Letizia Battaglia sieht ein wenig abgekämpft aus. Sie ist weniger erschöpft von der Reise aus Italien nach Deutschland, als von ihrer jahrzehntelangen fotografischen und journalistischen Arbeit.
Dabei fotografiert sie gut und gerne. Davon kann man sich überzeugen, im Übersee-Museum in Bremen. Dort treffe ich sie vor der Eröffnung einer Ausstellung, die sich bis Ende April 2011 mit dem Phänomen „Mafia – Das globale Verbrechen“ beschäftigt.
Sie ist eine von drei Fotografen in der Ausstellung, die sich über Bilder dem Thema angenähert haben, und sie stellt das größte Kontingent an Fotografien, alle schwarz-weiß und fast alle eindrucksvoll und berührend. Patrick Zachmann aus Frankreich und Bruce Gilden aus den USA, beide von der Fotoagentur Magnum, sind die weiteren Ausstellenden.
Battaglias Bilder zeigen ein sizilianisches Leben, das leider nicht nur berühmt, sondern auch berüchtigt ist. Es geht um Armut, Tod, Schmerz, Trauer und Mord, man sieht Blutlachen, leblose Körper, Verhaftete und Scheinheilige und über allem thront so etwas wie Hilflosigkeit und Ohnmacht, weil die Macht perfide ist – es geht um das tägliche Leben mit der Mafia.
Ein klein wenig anachronistisch wirkt die Ausstellung, weil die Sichtbarkeit der Mafia der 1970er bis 90er-Jahre – und das nicht nur in Italien – heute einer Unsichtbarkeit gewichen ist. Keines der Fotos entstand nach der Jahrtausendwende. Die Mafia lässt sich so nicht mehr fotografieren. Das ‚Unternehmen Mafia’ mordet in Italien vielleicht weniger sichtbar, es liegen kaum noch Leichen auf der Straße. Aber aktiv ist sie mehr denn je. Immer mehr Geld wird in globale Wirtschaftszweige investiert, besonders bevorzugt sind Immobilien und die Medienbranche. Schließlich lassen sich da Meinungen, Sehgewohnheiten und Bilder bestimmen.
Auf die Frage, ob sie sich nicht selbst ständig während ihrer fotografischen Arbeit in Gefahr gebracht hätte, antwortet Letizia Battaglia: „Ja, sicherlich, aber man durfte das nicht beachten. Angst, nein, die hatte ich nicht!“. „Ich bin nun 76 Jahre alt“, sagt sie weiter, “und ich bin müde, mich mit dem Thema weiter zu beschäftigen. Wenn ich in diese Ausstellung komme, dann erinnere ich mich sofort an die Geschichten der Fotos. Zwanzig Jahre habe ich mich dieser Welt ausgesetzt und versucht, mit meinen Möglichkeiten die Dinge ein wenig zu verändern, aber die Mafia ist noch da – mehr noch, sie breitet sich immer weiter aus, weltweit, und sie wird immer da sein und das Leben vieler Menschen bestimmen. Die Mafia ist eine Institution geworden, sie ist Teil der Wirtschaft, der Verwaltung und der Regierung. Nach wie vor infiltriert sie. Ich mag nicht mehr über die Mafia sprechen und letztendlich muss ich feststellen, meine Arbeit hat niemanden wirklich etwas gebracht“, sagt sie ernüchtert mit frustrierter Stimme.
„Dann lassen Sie uns nicht über die Mafia sprechen“, bitte ich sie, „sondern über die Frauen in den Bildern. Ich sehe so deutliche Verhaltensunterschiede zwischen den Geschlechtern. Die Frauen sind voller Schmerz, sie halten die Fotos ihrer ermordeten Männer hoch, sie schreien ihren Schmerz heraus, wenn vor ihnen der blutüberströmte Körper ihres Sohnes, Mannes oder Bruders liegt, und in ihren Blicken ist neben Schmerz auch Verbitterung. Gibt es eine Machtlosigkeit der Frauen?“
„Ja, es gibt eine Machtlosigkeit der Frauen, auch wenn es verschiedene Organisationen von und für Frauen gibt, in denen ich auch teilweise Mitglied bin.
Seit 120 Jahren gibt es die Mafia im Süden Italiens und etwas später dann ebenfalls in Nordamerika. In den letzten Jahrzehnten schließlich auch in Norditalien, in Frankreich und Deutschland. Sie breitet sich aus. Eine einzelne Frau, eine Fotografin oder eine Abgeordnete kann da nichts alleine machen, es müssen sich alle zusammen tun. Nicht Sizilien alleine, nicht Kalabrien oder das arme Neapel, nicht Italien, sondern alle betroffenen Länder müssen gemeinsam darauf hinwirken eine Gesellschaft hervorzubringen, in der man glücklich werden kann. Nur so kann man Glück schaffen – in einem Land ohne Mafia leben. Und Mafia bedeutet: Korruption, Arroganz, Drogen, Waffenhandel und Handel mit allem anderen. Die Mafia ist nur an Geld interessiert.“
Im Gespräch:
Bei einigen Fotowerken in der Ausstellung verlässt Letizia Battaglia das Dokumentarische und wird zur Kommentierenden. In eine kleine Anzahl von Bildern hat sie ihre Tochter oder sich selbst einkopiert, immer nackt: mit Wasser übergossen vor einer Carabinieri-Truppe mit Staatsanwalt Roberto Scarpinato, in einem einsturzgefährdetem Haus oder sie stützt den Kopf einer Frau auf ihrer Brust während einer Trauerfeier. In jenen Bildern verweigert sie den Frauen die Ohnmacht und delegiert ihnen und sich selbst eine andere Rolle zu, denn unbeteiligt ist hier niemand und niemand ist ohne Verantwortung für das was geschieht, auch nicht die Frauen.
Das Museum schreibt zur Ausstellung: "Die italienische Mafia ist bis heute ein Inbegriff für das organisierte Verbrechen. Über 20 Jahre hat die Fotojournalistin Letizia Battaglia die blutigen Spuren der Cosa Nostra in ihrer sizilianischen Heimat in eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Fotografien festgehalten.
97 ihrer Bilder präsentiert das Übersee-Museum vom 5. Februar bis 24. April 2011 in der Ausstellung „Mafia – Das globale Verbrechen“. Ergänzt werden diese Fotografien von dreißig Arbeiten der Reportagefotografen Patrick Zachmann und Bruce Gilden, beide Mitglieder der renommierten Foto-Agentur Magnum. Patrick Zachmann dokumentierte Anfang der achtziger Jahre in bewegenden Fotos die Machenschaften der Camorra in Neapel. Bruce Gilden zeigt mit seinen Bildern in eindringlicher Weise, dass die Ausbreitung des organisierten Verbrechens auch in Ländern wie Japan und Russland immer weiter voranschreitet. Seine erst im Jahr 2010 entstandenen Bilder der russischen Mafia werden in dieser Ausstellung erstmals
öffentlich präsentiert.
Mit dieser Fotoausstellung greift das Übersee-Museum ergänzend zu „Erleben, was die Welt bewegt“ ein weiteres Thema auf, das die Menschen auf der ganzen Welt betrifft: das globale Verbrechen. Seit mehr als 150 Jahren versetzen italienische Mafiaorganisationen ihr Land in Angst und Schrecken. Letizia Battaglia hat mit ihren Dokumentationen zu deren Bekanntheit in der weltweiten Öffentlichkeit erheblich beigetragen. Heute findet das kriminelle, immer noch brutale Vorgehen mafiöser Organisationen wesentlich subtiler statt. Mit einem jährlichen Umsatz von etwa 150 Milliarden Dollar betreiben italienische Mafia-Organisationen längst nicht mehr nur Drogenhandel und Schutzgelderpressung. Sie haben sich zu machtvollen Unternehmen entwickelt, die über Ländergrenzen hinweg professionell agieren, in Politik und Medien aktiv sind. Statt Pistolen und Sprengstoff beherrschen heute modische Businessanzüge, Aktienpakete und Unternehmensbeteiligungen ihr Auftreten und Handeln – ein Trend, der für das globale Verbrechen jenseits aktueller Terroristen-Aktionen weltweit gültig und kaum noch mit der Kamera festzuhalten ist.
Im Begleitprogramm zur Ausstellung wird die heutige Mafia besonders betrachtet: Der Journalist Jürgen Roth befasst sich bereits seit den 70er Jahren mit der Mafia in Deutschland. Am 9. März um 19.30 Uhr berichtet er über das „Mafialand Deutschland“. Wie die italienische Mafia zu der heutigen wirtschaftlichen Größe und politischen Macht heranwachsen konnte berichtet Dr. Bernhard
Pfletschinger am 6. April um 19.30 Uhr in einer Melange aus Vortrag und Film. Der Eintritt zu beiden Veranstaltungen ist frei. Am 13. März steht ein Nachmittag im Zeichen der Mafia: Musik, Vorträge und Sonderführungen stehen auf dem Programm. Dieses wird gesondert bekannt gegeben."
Letizia Battaglia (geb. 1935) war als Fotojournalistin tätig, arbeitet heute als Fotografin und Künstlerin. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit war die Dokumentation der Mafia-Aktivitäten in Sizilien. Gemeinsam mit ihrem langjährigen Lebensgefährten Franco Zecchin lieferte sie von 1974 bis 1990 als Fotojournalistin der Tageszeitung „L’Ora“ in Palermo den internationalen Medien tagesaktuelle Dokumentationen der Aktivitäten der Cosa Nostra. Die Italienerin erhielt verschiedene Auszeichnungen, u.a. den Erich-Salomon-Preis. Letizia Battaglia war viele Jahre selbst politisch aktiv.
Bruce Gilden (geb. 1946) trat 1998 der Fotoagentur Magnum bei. Im Jahr 2000 schockierte der USAmerikaner mit seinem Buch „Go“, in welchem er die dunklen Seiten Japans aufzeigte, wie beispielsweise die dortige Mafia „Yakuza“. Erst im Jahr 2010 dokumentierte Bruce Gilden die Aktivitäten der russischen Mafia. Gilden wurde mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt, wie dem European Publishers’ Award for Photography. Er realisierte weltweit Ausstellungen und publizierte verschiedene Bücher.
Patrick Zachmann (geb. 1955) ist seit 1990 Mitglied der renommierten Fotoagentur Magnum. 1982 dokumentierte der Franzose die brutale Welt der Camorra in Neapel. Patrick Zachmann publizierte zahlreiche Bücher, realisierte international verschiedene Ausstellungen und ist auch als Regisseur tätig. Er wurde mehrfach für seine Arbeit ausgezeichnet, u.a. mit dem Prix Austerlitz.
Gefördert von der Sparkasse Bremen.
5. Februar bis 24. April 2011
Übersee-Museum Bremen
Bahnhofsplatz 13
28195 Bremen
www.uebersee-museum.de
Fotos: Übersee-Museum Bremen und die Fotografen
Header: Letizia Battaglia in Palermo
Galerie:
1. Letizia Battaglia: "Mafia-Boss Luciano Liggio", Palermo, 1978
2. "Bagheria", 1984
3. "Capaci", 1980
4. "Staatsanwalt Roberto Scarpinato", 1998
5. Patrick Zachmann: "Neapel", 1980
6. "Neapel", 1980
7. Bruce Gilden: "Japanische Jakuza", 1998
8. "Tätowierte Jakuza bei einem Straßenumzug", 1998
9. Blick in die Ausstellung (Foto: Matthias Haase)
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