungsnachweis:
Header: LKA-Grafitti. Foto: LKA
Galerie:
01. 25 Jahre LKA Logo
02. Dreisprachiges Eingangschild zur LKA
03.
Rûta Muktupâvela. Foto: privat
04.Die Fassade der LKA in Riga
05. Innenhof der LKA im Winter
06.-08. Ausbildungsfotos aus dem bereich Tanz und Theater der LKA. Fotos: LKA

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