Einen Gesprächstermin mit Herbert Aly, dem Geschäftsführenden Gesellschafter der Hamburger Werft Blohm+Voss, zu erhalten, war weit unkomplizierter und zeitnaher als ich erwartet hatte.
Bei der Pressekonferenz des Elbjazz Festivals 2014 angesprochen, sitze ich eine knappe Woche danach in der Hermann-Blohm-Straße auf Steinwerder und blicke auf Schiffsmodelle, Hochglanzbroschüren, Krane, Docks und die Zinnen der Stadt.
Außer ihm ist noch Tina Heine, die Geschäftsführerin von Elbjazz, als Gesprächspartnerin dabei und es ist unschwer zu erahnen, worum es gehen könnte – um eines der schönsten Festivals der Hansestadt: dem Elbjazz Festival. Das jährt sich 2014 zum fünften Mal, was ebenso bedeutet, dass das Festival seit fünf Jahren die Hauptbühnen auf dem Gelände von Blohm+Voss bespielen kann. Das ist in einem großen Industrieunternehmen mit „sensiblen Bereichen“, wie es Herbert Aly zurückhaltend formuliert, nicht ganz einfach. Aber die Kultur und ausgerechnet die Jazzmusik hat es geschafft, diesen Ort im Hamburger Hafen für sich zu gewinnen und nachhaltig etwas im Unternehmen zu bewirken. Diesem Phänomen auf den Grund zu gehen, lohnt sich:
Claus Friede (CF): Erinnern Sie sich noch daran, was vor fünf Jahren in Ihrem Kopf vorging als Tina Heine und Nina Sauer auf Sie zukamen, um die Idee des Elbjazz Festivals vorzustellen?
Herbert Aly (HA): Genau genommen war es zunächst ein Mann, der auf mich zukam. Das war bei einem gemeinsamen Segeltörn, bei dem wir feststellten, dass wir die gleiche Leidenschaft teilen. Ihm fiel auf, dass ich Spyro Gyra – eine amerikanische Jazz-Fusion-Band – „Morning Dance“ hieß das Album, hörte. Und weil es so selten ist, dass in meinem Umfeld jemand Spyro Gyra mag, kamen wir ins Gespräch. Dieser Mann kam dann am Ende des Törns auf mich zu und erzählte mir von einer Frau, die ein Jazzfestival im Hamburger Hafen vorhabe und ob er ihr einmal meine Telefonnummer geben dürfe... ‚Naja, okay – mach mal’, antwortete ich und es lag kein halber Tag dazwischen, da rief mich Tina Heine an. Dieser Anruf dauerte – gefühlt oder vielleicht auch real – Stunden. Das war im Sommer 2009. Ihre Art ihre Idee zu erzählen war mitreißend und ich stand von Anfang an der Idee aufgeschlossen gegenüber, die Werft zu einem Bestandteil ihres Festivals zu machen. Allerdings hatte Blohm+Voss auch ein paar Probleme in dieser Zeit, es war nicht sicher, ob die Werft den Sommer 2010 überhaupt noch erleben würde und so konnte ich nicht gleich ‚ja’ sagen. Irgendwann hatte sie mich dann soweit, sie musste Planungssicherheit erhalten und ich riskierte das dann. Dass erste persönliche Treffen – es war ein Tag vor Weihnachten – dauerte sechs oder sieben Stunden und danach wusste ich alles über Elbjazz und Tina Heines Leben. Danach ‚nein’ zu sagen ging schlicht weg nicht mehr! Können Sie sich vorstellen, was ich einen Tag vor Weihnachten meiner Frau erzählen sollte? Wir wollten eigentlich gemeinsam Weihnachtseinkäufe machen... das gab Ärger!
Tina Heine (TH): Elbjazz war ein wichtiger Grund!
HA: Ja und es ist etwas Tolles daraus geworden! Es gab dann noch eine zweite Hürde –Tinas Idee, ihre Veranstaltung in den Docks zu machen. Optisch kann ich das sofort nachvollziehen, die beiden Elb-Docks haben eine Ausrichtung zum Sonnenuntergang, das klingt nach einer phantastischen Stimmung. Planerisch wäre das für uns eine Katastrophe gewesen, denn damals kamen Schiffe kurzfristig zur Reparatur nach Hamburg. Kunden für eine Vergnügungsveranstaltung abzuweisen wäre finanziell nicht gegangen! Zum Glück hatten die beiden Frauen bei der Besichtigung des Geländes ihre Akustiker dabei, die gleich abwinkten und so war das Thema schnell vom Tisch.
TH: Vielleicht ein kleines Dock mit Dach?
HA: Das war belegt und ändert nichts an den akustischen Problemen. Aber wir haben dann angeboten, eine Maschinenhalle freizumachen und die Open-Air-Bühnen auf dem Gelände zu verteilen und Tina schien damit sehr zufrieden. Das war im April und Ende Mai sollte das Festival sein. Damit war aber der gordische Knoten durchtrennt und sie durfte mit Elbjazz auf unser Gelände. Ab dieser Zeit ist sie ständig hier.
CF: Sie haben gerade gesagt, Sie seien von Anfang an der Festivalidee aufgeschlossen gewesen, was für ein solches Industrieunternehmen nicht selbstverständlich ist. Viele Hafenunternehmen und auch die Hamburg Port Authority sagen zu Recht, sie hätten mit ihrem Kerngeschäft zu tun und dafür Sorge zu tragen, dass der komplexe und komplizierte Mechanismus und die Abläufe eines Hafens garantiert sind. Jeder Hafengeburtstag und jede Veranstaltung kann also als Störung empfunden werden. Bei Ihnen offensichtlich nicht?
HA: Darauf gibt es gleich mehrere unterschiedliche Antworten. Neben Tinas insistierendem Charme und meiner Leidenschaft für Jazz und Funk gibt es sehr gravierende Gründe: Blohm+Voss ist kein gewöhnliches Unternehmen. Wir sind einer der sichtbarsten Bestandteile des Hamburger Hafens mit einer prägnanten Aura und einer besonderen Verbindung mit der Stadt Hamburg. Hier werden seit über 135 Jahren Schiffe gebaut – mit vielen Höhen und Tiefen. Ich glaube wir haben damit auch eine Verpflichtungen gegenüber der Stadt.
Der Ruf von Blohm+Voss hat verschiedene Facetten, positive und negative und die sind nicht immer durch Offenheit geprägt. Es gibt traurige Kapitel in der Vergangenheit und prekär ist auch, dass die Werft in den letzten Jahren für viele Marinen dieser Welt arbeitete. Das bringt einem Unternehmen in heutiger Zeit nicht sehr viele Freunde ein – auch wenn dies jetzt, soweit absehbar, Vergangenheit ist. Dass wir in Zukunft graue Schiffe bauen, ist nicht absehbar.
Für Dominik Lucius und mich war es wichtig, Offenheit gegenüber unserer Umgebung und unserer Stadt zu signalisieren und da bietet sich dieses Festival an. Im Übrigen passt Jazz und Werft sehr gut zusammen!
Wir waren 2009 dabei, uns von Thyssen-Krupp zu trennen und uns in die zivilen Bereiche aufzumachen.
Wir wollten jenen, die die Werft nur von der Nordseite kennen, einen anderen Einblick geben.
CF: Hamburger und Touristen sehen die Werft und hören sie auch, aber sie riechen sie nicht...
HA: Ganz genau, zum Riechen muss man schon herkommen. Und viele von denen, die hier her kommen sind überwältigt und nicht nur beim ersten Besuch. Es ist ein Blick auf Hamburg aus einer lebenden Industriekulisse heraus. Im Ruhrgebiet gibt es beispielsweise ehemalige Zechen, die Kulturzentren sind, sie können aber nicht mehr eine lebende Industriekulisse wiedergeben.
Hier findet der Besucher archaische Elemente von enormer Größe und gleichzeitig wird hier hochmoderner Schiffbau betrieben. Und das mitten in Hamburg! In Europa finden Sie nichts Vergleichbares mehr, weil große Werften in Hafenstädten und an deren Peripherie aufgehört haben zu existieren. Wenn bei uns die „QUEEN MARY 2“ dockt, dann lockt das rund zwei Millionen Menschen. Schifffahrt ist Leidenschaft, Sehnsucht und Fernweh.
TH: Und harte Arbeit...
CF: Harte Arbeit ist hier bei Blohm+Voss nach wie vor spürbar. Sie haben sich auch mit dem Elbjazz Festival eine Musik auf das Gelände geholt, die aus harter Arbeit entstanden ist, auf den Baumwollfeldern der Südstaaten der USA. Gibt es da irgendwelche Anknüpfungspunkte bei Ihrer Arbeiterschaft? Vielleicht ein besonderes Verständnis?
HA: Die Reaktionen waren sehr differenziert. Zunächst einmal hat es den Betrieb beeinflusst. Die Kollegen, die auf der Werft arbeiten, mussten erst einmal informiert werden und wir mussten dann Flächen für das Festival frei räumen. Ob nun jeder hier etwas mit Jazz anfangen kann lass ich mal dahingestellt – vermutlich eher nicht, denn es gab Stimmen während der ersten Proben, was denn der Katzenlärm sollte. Das war aber die Minderheit, vielmehr war die überwiegende Mehrheit neugierig und aufgeschlossen. Für die ‚Blohmer’ ist es wichtig und wertvoll anderen gezeigt zu werden: das machen wir – eine alte Industrie in der Moderne.
Wir hatten auch lange keine große öffentliche Veranstaltung mehr gehabt, die letzte war 2002 zur 125-Jahr-Feier des Unternehmens. In einem solchen regelmäßigen Rahmen ist hier open-air noch nie was passiert und alle Mitarbeiter merkten, hier kommt jetzt etwas Besonderes. Das erste Elbjazz Festival 2010 war eines mit gutem Wetter und einem tollen Programm und unsere Mitarbeiter konnten alle reinschnuppern. Schon während des Festivals und danach war klar, dies kann ein fester Bestandteil werden, denn ich habe – und das ist ungewöhnlich – keinerlei negative Stimmen gehört. Selbst niemanden, der gesagt hätte, das störe die Abläufe des Betriebs, denn das Gelände ist weiträumig genug. In diesem Jahr engagieren wir uns nun mehr denn je für das Festival und die Mitarbeiter finden es gut. 20.000 Menschen, die friedlich bei uns ein Festival feiern...
TH: Ja, das ist etwas, was für jedes der vergangenen vier Jahre Gültigkeit hat. Diese schöne, leicht beschwingte, relaxte Stimmung. Ich konnte beobachten, dass Leute mit geschlossenen Augen unter Kränen lagen und der Musik lauschten oder die Kulisse genießen. Blohmer laufen mit ihren Helmen vorbei, genießen sich und das Festival und sind stolz darauf hier zu arbeiten. Sie spüren wie begeistert die Besucher sind, auf der Werft zu sein. Wir bekommen von Festivalbesuchern dann Fotos, natürlich von den Bühnen und Musikern, aber viele auch von der Werftatmosphäre, von Blohmern und Schiffsschrauben.
CF: Warum haben Sie sich so für Blohm+Voss als Festivalort interessiert?
TH: Wir wollten den Jazz an Orte bringen, an denen man nicht mit ihm rechnet. In Konzertsälen erreicht der Jazz hier keine Masse. Die Frage: wie bringen wir Menschen zu dieser Musik, denn viele hören Jazz und wissen es gar nicht. Ungewöhnliche Orte meint jedoch auch, es sollen Orte sein, an denen sich Menschen wohlfühlen, und der Hamburger Hafen ist ein solcher Ort. Die Besucher, Hamburger wie Touristen, sind immer wieder von ihm begeistert, weil ein riesiges Schiff vorbei fährt, weil es Geräusche gibt, weil Schlepper und Barkassen den Strom befahren. Musik wird an Orten, die nicht für Konzerte stehen anders erlebt, sowohl für die Musiker als auch für das Publikum. Das macht einen gehörigen Reiz aus und wird zu einem neuen Erleben. Blohm+ Voss ist für mich genau einer dieser Orte, alles ist spannend, alles ist riesig, alles ist auch ein wenig fremd, schmeckt nach Abenteuer, riecht nach Arbeit. Ein Ort, den jeder kennt, aber eigentlich gar nicht kennt. Das gilt auch für Jazz, jeder glaubt zu wissen was Jazz ist, bis er merkt, Moment mal – das ist Jazz?
Für uns Festivalmacher war dieser lebendige Ort genau der richtige, mit seiner ständigen Veränderung, den unterschiedlichen Geräuschen – auch während der Konzerte. Es gibt dann Musiker, die auch auf diese Geräusche reagieren, wenn ein Kran mitten im Konzert sein Rückwärtsfahrsignal über das Gelände klingelt. Alles ist Prozess, ob Musik oder Schiffbau, alles kann entstehen und das passt einfach immens gut zusammen. Die African-Cuban Allstars kamen mit den braunen Blohm+Voss-Helmen auf die Bühne. Jazz-Musik kann mit dieser Situation extrem gut umgehen!
CF: Vertiefend zur Außenwahrnehmung von Blohm+Voss: Werben Sie mit dem Festival? Ist dies etwas, was bei Kunden genutzt werden kann, was auch Ihre Imagepflege angeht?
HA: Außenwahrnehmung hat eine sehr große Bedeutung, aber nicht in Hinblick auf Kunden. Wir verkaufen nicht ein einziges Schiff wegen Elbjazz mehr, im Gegenteil, wir müssen unseren Aufwand, den wir für Elbjazz betreiben, unseren Kunden vermitteln, warum wir uns so engagieren. Unsere Branche ist zudem extrem konservativ. Wir haben Kunden, die extrem hohe Sicherheitsansprüche haben, private und öffentliche und vor allem aus der Kreuzfahrerbranche. Wir betreiben einen gigantischen Aufwand, um nachzuweisen, wer auf dem Gelände ist und dafür Sorge zu tragen, dass keiner unbefugt irgendwohin kommt. Das ist allein schon eine Herausforderung – vor allem während des Festivals. Aber dies wird akzeptiert. Wir haben aber auch Kunden, die Jazzliebhaber sind und jedes Jahr im Mai aus Nordamerika, Russland oder anderen Regionen zu Elbjazz anreisen.
Nein, der Mythos, Blohm+Voss sei verschlossen, dem können wir hier etwas entgegensetzen. Das Unternehmen ist der Lieblingsfeind der Hamburger Linksradikalen, weil das Unternehmen vornehmlich Kriegsschiffe baute – diese Ära ist ja nun vorbei. Wir wollen uns aber öffnen und das ist ein Signal. Steter Tropfen höhlt den Stein, hoffe ich.
CF: Diesen Gedanken finde ich in diesem Zusammenhang bemerkenswert, weil das Elbjazz Festival in der Lage ist, Erinnerungen an diesem Ort neu zu kreieren und diesem Raum eine andere Bedeutung geben – eine „Positivierung“ hervorrufen können. Das eigene Erleben von 20.000 Besuchern während des Festivals wecken bei ihnen andere Erinnerungsbilder als zuvor und diese können über einen längeren Zeitraum nachhaltig tragen...
TH: ...diese Nachhaltigkeit war auch uns wichtig. Wir wollten nicht nur einmalig hierher kommen, sondern Elbjazz ist mit diesem Ort und mit Blohm+Voss verbunden, hier ist das Zentrum des Festivals und es funktioniert.
CF: Vor mir liegt eine Hochglanzbroschüre auf dem Tisch über einer Kooperation von Blohm+Voss mit Zaha Hadid Architects (ZHA), den „Unique Circle Yachts“, bei denen der Begriff „Jazz“ auch eine Rolle spielt. Zufall oder Ansteckung?
HA: Da kann man jetzt viel reininterpretieren... Wir wollten gerne etwas Exklusives machen, aber als kleine Familie, als „unique circle“. Jedes der fünf Schiffsmodelle, die von Zaha Hadid designt wurden, müssen Unterschiede zulassen und die Improvisation spielt hier eine ganz große Rolle. Es sollte erkennbar sein, dass es eine Produktfamilie ist, jedoch flexibel genug, dass sich Individuen darin wiederfinden. Es ist wie mit dem ersten Ton einer bestimmten Posaune, man hört Nils Landgren spielen, obwohl viele dieses Stück spielen könnten und so soll es auch bei der Serie dieser Schiffe sein. Man muss erkennen es ist Zaha Hadid und Blohm+Voss aber es muss Nuancen geben und den jeweiligen Eigner reflektieren. Über Farben redet jeder mit und über Namen redet jeder mit und das tagelang, sogar monatelang – ohne Ergebnis. Wir kamen auf den Namen „Jazz“, zunächst als Arbeitstitel. Weil Patrik Schumacher, einer der Direktoren von ZHA, aber genau zum Elbjazz-Wochenende hier war und während unseres Kick-offs die Proben liefen und irgendwo jemand „Take Five“ spielte, passte das nicht nur, wir haben uns einstimmig auf den Namen „Jazz“ für die erste Yacht aus der Serie geeinigt.
Dr. Herbert Aly studierte an der Hochschule der Bundeswehr (Hamburg) und an der Universität Hannover Maschinenbau und promovierte an der Technischen Universität Hamburg-Harburg.
Es war bis zum 01.02.2012 Mitglied des Vorstandes der ThyssenKrupp Marine Systems AG und ist heute Geschäftsführender Gesellschafter der Blohm+Voss Repair GmbH und der Blohm+Voss Shipyards GmbH.
Elbjazz Festival
Weitere Informationen zum Elbjazz Festival.Abbildungsnachweis:
Header: Tina Heine und Dr. Herbert Aly vor der Maschinenbauhalle Blohm+Voss. Foto: Felix Borkenau
Galerie:
01. Herbert Aly. Foto Felix Borkenau.
02. Elbjazz Festival auf der Werft Blohm +Voss. Foto: Christian Sparbier
03. Claus Friede, Tina Heine und Herbert Aly, während des Gesprächs. Foto: Felix Borkenau
04. Elbjazz Festival bei Blohm +Voss. Foto: Stefan Malzkorn
05. Festivalleiterin Tina Heine. Foto: Felix Borkenau.
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