Der Künstler und Fotograf Stefan Szczygiel arbeitet seit mehreren Jahren an seinem Projekt „Urban Spaces“, groß- und mittelformatigen Architekturfotografien und Filmen, die Gebäudekomplexe und städtische Räume abbilden und in Beziehung setzen.
Im Gegensatz zu seinen Künstlerfotografen-Kollegen der ehemaligen Düsseldorfer Becher-Klasse, fotografiert Szczygiel die Interieurs, Architekturen und Stadträume selten menschenleer, sondern immer im Hinblick auf die alltäglichen Nutzungen. Seine teilweise überdimensionalen Fotos bilden eine Stadt in der Stadt ab, konstruieren Beziehungen und Gegenüberstellungen. Mit einer Portion Ironie konterkariert der Fotograf zuweilen die klare und strengen Architekturen mit kleinen Widerborstigkeiten des Alltags: ein verbogenes Verkehrschild, Bauschutt vor der Sehenswürdigkeit oder Graffitis an Wänden und Mauern.
Neben den innerstädtischen Räumen hat der Künstler ein starkes Interesse an Stadtrandgebieten – dem Raum für die Kurzerholung und Besinnung des Städters. Durch die Kontrastierung der parkähnlichen Randgebiete zum städtischen, architektonisch-strukturierten Lebensraum im engen Sinn, entstehen unweigerlich Konvergenzpunkte und Fragestellungen. Stadtbewohner suchen keine reine, „unverletzte“ Natur in urbanen Räumen mehr, aber die Sehnsucht nach ihr schwingt dennoch mit.
Die Präzision von Szczygiels Fotografien ist einmalig, jedes Detail ist von ungeheurer Klarheit und Schärfe. Somit erkennt der Betrachter die Feinheiten bis in den Mikrobereich der Bilder und geht auf Entdeckungsreise. Schon die Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts und die Landschaftsbilder der Filmkultur des 20. Jahrhunderts haben diese und weitere ikonographischen Assoziationen hervorgerufen, bis hin, sich selbst in die Landschaft hinein zu projizieren. Der Betrachter versetzt sich in die Landschaft in verschiedenen Größen, die von der Perspektive abhängen. Wir werden klein und verbinden uns somit mit den anderen Bildbestandteilen. Landschaftsfotografie sowie die fotografischen Abbilder von städtischen Räumen sind aber auch immer Entdeckungen von Manipulationen. Die Geometrie einer Stadt ist immer die Manipulation der Formensprache der Natur, auch dann, wenn sie Landschaft nachempfindet.
Im Kontext der „Urban Spaces“-Fotografien entstanden seit 2008 die ersten Kurzfilme, die der Künstler mit seiner digitalen Filmkamera aufnahm. Er betitelt die Filme „ZEITFLUG“. Aufgenommen in Hamburg und verschiedenen weiteren europäischen Metropolen zeigen sie neben dem architektonischen und städtebaulichen Umfeld auch die Nutzung von öffentlichen Räumen.
Die Filme von Stefan Szczygiel weisen spezifische künstlerische Eigenheiten auf: Durch die Verlangsamung der Drehgeschwindigkeit und dem daraus resultierenden zeitlupenähnlichen Effekt, wird die Stadtlandschaft entschleunigt und erhält damit ein wichtiges Moment der Abstraktion. Die Stadt im Film, zumal in schwarz-weiß gedreht, wirkt wie eine vollkommen andere als die reale Stadt mit Ihren pulsierenden Geschwindigkeiten und Frequenzen. Dennoch wirken die filmischen Arbeiten dadurch nicht anachronistisch und aus der Zeit enthoben. Vielmehr schafft es der Künstler, durch die Entschleunigung und dem daraus resultierenden Abstraktionsgrad, die Erlebniszeit deutlich von der Realzeit abzusetzen. Die reale Stadt wechselt quasi ihren Platz mit ihrer filmischen Doppelgängerin.
Und noch etwas ist besonders auffallend. Die Passanten und Protagonisten scheinen die Kamera des Künstlers während der Aufnahmen nicht wahrgenommen zu haben. Niemand schaut in die Linse, fühlt sich beobachtet oder reagiert bewusst auf das Gefilmtwerden. Vielmehr bewegen sich die Gezeigten in einer Normalität und unbeobachteten Gelassenheit, als sei die Kamera unsichtbar, nicht existent. Die Verbindung der Natürlichkeit des Seins und des Verhaltens der Menschen auf der Straße, unabhängig von deren Tätigkeit und der Art und Weise wie Szczygiel mit seiner Kamera operiert, macht die gefilmten Personen selbst zu Skulpturen, zum Bestandteil der urbanen Architektur.
Stefan Szczygiel wurde 1961 in Warschau geboren, studierte von 1984-1992 Freie Kunst an der Kunstakademie Düsseldorf sowie Fotografie und Videoart bei den Professoren Bernd Becher und Nam June Paik. Seit 1993 arbeitet er als freischaffender Fotograf und Künstler in Warschau.
Weiter Informationen unter: www.stefanszczygiel.eu
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