Film

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("Trailer", ca. 2 Min.)

Die Frage ist sehr wesentlich, denn jetzt ist Roy der Gedanke gekommen, die gesunden Beine seiner kleinen Freundin für seine Selbstmordpläne einzusetzen. Er behauptet, Pillen zum Schlafen zu benötigen. Da er so schlecht schläft, vergisst er dauernd, wie die Geschichte weitergeht! Für den Raub muss sie das Etikett auf dem Morphiumfläschchen entziffern können…
Alexandria erklärt sich bereit, das zu tun. Inzwischen ist Schwester Evelyn in ihrem Herzen ein Stück nach unten gerutscht und jemand anders hat den ersten Platz eingenommen. Sie wünscht sich sogar, nie wieder gesund zu werden, um immer bei Roy bleiben zu können.

Die Szenen der beiden besitzen einen ganz besonderen Zauber. Tarsem hat genau das erreicht, was ihm vorschwebte: hier schauspielert niemand. Wir sehen wie durch ein Schlüsselloch zwei Menschen, die sich unbeobachtet glauben. Sie reden manchmal aneinander vorbei, vielleicht, weil noch ein bisschen die Sprachbarriere stört, vor allem, weil ein Dreißigjähriger und eine Sechsjährige in verschiedenen Begriffswelten leben. Hin und wieder ist sie unaufmerksam, reibt sich die Nase, gähnt, schnörkelt mit den Fingern kleine Arabesken in die Luft. Ab und zu zeigt er sich ungeduldig oder hört gar nicht zu, was sie sagt. Genau so ist das, genau so stößt ein Kind unachtsam mit den Füßen um sich, trifft den Tisch, auf dem die Tasse umkippt und sagt schnell: „Oh, Entschuldigung…“

Der Regisseur hat diese Schlüsselloch-Perspektive auf die Spitze getrieben, indem er oft den Bettvorhang um die beiden zuzog und sie durch kleine Löcher im Stoff filmte, während sie sich unterhielten.
(Darüber hinaus – von wegen Schlüsselloch - sieht Alexandria am Anfang des Films plötzlich an der dunklen Flurwand ein auf dem Kopf stehendes kleines Pferd: ein unerklärliches Wunder! Dann öffnet jemand die Tür und wir erkennen, dass hinter dem realen Pferd die Sonne steht und sein Abbild durch das Schlüsselloch schickte, wo es sich umdrehte und verkleinerte nach dem Prinzip der Camera obscura.)

Im Lauf der Zeit wird Roys Stimmung immer düsterer. Gegen den bösen Odious kommen seine edlen Feinde einfach nicht an, sie schmachten gefesselt in der Wüste, es gibt niemanden mehr, der sie retten könnte. Da bringt Alexandria sich selbst in die Geschichte ein. Im Banditen-Nachwuchskostüm und natürlich maskiert hilft sie den Tapferen erst mal aus der schlimmsten Klemme und outet sich bei der Gelegenheit gleich als Tochter des Ober-Rächers aus einer früheren Beziehung.
Doch auch ihre Anwesenheit im Märchen nützt auf die Dauer wenig; die sympathischen Helden werden, einer nach dem anderen, grausam hingeschlachtet, sogar der maskierte Bandit scheint gegen den Gouverneur keine Chance zu haben, schon wird er halb tot geprügelt in einem indischen Tempelbecken unter Wasser gedrückt…
Alexandria weint und wehrt sich gegen diesen Abschluss der Geschichte. Roy weint ebenfalls. Zu seinen schon bekannten Problemen kommt jetzt noch ein schlechtes Gewissen, weil er das Kind ausgenutzt und in Gefahr gebracht hat – obendrein hat er sich Schnaps organisieren können, was sein heulendes Elend verstärkt.

Eine Weile ringen beide um das Ende, dieses so wichtige symbolische Ende des Märchens. Immerhin geht es um Leben und Tod. Roy sagt, es sei schließlich seine Geschichte.
Das kleine Mädchen schluchzt, sehr zu Recht: „Meine auch!“
Einige Männer, wie der Oberarzt oder der einbeinige Stuntmen, hatten bereits versucht, Roy klar zu machen, wie egoistisch oder dumm seine Selbstmordabsichten wären.
Alexandria hat bessere Argumente. Und während Roy ihr noch widerspricht, gibt er doch schon nach, weil es ja das ist, was er die ganze Zeit hören wollte: dass ihn jemand liebt, dass ihn jemand braucht.
So erhebt sich der Bandit überraschend aus dem Wasser und schlägt Odious nieder, trägt sein Töchterchen von dannen und kümmert sich auch nicht mehr um irgendwelche schönen Prinzessinnen, denen das Talent zur Treue fehlt.
Damit habe ich das Ende erzählt, was ich für legitim halte, weil es hier überhaupt nicht um den spannenden Schluss oder die Endüberraschung geht.

Regisseur Tarsem Singh sagt, für ihn ist dies der perfekte Film, genau der, den er machen wollte und er sei vollkommen glücklich mit dem Ergebnis.
Ich stimme ihm zu. Aber ich glaube, dass es noch eine ganze Weile dauern wird, bis ‚The Fall’ sein Publikum findet.
Um bestimmte Zusammenhänge wahrzunehmen, die der Regisseur geradezu versteckt hat oder um auch nur zu begreifen, weshalb Tarsems Produzent, Bruder und bester Freund seine Produktionsfirma ausgerechnet ‚Googly’ nennt, scheint es mir unumgänglich, die DVD mehrfach anzusehen.
Wer so was langweilig findet ist sowieso im falschen Film.

Fotos + Trailer: capelight pictures

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