Film

Beitragsseiten

Rezensiert! Wolfman

Für Lon Chaney jr. war es der absolute Durchbruch: im Film ‚The Wolf Man’ (Der Wolfsmensch) spielte er 1941 zum ersten Mal des heulende Pelzmonster. Und später noch einige Male.
Der Schwarz-Weiß-Film – damals wie heute von ‚Universal’ produziert, das vor allem in den 1930er und 40er Jahren als Horrorspezialist galt – ist ein Klassiker.

Menschen, denen so etwas Freude macht, sei sehr empfohlen, die DVD zu genießen, gerade und besonders im Vergleich mit dem neuen ‚Wolfman’, der sich erklärtermaßen als eine Hommage an das sechzig Jahre alte Gruselstück versteht. So bleibt das Inhaltsgerüst das gleiche, sogar die Namen wurden übernommen.

Larry Talbot kehrt aus dem Ausland ins Schloss seiner Ahnen zurück, weil sein Bruder verstorben ist. Er wird von seinem Vater, Sir John, empfangen, er begegnet einer schönen Frau, Gwen Conliffe, in die er sich verliebt, sowie durchziehenden Zigeunern – denn es soll eine Zigeunerlegende sein, die Larry immer wieder zu hören bekommt:
Even a man who is pure off heart,
And says his prayers by night
May become a wolf when the Wolfbane blooms
And the autumn moon is bright…

Oder: auch dem Tugendsamsten kann es unter erschwerenden Umständen passieren, dass er zum Wolf mutiert.
So trifft es den zwar großen und athletischen, doch wirklich sanftmütigen Larry. Er verteidigt ein Opfer gegen das geifernde Untier (damals der undeutlich wahrzunehmende Schattenriss eines angebundenen Schäferhundes, der sogar aus Versehen wedelt) und zwar zufällig mit einem Spazierstock, dessen Griff ein silberner Wolfskopf ziert. Werwölfe, muss man wissen, sind nur durch Silber, die symbolische Verbindung zum Mond, zu erledigen. Unglücklicherweise bekommt Larry jedoch bei der Aktion einen Biss in die Brust, das heißt, er infiziert sich und fängt an, den Mond mit ganz anderen Augen zu betrachten.
Übrigens wird er seinerseits, wenn es ihn überkommt, keineswegs zum Schäferhund. Vielmehr verwandelt er sich in ein Geschöpf, das wir inzwischen aus vielen guten oder schlechten Werwolf-Filmen kennen, eine Art schnauzenloser Teddybär mit überentwickeltem Gebiss und dicker Perücke.

Der damalige Chefmaskenbildner von Universal, Jack P. Pierce, orientierte sich nämlich besonders an Bildern von so genannten Wolfsmenschen - früher gern auf Jahrmärkten oder in Freak Shows gezeigt - die an Hypertrichose leiden, einer übermäßigen Körper- und Gesichtsbehaarung, die in krassen Fällen nur Handflächen und Fußsohlen frei lässt. Es wird vermutet, dass dieses Phänomen zur Bildung von Werwolflegenden beitrug.

1941 war ein Computer eine raumfüllende Rechenmaschine und der Begriff Computeranimation unbekannt. Pierce klebte dem still liegenden Chaney einfach immer mehr kleine Fellbüschel ins Gesicht, was jeweils fotografiert und später als Film abgespult wurde – eine für den damaligen Zuschauer beeindruckende Verwandlung.
Der haarige Larry, der bei Mondlicht wie ein Schlafwandler ohne sein Tagbewusstsein umherstreift und mordet, leidet schreckliche Gewissensqualen.

Zuerst lehnt er die absurde Werwolf-Idee, die ihm eine alte Zigeunerin erklärt hat, als moderner Mensch ab. Aber nach und nach, auch, weil seine schwere Bisswunde nach wenigen Tagen wieder verschwunden ist oder weil er entsetzt beobachtet, wie seine Füße und Beine zu Pelzpfoten werden (Fellbüschel für Fellbüschel), muss er sich schuldig fühlen.
Die Dorfbevölkerung teilt diese Ansicht und würde ihn (bei Tag, versteht sich) gern lynchen. Sein würdevoller Vater verteidigt ihn jedoch, unterstützt von einem Doktor, der Larry hauptsächlich rät, sich einfach zu beruhigen. Was diesem nicht gelingt, so dass er beim nächsten Vollmond, ohne zu wissen, was er tut, seine geliebte Gwen durch die Wälder jagt und zum Kreischen bringt…



Damals dachte sich Curd Siodmak die schreckliche Geschichte aus. Drehbuchschreiber Andrew Kevin Walker (Sleepy Hollow) und David Self (Road to Perdition) haben sich mit behutsamen Archäologenpinselchen daran gemacht, den schlimmsten Altersstaub zu entfernen und das Kunstwerk so aufzufrischen, dass es auch dem heutigen Betrachter die Haare zu Berge stehen lässt und trotzdem seinen antiken Charme bewahrt. Meiner Ansicht nach ist das überwältigend gut gelungen.

Zunächst wurden die Talbots und ihr Anwesen aus der ‚Gegenwart’ in das Jahr 1890 versetzt, Nebel wabert durch englische Wälder und matte Gasbeleuchtung zwinkert in London, die Jahreszeit liegt irgendwo zwischen November und Februar, wir sehen kahle Bäume und bedrückende Düsternis.
Eine Atmosphäre, in der sich jedes Gespenst behaglich fühlen würde.

Ebenso sind die Personen mit tieferen Schatten ausgemalt und feiner psychologisch fundiert.
Der Hauptdarsteller (Benicio Del Toro) ist erwachsener geworden, weshalb er folgerichtig nicht mehr Larry, sondern Lawrence heißt. Sein Gesicht wirkt von Anfang an zerquält und dazu hat er jedes Recht: als kleiner Junge erlebte er das Trauma, seine schöne Mutter in den Armen seines Vaters im Garten zu finden, nachdem sie sich selbst offenbar gerade mit einem Rasiermesser die Kehle durchgeschnitten hatte.

Lawrence war lange von Zuhause fort, wurde in Amerika ein erfolgreicher Schauspieler und ist nur zurückgekehrt, weil ihn die Verlobte seines Bruders, Gwen Conliffe, in einem Brief darum bat: sein Bruder sei verschwunden.
Der hat sich allerdings inzwischen wieder angefunden, zumindest, was von ihm übrig blieb; eine undefinierbare Bestie oder ein Wahnsinniger hat ihn völlig zerfleischt.

Im malerisch verwahrlosten Familiensitz tappt Lawrences Vater, Sir John Talbot (Sir Anthony Hopkins) im Schlafrock umher, begleitet von einer grollenden dänischen Dogge und gern bewaffnet mit einer seiner Flinten: er hat viel gejagt, auch ‚in fernen Ländern’, manche Korridore des Hauses sind dicht an dicht mit den Geweihen seiner Beute bewachsen, auch ausgestopfte Raubtiere und Elefantenzähne zeugen von Vater Talbots Jagdglück.



Hopkins ist ein wunderbar rätselhafter Sir John. Nicht unfreundlich dem nach langer Zeit heimgekehrten Sohn gegenüber, aber deutlich kühl und distanziert; was er sagt, klingt eigentlich vernünftig und rational und doch schillert hier und da, wie ungewollt, kurz etwas Beängstigendes, Irrationales durch.
Auch Gwen (Emily Blunt) weilt noch in Talbot Hall und bittet den Bruder ihres ermordeten Verlobten, heraus zu finden, was passiert ist.

Das möchte Lawrence selbst gern wissen. Er hört sich im nahe gelegenen kleinen Dorf Blackmoor um, wo der Aberglaube wuchert, und bei den Zigeunern. Hier wird er von der Oberzigeunerin (Geraldine Chaplin in einer kleinen Rolle, aus der sie viel herausholt und fast nur mit den Augen spielt) gewarnt, er befände sich in großer Gefahr. Und da tobt es auch schon durch das Zigeunerlager, ein nicht näher zu identifizierendes grausliches ‚Etwas’, das mit Klauen und Zähnen mordet. Lawrence verfolgt das schreckliche Wesen, wird prompt angefallen und entkommt knapp mit dem Leben, eine grässliche Wunde zwischen Schulter und Brust.

Gwen pflegt ihn tagelang aufopfernd und die Verletzung heilt – zwar nicht, wie im ursprünglichen Film, fast über Nacht, aber doch in unziemlicher, stutzig machender Hast.
War im alten ‚The Wolf Man’ zwar viel vom Mond die Rede, so sah man ihn eigentlich nie. Im Remake ist er – hin und wieder auch durch Sir Johns Fernrohr betrachtet – allgegenwärtig, riesig, schicksalhaft. Immer wieder eingeblendet, erkennen wir an ihm, wie die Tage vergehen und er sich erneut rundet.

Lawrence, der nicht umhin kann zu bemerken, dass sich zwischen ihm und Gwen tiefere Gefühle entwickeln, schickt sie sehr energisch zurück nach London: er könnte es sich nie verzeihen, wenn ihr etwas zustoßen sollte.
Aus London ist derweil ein interessanter schnauzbärtiger Mann angereist, Inspector Aberline von Scotland Yard (Hugo Weaving), denn die Behörden möchten gern wissen, was es mit den seltsamen Mordfällen auf sich hat.
Auch Aberline bekommt eine Menge Geschwätz zu hören von Werwölfen und silbernen Kugeln und so weiter.
Auf jeden Fall ist das Ungeheuer unterwegs. Es richtet unter den Bewohnern von Blackmoor schreckliche Blutbäder an. Zwar haben die in den vergangenen Wochen aus Silberlöffeln massenhaft Gewehrkugeln gegossen; das nützt nur leider nichts, weil sie zu aufgeregt und ängstlich und zu schlechte Schützen sind.
1941 spritzte kein Blutstropfen, man verlegte Mordszenen hinter dicke Baumstämme und überließ das Publikum seiner Phantasie.

2010 weiß jeder Säugling, was Splatter ist und man würde es einem Horrorfilm ernsthaft verübeln, wenn er sich zimperlich zeigt. Der Zuschauer ist also bestens informiert darüber, weshalb Lawrences Hemd so rot und braun gefleckt ist, als er morgens unter einem Baum erwacht.
Inspector Aberline meint es ebenfalls zu wissen.



Weit entfernt davon, an Sachen wie ‚Verwandlung’ zu glauben, stecken die aufgeklärten Menschen von 1890 den irren Massenmörder in eine entsprechende Anstalt.
Hier wird er sogar fortschrittlich behandelt, ganz der damaligen Praxis entsprechend, den Wahn durch Schock zu brechen. Sie tauchen den Gefesselten immer wieder in Eiswasser, spritzen irgendwelche gut gemeinte Chemie in seine Halsvenen und verpassen ihm sogar die gerade noch in der Entwicklung befindlichen Elektroschocks. Der Arzt (mit dem schönen deutschen Namen Dr. Hoenegger: Anthony Sher) tut das zum Wohl des Patienten und der Wissenschaft, der kichernde Krankenpfleger aus privatem Sadismus. Und man fragt sich beim Zusehen, ob man nicht lieber als der aufgeklärten Wissenschaft dem Werwolf in die Klauen fallen würde: das ginge doch jedenfalls schnell.

In seiner Zelle liegt Lawrence zwischen den Behandlungen angekettet – als sein Vater ihn besucht und ihm einige kleine Familiengeheimnisse verrät, die ihn auch nicht beruhigen.
Ausgerechnet einen Vollmondtermin hat sich Dr. Hoenegger ausgesucht, um dem Kollegium den interessanten Fall des jungen Talbot, der sich für eine Art Wolf hält, vorzustellen. Lawrence, gefesselt und verschnürt, bringt die gelehrten Herren zum Schmunzeln, als er ihnen prophezeit, er werde sie alle töten. Und während der Arzt, mit dem Rücken zum Patienten, ungebremst seinen Vortrag hält, wird dieser Patient hinter ihm knackselnd, knirschend und Augen rollend zur behaarten Bestie, die ohne weiteres ihre Fesseln sprengt, seine Peiniger zu Hackfleisch verarbeitet und ins nächtliche London entkommt. Inspector Aberline macht alle Polizeikräfte mobil. Wieder, wie schon im Dorf, jagt man das Tier und schießt. Diesmal zwar treffsicher, doch eben nur mit Kugeln aus Blei…

Das Thema an sich ist grotesk, weshalb auch die Filme irgendwann grotesk werden, der alte wie der aktuelle, jeder auf seine Art. Das wird nur demjenigen unangenehm auffallen, der Horrorfilme sowieso nicht mag.
Man hätte noch viel mehr auf raffinierte Animation setzen oder, im Gegenteil, die Sache psychologisch-intellektuell aufblasen können. Darauf ist angenehmerweise verzichtet worden.

So erzählt ‚Wolfman’ eine uralte Geschichte neu, auf redliche Art und mit größtmöglichem Respekt vor dem Ursprung. Das geht bis in kleinste Details, wie beispielsweise, dass Gwen, wie ihr Vorbild von damals, in einem Antiquariat verkauft oder dass Lawrence ganz den gleichen Stock mit silbernem Wolfskopf trägt wie Larry.
Das Drehbuch ist weder geschwätzig noch wortkarg, es hält sich genau im Rahmen dessen, was es sein will: das großartige Remake eines berühmten Horrorfilms.
Besser hätte man es nicht machen können.


("Trailer", ca. 1,31 Min.)

Wolfman
(The Wolfman)
Horror/Thriller - USA 2010
FSK: Freigegeben ab 16 Jahren - 102 Min.
Start: 11.02.2010

Fotos + Trailer: Copyright Universal

Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)

Kommentare powered by CComment