Das Auswanderermuseum BallinStadt auf der Veddel in Hamburg
- Geschrieben von Christel Busch -
Fünf Millionen Menschen emigrierten zwischen 1850 und 1934 über den Hamburger Hafen in Länder jenseits des Atlantiks. Menschen, die aus politischen und ethnischen Gründen, vor Armut und wirtschaftlicher Not ihre Heimat verließen: Deutsche Auswanderer, Emigranten aus Österreich-Ungarn und den Balkanstaaten sowie osteuropäische Juden. Bevorzugtes Ziel waren die Vereinigten Staaten von Amerika, ferner Südamerika, Kanada und Australien.
Unter dem Motto "Port of Dreams – Auswandererwelt Hamburg" errichtete die Freie Hansestadt Hamburg im Jahr 2007 das Auswanderermuseum BallinStadt. Das Museum befindet sich an dem historischen Ort der einstigen, von Albert Ballin gebauten Auswandererhallen auf der Elbinsel Veddel. In drei rekonstruierten Gebäudepavillons erzählt die Ausstellung die Geschichte der europäischen Massenauswanderung im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Sie beschreibt das Leben der Menschen in der Auswandererstadt und auf den Auswandererschiffen, ihre Flucht, ihr Leid und Elend. Sie berichtet aber auch von den Hoffnungen und Träumen der Emigranten auf ein besseres Leben in der neuen Heimat.
Albert Ballin, damaliger Generaldirektor der „HAPAG“, der deutschen Hamburg-Amerikanische-Paketfahrt-Aktiengesellschaft, errichtete nach Plänen des Hamburger Architekten Georg Thielen auf dem 25.000 m² großen Gelände auf der Elbinsel Veddel eine Auswandererstadt, die Ballinstadt. Die kleine, in sich abgeschlossene Stadt garantierte eine Rundumversorgung der Flüchtlinge; von der Hapag als "das größte Gasthaus der Welt" beworben. Im Dezember 1901 eingeweiht und mehrfach erweitert, lag die Anlage allerdings fernab der Hamburger Innenstadt, um die einheimische Bevölkerung vor den Emigranten zu schützen. Der Grund war die Angst der Hamburger vor Betrügereien, Kriminalität und Einschleppung ansteckender Krankheiten, wie die der Choleraepidemie im Jahr 1892, bei der etwa 10.000 Bürger starben. Die Flüchtlinge standen deshalb unter ständiger Gesundheitskontrolle und Überwachung durch die Hamburger Polizeibehörden. So wundert es nicht, dass die Ballinstadt eine eigene, vom Bahnhof Wilhelmsburg abzweigende Bahnhaltestelle erhielt, welche die Auswanderer an Hamburg vorbei auf die Elbinsel transportierte. Die von einer Trennmauer gesicherte Anlage konnte bis zu 5.000 Auswanderer beherbergen, die hier auf ihren Transport nach Übersee warteten, bis es dann mit Tenderschiffen zu den Ozeandampfern der Reederei im Hamburger Hafen ging. Die Errichtung der Ballinstadt hatte allerdings nicht nur humanitäre, sondern in erster Linie wirtschaftliche und finanzielle Aspekte: die Kontrolle des überaus lukrativen Ausländerwesens, der Konkurrenzkampf mit den Reedereien an der Weser. Einer der Gründe waren die restriktiven Einwanderungsbedingungen der USA. Hinzu kamen die strengen medizinischen Kontrollen auf Ellis Island, der zentralen Einwandererstation im Hafen von New York. Nur gesunde Menschen waren erwünscht. Emigranten mit ansteckenden Krankheiten und körperlichen Gebrechen, Geisteskranke, Bettler und Obdachlose, Kinder ohne Begleitung, Prostituierte und Kriminelle durften nicht einreisen. Ab 1917 erschwerte zudem ein allgemeiner Bildungstest die Einreise. Wer den Lese- und Schreibtest nicht bestand oder die Fragen falsch beantwortete, wurde abgewiesen. Etwa zwei Prozent der Einwanderer mussten deshalb auf Kosten der Reederei die Heimreise nach Hamburg antreten. Ein finanzieller Verlust für die Hapag.
Die Auswanderung im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert
Zur ersten großen Massenauswanderung kam es in den Jahren 1854, 1872 und 1881. Das Ende der Napoleonischen Kriege im Jahr 1816, die gescheiterte Märzrevolution von 1848 in Preußen, Hunger und Missernten, Armut und Arbeitslosigkeit lösten einen Auswandererboom aus. Allein zwischen den Jahren 1846 und 1857 emigrierten über eine Millionen Deutsche aus politischen, religiösen oder wirtschaftlichen Gründen nach Nordamerika. Schon früh erkannten besonders die Reedereien in Bremen und Bremerhaven, allen voran der Norddeutsche Lloyd Bremen, dass mit Auswanderern Geld zu verdienen war. Deshalb förderten sie die Organisation des Überseetransportes, zunächst auf Segelschiffen und später auf Dampfschiffen. Hinzu kam eine gezielte Werbung von lizenzierten Auswandereragenten im In- und Ausland, welche den Menschen ein besseres Leben fern der Heimat versprachen.
Mitte des 19. Jahrhunderts spielte Hamburg als Auswandererhafen noch eine unbedeutende Rolle. Die Gründung der HAPAG, im Jahr 1848, die Entwicklung der Dampfschifffahrt und eines regelmäßigen Fracht- und Linienverkehr über den Atlantik förderten Hamburgs Aufstieg zum „Tor zur Neuen Welt". Auf Anregung Ballins entstanden auf den Überseeschiffen der HAPAG sogenannte Zwischendecks, dunkle und stickige Kajüten zwischen Oberdeck und Laderaum. Auf diese Weise konnten immer mehr Menschen transportiert werden. „... ohne Zwischendeckpassagiere wäre ich innerhalb weniger Wochen bankrott", beschrieb Ballin das Massengeschäft mit den Emigranten. Zahlungskräftige Auswanderer buchten dagegen Mehrbett-Kabinen der 3. Klasse mit besserer Verpflegung und Speisesaal. Die Preise bewegten sich zwischen 150 Mark für das Zwischendeck und 170 Mark für die 3. Klasse.
Auswanderermuseum Hamburg
In den 1880er-Jahren bis zum Ersten Weltkrieg begann ein Massenexodus von russisch-polnisch-jüdischen Auswanderern, welche vor Diskriminierung, Verfolgung und antisemitischen Pogromen in ihrer Heimat flüchteten. Werbekampagnen der Reedereien und der Auswandereragenten sorgten für ständig wachsenden Nachschub. Allerdings gestaltete sich die Einreise auf deutsches Staatsgebiet als schwierig. Kontrollstationen an der preußisch-russischen Grenze und strikte Einwanderungs-Gesetze kanalisierten den Zustrom. Etwa 700 Rubel Reisekosten waren erforderlich: Neben einem gültigen Pass, einer medizinischen Untersuchung, einer Schiffskarte der HAPAG oder des Norddeutschen Lloyd Bremen, der Eisenbahnkarte zum Einschiffungshafen, mussten die Flüchtlinge über ausreichend Bargeld für die Unterkunft in der Hafenstadt und die Einreise in die USA verfügen. Wer diese Voraussetzungen nicht erfüllte, durfte die Kontrollstationen nicht passieren. Mit der Folge, dass viele mittellose Juden illegal über die Grenze einreisten. Da sie in Hamburg keine Unterstützung der städtischen Armenkasse erhielten, waren sie auf die Versorgung von jüdischen Hilfsorganisationen angewiesen. Trotz der enormen Kosten, trotz aller Strapazen, trotz der langen und beschwerlichen Reise nach Hamburg flüchteten bis zum Ersten Weltkrieg über 700.000 Juden aus russischen, rumänischen und polnischen Gebieten; sie emigrierten vorzugsweise in die USA.
Die Hansestadt war mit dem Ansturm der Flüchtlingsmassen und der daraus resultierenden Unterbringung überfordert – allein 1891 kamen rund 150.000 osteuropäische Juden nach Hamburg. Mit Ausbruch der Choleraepidemie im Zarenreich, verbot der Senat die Unterbringung von Russen in privaten Hotels, Herbergen, Logishäuser und Baracken. Um den Ansturm zu bewältigen, erbaute die HAPAG ein Jahr später die Auswanderer-Baracken am Amerika-Kai, welche etwa 1.400 Menschen Unterkunft boten. Aufgrund der Infektionsgefahr für die Hamburger Bevölkerung stand die Massenunterkunft unter staatlicher und ärztlicher Quarantäne. Nach der Hafenerweiterung und dem Abriss der Auswanderer-Baracken konnte die von der Hapag 1901 gebaute und später erweiterte Auswandererstadt auf der Veddel dagegen bis zu 5.000 Emigranten aufnehmen.
Der Rundgang durch die Ausstellung
In Haus 1, dem Eingangs- und Informationsbereich befindet sich unter anderem ein riesiger, in den begehbaren Glasboden eingelegter Übersichtsplan der ehemaligen Auswandererhallen, die bis zur Schließung im Jahr 1934 existierten. Der Plan zeigt die in drei Baukomplexe unterteilte Anlage: das Empfangsgebäude A (die unreine Seite), der Bereich B (die reine Seite) mit Schlaf- und Wohnpavillons, Küchen und Speisesälen nach christlichem und jüdischem Ritus, zwei Hotels, Warenmagazine, Kirche und Synagoge, Verwaltungsgebäude, Musikpavillon und Grünanlagen. Und die isoliert liegende Beobachtungsstation C, für Menschen mit ansteckenden Krankheiten. In dem Empfangsgebäude A wurde jeder Ankömmling registriert, die Schiffspapiere überprüft, mit Essen versorgt. Nach der Reinigung und Desinfektion von Kleidung und Gepäck, folgte eine medizinische Untersuchung, vor allen Dingen auf die ansteckende Bindehautkrankheit Trachom und die ebenfalls ansteckende Hautkrankheit Favus. Fiel die ärztliche Diagnose positiv aus, bekam der Auswanderer eine Kontrollkarte und einen Schlafplatz zugewiesen, getrennt nach Männern und Frauen, nach Nationalität und Konfession, und wechselte in den Bereich B, auf die reine Seite. Bis zur Einschiffung durften Russen die Anlage nicht mehr verlassen. Das Rundum-Paket der Hapag hatte allerdings seinen Preis: Unterbringung pro Tag 2/2,50 Mark für Erwachsene, für die Kinder die Hälfte, drei Mahlzeiten täglich, Bettwäsche, Heizung, Reinigung und Bedienung eingeschlossen. Übernachtung und Verpflegung kosteten im Hotel dagegen 3,25/3,75 Mark. Die Kosten für den Aufenthalt mussten die Emigranten im voraus an die Auswandereragenten der Hapag zahlen. Die Anlagen für Sanitär, Hygiene, Strom, Wasser und Abwasser entsprachen dem neusten Stand der Technik. Zur Klärung der Abwässer gab es Faulgruben D und Desinfektionsgruben F, um zu verhindern, dass die Fäkalien ungeklärt in die Elbe flossen. Bei all dem "Komfort" darf nicht vergessen werden, dass es im finanziellen Interesse der Hamburger Reederei lag, die Auswanderer körperlich und geistig gesund in ihre Zielländern zu bringen.
In Haus 2 befindet sich die Hauptausstellung "Port of Dreams". Mittels moderner Szenografie, das heißt mit narrativen Szenen und rekonstruierten Räumen steht der Besucher im Dialog mit der Auswanderung: dem Abschied und Aufbruch aus der Heimat, der Überfahrt auf den Schiffen und der Ankunft in New York. Hölzerne Puppen mit konturlosen Gesichtern und zeitgenössischer Kleidung stehen oder sitzen auf alten Überseekoffern. Hörstationen erzählen ihre Lebensgeschichten, von der Flucht bis zur Ankunft in Amerika. Hinzu kommen Werbeplakate der Reedereien, Originaldokumente und Briefe, Multimedia-Stationen, historisches Filmmaterial und alte Fotografien. Die offensichtlich inszenierten Aufnahmen aus der Ballinstadt - Auswanderer im feinen Sonntagsstaat - suggerieren dem Betrachter nur glückliche und zufriedene Menschen. Aber, gab es angesichts der verschiedenen Religionen, Nationalitäten und Kulturen keine Spannungen und Probleme? Für viele Emigranten erfüllte sich der Traum vom besseren Leben nicht. Sie scheiterten. Etwa 20 Prozent kehrten in ihre alte Heimat zurück. Die Ausstellung zeigt auch Erfolgsgeschichten, wie die von Levi Strauss (Jeans) oder Henry John Heinz (Ketchup), Söhne deutscher Einwanderer.
Haus 3 beherbergt den rekonstruierten Schlaftrakt der historischen Ballinstadt, der mit je 22 Erwachsenen belegt war. Durch eine Trennwand geteilt, stehen einfache Metallbetten mit weißem Bettbezug, daneben geöffnete Koffer.
Ein Highlight des Museums ist das Familienforschungszentrum. An mehreren Computerterminals kann der Besucher recherchieren und Ahnenforschung betreiben.
Die Ausstellung im Auswanderermuseum BallinStadt präsentiert eine Fülle von Informationen zur Emigration im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert sowie zur Hamburger Auswandererpolitik, die bei einem Besuch gar nicht zu bewältigen sind. Ein Blick auf die Geschichte der Auswanderung vor 100 Jahren zeigt, dass sich die Gründe zur Flucht nicht wesentlich von der heutigen Massenflucht unterscheiden. Angesichts der Aktualität von Massenexodus und Migration stellt sich die Frage, ob die Ausstellung nicht eine Brücke schlagen kann zu den gegenwärtigen Auseinandersetzungen über den Umgang mit Flüchtlingen und Einwanderern.
Auswanderermuseum Hamburg BallinStadt
Veddeler Bogen 2
20539 Hamburg
Öffnungszeiten: April bis Oktober / Täglich 10:00 - 18:00 Uhr, November bis März / Täglich 10:00 - 16:30 Uhr.
www.ballinstadt.de
Sonderausstellung: „My Black Skin – Schwarz. Erfolgreich. Deutsch“
Die Schauspielerin Dayan Kodua und der Fotograf Thomas Leidig zeigen die Erfolgsgeschichten von 25 afrodeutschen Persönlichkeiten, darunter Yared Dibaba, Nelson Müller, Marie Amière und Otto Addo. Ergänzt wird die Bilderausstellung durch Interviews der Protagonisten und Hintergrundinformationen zum Projekt.
Vom 20. August bis 30. September täglich von 10 bis 17 Uhr kostenfrei in Haus 1 der BallinStadt zu sehen.
Abbildungsnachweis:
Header: Auswanderermuseum BallinStadt. Foto: Christel Busch
Galerie:
01. Zeichnung Gesamtanlage der Auswandererhallen, Veddel, Abb.: Denkmalschutzamt Hamburg / Bildarchiv
02. und 03. Hamburg-Amerika Linie. Übersichtsplan der Auswandererhallen, 1907. Zeichnungen: Architektur und Ingenieurbüro Gustav Schrader, Hamburg. Quelle: Christian Terstegge
04. Auswandererhallen, Foto: Denkmalschutzamt Hamburg / Bildarchiv
05. "Mein Feld ist die Welt", Foto: Denkmalschutzamt Hamburg / Bildarchiv
06. Speisesdaal, Foto: Denkmalschutzamt Hamburg / Bildarchiv
07. Auswanderermuseum BallinStadt. Foto: Christel Busch
08. Haus 3 Schlafsaal. Foto: Auswanderermuseum Ballinstadt
09. und 10. Blicke in die Ausstellung. Fotos: Christel Busch
11. Blick in die Ausstellung. Foto: Auswanderermuseum BallinStadt
12. "Vertrautes und Neues", BallinStadt. Foto: Christel Busch.
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