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Reeper-, Reeper-, Reeperbahn - die Kunst des Musikfestivals

Wem die Schlangen zu lang, die Eintrittskarten zu teuer sind oder wer sich einfach neben Musik auch für Visuelles interessiert, kann beim Reeperbahn Festival in Hamburg im Bereich Kunst fündig werden: Ein Zwischenfazit.
Gemütlich und ganz nah dran: Die Vernissagen und Kunstausstellungen beim Hamburger Reeperbahn Festival finden überwiegend in kleinen, intimen Orten statt – und laden häufig auch noch zum Plausch mit den anwesenden Nachwuchskünstlern über ihre Arbeiten ein. In lockerer Atmosphäre hat man häufig das Gefühl, sich eher auf einer WG-Party mit guten Freunden zu befinden, vor allem, weil auch bei der Kunst die Musik auch nicht zu kurz kommt.

Der Rundgang am ersten Tag zeigt: Im Gegensatz zum Musikbereich muss bei der Kunst so gut wie nie angestanden werden: Im Gegenteil, meist ein fröhliches Durchwinken am Einlass ohne Bändchenkontrolle oder unerbittliches Türsteher-Gehabe. Den Anfang macht der Nochtspeicher, der gleich mehrere Arbeiten beherbergt. Im geräumigen Barraum im Erdgeschoss ist zentral das überdimensionale „Brüllwürfel-Projekt“ aufgebaut, ein monströser Turm aus Ghettoblastern und Kassettenrekordern, die über-, auf- und nebeneinander gestapelt sind. Da knackt und knarrzt, scheppert und plärrt es aus den Lautsprechern, mit fetten Beats und tanzbarem DJ-Mix kommt aber direkt gute Stimmung auf. Das Projekt stammt von Constantin Kratzert, Jurek Urbanski und Jonas Franke, die oben am Mischpult rumturnen. Vielleicht nicht auf den ersten Blick zu erkennen: Einige der Boomboxen zeichnen zugleich ein Mixtape des jeweiligen DJ-Sets auf. Interessant ist das Konzept auf jeden Fall, aber nach einmaligem Umrunden des Blocks ist’s aber auch schon wieder vorbei mit dem Anschauen.

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Praktisch, dass um den Brüllwürfel die Fotos von Stefan Malzkorn von der Decke hängen, der die Musikszene Hamburgs seit Jahrzehnten mit seiner Kamera dokumentiert. In seiner Ausstellung „Rock’n’Roll“ zeigt er einen Querschnitt seiner Arbeit, darunter Porträts von Größen wie Muse, Faith No More, Jan Delay und Tocotronic, ebenso wie viele Konzert-Momentaufnahmen von Hamburger Musik-Events wie dem Dockville, Hurricane, Open Air im Stadtpark und natürlich dem Reeperbahn Festival. Angesichts der durchdringenden Bässe des Nachbarprojekts ist allerdings kein wirklich ruhiges Betrachten der Bilder möglich, und schon nach einer Weile wird die Lautstärke des Brüllwürfels dann doch etwas anstrengend. In der Hoffnung auf das etwas entspanntere Audio-Projekt „St. Pauliscapes“ von Klangkünstler Lasse-Marc Riek, der die Sounds des Viertels aufgenommen und zu einer Raumkomposition zusammengestellt hat, geht es dann in das Kellergewölbe – leider zu spät: Das Projekt wurde für den Tag abgeblasen, da noch zu wenig Besucher da waren. Vielleicht nicht ganz verwunderlich für einen Abend unter der Woche: Das Projekt soll aber an den nächsten Tagen wie geplant stattfinden, verspricht man uns.

Deswegen geht es weiter ins naheliegende Sankt Pauli-Museum, wo „Die Clubgeschichte(N) Sankt Paulis“ anzuschauen sind. In der Ausstellung wird die Hamburger Musikszene und die Geschichte des Viertels mithilfe von Fotografien und Dokumenten genauer beleuchtet. Das Museum kennen in Hamburg wohnhafte Kulturinteressierte wahrscheinlich schon gut, daher ist die Ausstellung vor allem für Nicht-Einheimische zu empfehlen. Das Sankt Pauli Museum wird aber auch am letzten Tag des Reeperbahn Festivals zur Bühne für Musikerin Stefanie Hempek werden, die normalerweise das Publikum mit ihrer Beatles-Führung durchs Viertel leitet und nun das musikalische Abschlusskonzert im Museum zum Besten geben wird.

Am zweiten Tag steht der Kunstkalender auch schon wieder proppevoll. Gestartet wird dieses Mal beim imposanten East Hotel, in dem die Fotografien von Jürgen Vollmer zu betrachten sind. Angesichts des offiziellen Charakters von Eingangshalle und Raum-Interieur schrecken die ersten Besucher allerdings schon an der Eingangstür zurück. Wer sich doch hineinwagt, muss den Ausstellungsraum erst einmal erfragen: Die Bilder des Fotografen hängen nämlich verteilt im Barbereich des Hotels aus – teilweise über den Tischen, an denen bereits Gäste Platz genommen haben. Als höflicher Reeperbahn Festival-Besucher bleibt da nur die Betrachtung aus der Distanz. Leider gehen die Fotografien so hoffnungslos im extravaganten Einrichtungsstil des Hauses unter. Nichtsdestotrotz: Hat man sich einmal an den anzugtragenden Herren an der Bar vorbei gearbeitet, können die Fotografien Jürgen Vollmers durchaus bestechen, vor allem seine Bilder aus dem Senegal sind sehr beeindruckend. Auch hier sind jedoch vorrangig Künstlerporträts von Stars wie Madonna, Romy Schneider, Robert Redford, Johnny Depp oder Heath Ledger zu sehen – Bilder von sicherlich ikonischem Gehalt, die aber in der Bar-Atmosphäre nicht recht wirken wollen.

Kurz darauf folgt aber das erste Highlight des Reeperbahn Festivalrundgangs: Die „reeper-reeper“-Ausstellung von Hamburger HAW-Studierenden in Haus Nummer „Hundertzehn“ auf der Reeperbahn. Durch einen bunt mit Graffiti geschmückten Treppenflur geht es hinauf in den 2. Stock in eine leergeräumte Wohnung, die den Studenten nun als Ausstellungsfläche dient. Knapp dreißig Arbeiten sind hier zu betrachten (und zu erwerben), ebenso bunt wie düster, vorwiegend Malerei, Zeichnungen und Illustrationen, aber auch Skulptur, Design und Fotografie. Knallig bunt kommen zum Beispiel die Bilder von Lena Schmid daher, bei Jens Cornils Arbeiten wird’s dagegen rabenschwarz – sogar die Kücheneinrichtung muss daran glauben. Lynn Dohrmann hat eine neue Art des Geschichtenerzählens entwickelt: In kunstvoll zusammengefalteten, farbig illustrierten Papierbögen erzählt sie kurze Begebenheiten. Die Wiesel-Bilder von Simone Kesting und der „Mobile Akten Vernichter“ von Judit Vetter lassen schmunzeln - bei der mit einem Zuckerwürfel-Stapel gefüllten Ecke im Zimmer fragt man sich dann aber doch: Beuys-Reminiszenz oder einfach nur Deko-Gag? Hier sind vergleichsweise viele Künstler und Künstlerinnen der HAW anwesend, die gemütlich mit Freunden beim Bierchen beisammen sitzen – und die angenehme Wohnzimmer-Atmosphäre springt über, so dass man gar nicht so schnell wieder gehen will.

Gott sei Dank ist der Weg nicht weit: Nur wenige Häuser weiter in Nummer „Hundertsechzehn“ befindet sich die Ausstellung „P/ARTikel 116“ – dafür werden dann wieder mehr die Ohren statt Augen benötigt. Vorwiegend sind hier Klanginstallationen in verschiedenen Räumen präsentiert – zum Beispiel zeigen Jan Schöwer und Christof Schnelle die Installation „Woyzeck, Körper und Bass“, die Teile des vorgelesenen Stücks mit Mini-Soundfitzelchen kombinieren – ziemlich lustig, das Ganze. Bei Johannes Boscher wird der Raum mit Faden und Kohle abgesteckt, dazu erklingen dann fast unerträglich durchdringende Klangwellen – wovon fast die ganze Wohnung erzittert, ebenso wie die Arbeiten von Miriam Bethmann, die aus Epoxidharz fast transparente Scheiben im der gegenüberliegenden Raumecke angebracht hat. Da uns unser Trommelfell doch noch etwas wert ist, geht es auch hier nach kurzer Zeit weiter.

Zu guter Letzt sind die Affenfaust und die Möwe Sturzflug dran, die quasi gegenüber voneinander liegen. In ersterer ist die interaktive Installation „Inside and Outside“ von David Siepert und Stefan Baltensperger zu sehen, bei dem der Telefonapparat im Raum willkürlich mit einem anderen irgendwo draußen verbunden wird – leider nimmt bei uns niemand ab. Deswegen noch schnell rüber in die Möwe Sturzflug, die um diese Uhrzeit schon rappelvoll mit jungen Party-Gängern ist. Das Bar-Flair ist auch hier gemütlich-gesellig. Wenn man die eher traurig-nostalgischen Bilder von Hauke Niether aber angemessen würdigen will, sollte man eher früher am Tag vorbeischauen.

Das Reeperbahn Festival endet am 28.09.2013.


Fotonachweis:
Header: reeper-reeper @ Reeperbahn Festival .Lena Meyer
Galerie:
01. Brüllwürfel-Projekt & Malzkorn's Rock'n'Roll @ Reeperbahn Festival. Foto: Lena Meyer
02. Hauke Niether: „Fernweh“ @ Reeperbahn Festival.
03. „Inside Outside“ @ Reeperbahn Festival. Foto: Lena Meyer
04. „Reeper Reeper“. Foto: Claudia Schäfer.

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