„The Neon Demon”. Wo Schönheit zum tödlichen Abgrund wird
- Geschrieben von Anna Grillet -
Ekel ästhetisch edelster Art wird zur schwelgerischen Hommage an die frühen Werke von Luis Buñuel und Dario Argento. Eine wundervoll verstörende Groteske, deren suggestive makabere Bilder sich eigentlich selbst genug sind.
Der surrrealistischer Horror-Thriller „The Neon Demon” des dänischen Regisseurs Nicolas Winding Refn polarisierte in Cannes Publikum wie auch Kritiker. Die einen buhten, die anderen waren hingerissen. Tatort des mysteriösen Epos’ ist die Modeszene von Los Angeles, die Stadt der großen Träume und gefährlichen Illusionen. Bisher hatte Refn männliche Archetypen zu seinen Protagonisten gemacht, ob gewalttätiger Gefangener („Bronson”, 2008), nordischer Krieger („Valhalla Rising”, 2010), furchtloser Einzelkämpfer („Drive“, 2011) oder rachsüchtiger Polizist („Only God Forgives”, 2013). Frauen waren bei ihm nur Prostituierte, schlechte Mütter oder die Freundin des Gegners. Nun entdeckt er das weibliche Wesen als Leinwandheldin, und es steht den Machos an perverser Brutalität in nichts nach.
Ein blondes Mädchen blutüberströmt, kunstvoll auf einem Sofa drapiert. Schon in der ersten Einstellung des Films begreift der Zuschauer, in dieser Welt ist alles nur Geometrie, Form, Farbe, Fläche, Licht, Kontraste, da werden auch die gestelzten spärlichen Dialoge fast überflüssig. Der Raum als verlässliche Orientierung löst sich auf. Nicolas Winding Refn treibt die Äußerlichkeit zum Äußersten, selbst Nekrophilie ist hier von bestechender Schönheit. Es gibt keine Innerlichkeit außer die der Innereien. Jede Bewegung ist akribisch inszeniert, ein Triumph atemberaubender Kreativität. Die Sinnlosigkeit und Leere von L.A. hat der Regisseur zusammen mit Kamerafrau Natasha Braier exquisit absurd in Szene gesetzt, das Tempo grenzt an Slow Motion. Der Meister kennt weder Kompromisse noch Angst vor Klischees, die verkehrt er eh gleich ins Gegenteil, unterläuft so jegliche Erwartungen. Der Däne eifert seinem Mentor nach, dem chilenischen Surrealisten Alejandro Jodorowsky und der griechischen Legende von Narziss, der selbstverliebt in seinem Spiegelbild ertrinkt.
Jesse (Elle Fanning) kommt aus der Provinz. Model möchte sie werden. Blonde Lockenfülle suggeriert engelsgleiche Unschuld und zieht unweigerlich das Böse an. 16 Jahre ist sie alt, aber sie gibt sich als 19 aus, 18 wäre zu offensichtlich. Die Agentur will die Kleine mit dem pfirsichfarbenen Teint zum Star hochpushen. Sie hat jenen großäugig verschreckten Blick eines Rehs, das von den Scheinwerfern eines Autos geblendet wird. Noch ist sie kindlich unbeholfen und wortkarg, aber bald schon wird die ehemalige Landpomeranze jene betörende Überlegenheit der Macht ohne jede Skrupel ausspielen. An diesem Tag trifft sie auf Visagistin Ruby (Jena Malone), die Ältere gibt sich kumpelhaft und erfahren, hilft nur zu gern beim Abschminken des künstlichen Bluts vom letzten Fotoshooting. Die Luft flirrt vor Begierde. Außer Eifersucht, Neid und Rache haben Gefühle hier längst ausgedient. In der Diskothek beäugen Sarah (Abbey Lee) und Gigi (Bella Heathcote) misstrauisch die neue Konkurrentin. Der Anblick der beiden ultramageren Models lässt einen erschaudern. Sie sind seltsame Karikaturen ihres Berufsstandes, bis zur sterilen Künstlichkeit entstellt. Refn bringt uns seine Akteure nicht als Menschen näher sondern als verfremdete Objekte der Pop-Kultur.
Der 45jährige Kult-Regisseur hatte es immer schon auf die Augen abgesehen, da wurde mit einer Gabel zugestochen oder dem Obstmesser, aber nicht damit wir wegsehen sondern hinsehen. Die Augen sind für Refn das Herzstück des Kinos wie der Wirklichkeit, Inbegriff von Erleben, Kunst, Selbstwertgefühl. Gesehen werden, auf dem Laufsteg im Lampenlicht zu stehen, darum geht es in L.A. „Schönheit ist nicht Alles, es ist das Einzige“, so postuliert es am Ende die Protagonistin und verkündet damit ihr eigenes Todesurteil. Refn zelebriert Schönheit als weibliche Dreifaltigkeit, auch wenn Jesse aus dem Dreieck hinaustritt, bleibt ihr kaum Bewegungsfreiheit auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten. Salvatore Dali, David Lynch, Stanley Kubrick, David Cronenberg, Ingmar Bergmann, Mark Robson, der Zuschauer begegnet ihnen allen irgendwann in diesem Tal der Puppen. „The Neon Demon” explodiert vor Referenzen anderer Filme und bleibt doch unverwechselbar. „Magie ist überall”, hieß das Credo von Dario Argentos „Suspiria” (1977), jedes Stück in diesem bizarren Universum hat sein Eigenleben mehr vielleicht als die Akteure aus Fleisch und Blut.
Das heruntergekommene düstere Motel-Zimmer, in dem Jesse absteigt und dem sie auch trotz ihres Erfolges treu bleibt, ist mit seinen verblichenen Ornamenttapeten, den Hibiskusblüten auf der Bettdecke und Paradiesvögeln auf den Vorhängen verführerischer, als die Models es je sein werden. Es ist ein morbider abenteuerlicher lasziver Charme, dass ein Berglöwe hier Zuflucht sucht und alles verwüstet, scheint völlig natürlich. Jesse träumt, der zwielichtige lüsterne Hotelmanager (Keanu Reeves) ramme ihr ein Messer in den Rachen. Sie wacht auf, kann gerade noch die Tür verriegeln und hört, wie jener Hank zum nächsten Zimmer weitergeht und dort ein Mädchen vergewaltigt. Sie lauscht unbeweglich, ruft dann nicht etwa die Polizei an, sondern Ruby, die sie einlädt auf ihr luxuriöses Anwesen. Die Maskenbildnerin versucht Jesse dort mit Gewalt zu verführen, aber die Sechzehnjährige stößt sie zu Boden.
Nicolas Winding Refn ist bekannt dafür, traditionelle Genres auf den Kopf zu stellen. Er fragte sich, bevor er mit der Arbeit zu „The Neon Demon” begann, ob es möglich sei, „einen Horrorfilm zu machen, aber ohne den Horror”. Dies ist seine Antwort: In der Morgue schminkt Ruby Tote für die Aufbahrung. Die Kamera zeigt, wie die Abgewiesene den Leichnam liebkost. Jesse in großer Abendgarderobe hält derweil auf dem Sprungbrett des leeren Swimmingpools einen Monolog über die Schönheit. Frauen würden töten, um so auszusehen wie sie, aber alle anderen könnten nur eine armselige zweitklassige Version von ihr sein. Hochmut kommt vor dem Fall, wenig später schon wird sie ermordet. Ruby, Sarah und Gigi baden genüsslich im Blut der verhassten Rivalin. Bei einem Fotoshooting wird Gigi schlecht. Verzweifelt versucht sich das Model zu übergeben. Sarah kommt grade herein, als sie einen von Jesses Augäpfeln erbricht und schreiend nach einer Schere greift, um sich die in den Bauch zu rammen. Die Kollegin zeigt keine tiefere Regung, greift nur langsam nach dem Auge und verschluckt es.
„Schönheit ist eine Währung, deren Wert ständig steigt. Im Lauf der Zeit ist sie allerdings immer kurzlebiger geworden, während unser Schönheitswahn immer extremer wird. Diese Besessenheit”, erklärt der Regisseur, „kann zu einer ganz besonderen Form des Wahnsinns führen”. Er selbst hat öfter Werbespots für Gucci, H&M und Hennessy gedreht, kennt also das Metier. „The Neon Demon” ist Refns ästhetisch ehrgeizigstes Projekt. Und doch fehlt ihm die trügerische Poesie des Bösen, die „Only God Forgives“, besitzt, es verlangt dem Zuschauer weniger ab als jenes grausam brillante Familien- und Racheepos. Aber Ekel hebt Moralität auf, hier wie dort. Vielleicht ist Refns Faszination mit dem Thema Sehen eine ganz persönliche. Er wird sich der Fragilität der Augen besonders bewusst sein, weil er fast farbenblind ist und keine mittleren Farbtöne erkennen kann. Bei der Arbeit hat der dänische Ausnahmekünstler jemanden an seiner Seite, mit dem er die Farbabstimmungen durchspricht. Umso unglaublicher, dass gerade er diese einzigartigen farblich verstörenden hypnotischen Tableaus kreiert. Der Soundtrack von Cliff Martinez’ sphärischen wummernden Elektroklängen verstärkt die unheilvoll dämonische Atmosphäre des grotesken Thrillers und Sias Song „It’s your turn to cry” (dt: „Du bist dran mit Weinen“) ist mehr als nur ein Subtext.
Originaltitel: „The Neon Demon”
Regie / Drehbuch: Nicolas Winding Refn
Darsteller: Elle Fanning, Jena Malone, Bella Heathcote, Keanu Reeves
Produktionsland: USA, Dänemark, Frankreich
Länge: 117 Minuten
Verleih: Koch Media
Kinostart: 23. Juni 2016
Fotos & Trailer: Copyright Koch Media
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