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Sie gehört zu den beliebtesten Schauspielerinnen Deutschlands, steht auf Theaterbühnen, gibt Lesungen, spricht Texte, spielt in Fernsehserien und ist auf der Kinoleinwand zu sehen – die Rede ist von Nina Petri.

 

In diesem Sommer ist sie 50 Jahre alt geworden, ein guter Grund, mit ihr eine Zwischenbilanz zu ziehen und überhaupt, sich einmal mit der gelassenen, entwaffnend ehrlichen und haltungsbewussten Frau zu unterhalten. Claus Friede traf Nina Petri in Hamburg-Ottensen und blickte mit ihr in die Vergangenheit, Gegenwart und auch etwas in die Zukunft.

 

Claus Friede (CF): Erinnern Sie sich noch daran, wann und wodurch Ihr Wunsch entstand, Schauspielerin zu werden?

 

Nina Petri (NP): Dieser Wunsch entstand bereits sehr früh bei mir – ich denke, ich war ungefähr fünf Jahre alt. Später dachte ich dann auch mal kurz daran, Stewardess zu werden, aber nicht wirklich aus einem innerlich verankerten Gefühl heraus. Regelrecht eingepflanzt war vielmehr die Liebe zur Bühne und so ließ ich mich in der Kindertheatergruppe des Jugendkulturhauses Hamburg-Eimsbüttel anmelden. Es gab dort allerdings eher Unterricht in Richtung „Wie werde ich Clown“, das fand ich doof und so konzentrierte ich mich dann eher auf das Krippenspiel meiner Grundschule. Ich sollte die Maria spielen, hatte aber meinen Text nicht gelernt und so wurde mir die Rolle dann weggenommen. Das wiederholte sich beim Erzengel Gabriel – wieder hatte ich den Text nicht gelernt – kurzum, es endete damit, dass ich als irgendein Engel, ohne Text, an der Seite stand.

 

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CF: War das frustrierend und eine Art Schule nach dem Motto: in Zukunft immer den Text lernen?

 

NP: Nein, eigentlich war ich etwas verpeilt, meine Vorstellungen entsprachen nicht der Realität. Neulich fand ich meine alten Zeugnisse wieder und ich las die Berichte der Lehrer, die an meine Eltern gerichtet waren. Darin war dann zu lesen, dass ich etwas kontaktscheu war, nicht gut lernte etc. Eigentlich war der Tenor, dass ich ein ziemlich schwieriges Kind gewesen war – verhaltensauffällig.

 

CF: Haben Sie sich damals auch selbst als schwierig empfunden?

 

NP: Ja, ich habe zumindest gemerkt, dass ich nicht zu den beliebtesten Kindern gehörte: Ich wurde nicht zu irgendetwas gewählt, ich kam in keine Gruppe richtig rein, aber ich konnte nicht anders sein als ich war... Ich habe dann oft den Clown gemacht, damit ich eine Anerkennung bekam und die anderen mich gut finden.
Ich erinnere mich daran, dass ich sehr in meinen Phantasien gelebt habe, eigentlich war das meine Rettung, weil ich mir in meiner Parallelwelt alles ausdenken und auch schön machen konnte.
Auch im Helene-Lange-Gymnasium (HLG) bin ich dann gleich in die Theatergruppe gegangen und habe Erfahrungen gesammelt. Ein Vater eines Mitschülers war Schauspieler und leitete die Gruppe. Besonders war für mich die Feier zum 75-jährigen Bestehen des HLG. Wir spielten Szenen aus Henrik Ibsens „Nora oder Ein Puppenheim“. Anwesend war die damalige Hamburger Kultursenatorin Helga Schuchardt. Sie sagte am Ende des Stückes zu meinem Lehrer, ich sei ein ganz großes Schauspieltalent. Das trug er mir später weiter. Das ging runter!


1981 gab es dann im Museum für Kunst und Gewerbe unter der Leitung des Museumspädagogen Nils Jockel eine Theatergruppe zur Tutenchamun-Ausstellung. „Lieber Tut als lebendig“ hieß das Stück, was wir dort regelmäßig – ich glaube insgesamt 25mal- aufführten und was ein großer Erfolg wurde. Das machte mir ungeheuren Spaß. Wir beschäftigten uns in dem Stück mit Totenkulten, dem Jenseits und Bestattungsritualen. Das war meine erste wirkliche Bühnenerfahrung!
Ich finde, auch aus heutiger Sicht, das Verführerische an dem Beruf, dass man nicht man selbst sein muss. Ein wenig Narzissmus spielte anfangs sicherlich bei mir auch eine Rolle und die Sehnsucht nach Anerkennung, Lob und Liebe, bis man irgendwann merkt, das ist ja alles gar nicht so...

 

CF: Sie haben eben davon gesprochen, Phantasien gelebt zu haben. Welche Art von Phantasie nützt Ihnen denn im Beruf etwas?

 

NP: Bei allen Rollen geht es darum, emotionale Zustände auszuloten, oft geht es auch um Abgründe und schließlich all das in sich selbst zu finden. Mich interessiert vor allem diese Reise ins Innere. Man trägt alles in sich. Wir Schauspieler sind Reservoire von Zuständen und Möglichkeiten und wir gehen immer wieder an unsere Schmerzgrenze und manchmal auch darüber hinaus. Im wirklichen Leben würden wir ja lediglich einen Bruchteil von dem tun, was wir in einer Rolle übersetzen. Diese Phantasie ist es, die den Beruf immer wieder spannend macht.


Ich erinnere mich an meine erste große Rolle für einen Fernsehvierteiler im Jahr 1989 „Rote Erde II“. Ich spielte die Fränzi Kruska in diesem Epos über ein Frauenleben in der Weimarer Republik, im Dritten Reich und schließlich über das Ende hinaus bis hin zum Wiederaufbau. Ich war eine Kommunistin im Alter von 20 bis 50, die gleich zwei Beziehungen hatte: zu einem Sozialisten und zu einem Kommunisten. Der erste wurde verhaftet und kam ins KZ, der zweite konnte nach England ins Exil gehen. Im dritten Teil gab es dann den Moment, in dem der Sozialist – der auch der Vater meines Kindes war und es noch nie gesehen hatte – aus dem KZ entlassen wurde und zurück in die Siedlung kam. Die Vorstellung, wie sich der Moment des Wiederfindens anfühlen könnte, hat mir wahnsinnig viel abverlangt. Ich habe versucht, diesem Moment mit einer inneren Demut zu begegnen, weil ich nicht sofort wusste, wie ich diesen spielen konnte. Und da stand er, abgemagert und wie ein Fremdkörper wirkt. Es war so als ob kein Gefühl mehr angemessen erscheint und dieser Unangemessenheit wollte und musste ich Raum geben. Ich konnte die Gefühle wie Schmerz, Angst, Freude, Befremden, etc. nicht mehr benennen.

 

CF: Hilft die Ausbildung an einer Schauspielschule diese Punkte in sich zu finden?

 

NP: Rein technisch gesehen würde ich sofort ja sagen. Die Schauspielschule hilft das Spiel zu professionalisieren, aber ob sie hilft, jene Gefühlsmomente in sich zu finden – da bin ich eher unsicher. Ich habe sehr viele Gefühlsmomente in meiner Kindheit durchlebt, davon habe ich profitiert, und dieser „Schatz“ war für mich abrufbar.
Andererseits muss man es im Leben nicht wirklich hart gehabt haben, um ein guter Schauspieler zu sein. Für mich gilt, dass ich durchlässig sein und mich immer wieder sensibilisieren muss.
Aus heutiger Sicht finde ich es extrem schwierig, immer ein guter Schauspieler zu sein! Ich müsste eigentlich ständig spielen, dran bleiben, um in einer konstanten Übung zu sein. Leider bin aber nicht wirklich ausgelastet. Das Angebot an Rollen ist nicht so wirklich umfassend gut und umfangreich.
Mal einen Drehtag an einem Filmset zu verbringen ist keine Konstante. Ich habe Angst davor, in Stereotypen zu verfallen, wenn ich nicht in Übung bleibe. Beim Film ist es sowieso schwer, denn es fehlt die Zeit zum Proben.
In dieser Hinsicht ist das Theater natürlich großartig, weil man dort ausprobieren kann und mehr Zeit zur Verfügung hat, etwas einzustudieren, und wenn es nicht wirklich passt, schmeißt man es weg und versucht etwas anderes. Ich brauche einen guten Regisseur, einen Spiegel, der mir zuschaut und sich dann auch traut, produktiv zu korrigieren.

 

CF: Das Thema Regie finde ich in diesem Zusammenhang spannend. Wie wichtig ist für Sie heute ein Regisseur?

 

NP: Das ist ein weites Feld! Ich habe mit Regisseuren unterschiedliche Erfahrungen gemacht, also muss die Antwort eigentlich lauten: ja, eine wichtige. Ich habe Regisseure erlebt, die mich total allein gelassen haben. Entweder wurde ich überschüttet mit Komplimenten, obwohl ich während der Proben das Gefühl hatte, dass an meinem Spiel etwas noch nicht ganz stimmig ist oder aber sie sagten gar nichts. Ich brauche einen guten Regisseur und weil ich nicht ununterbrochen Theater spiele umso mehr. Da kann noch der Regisseur kurz vor der Premiere eine Änderungsidee haben, Hauptsache ich werde nicht allein gelassen.


Einer, der auch wenig während der Proben in Zürich zu Dostojewskis „Der Idiot“ redete, war der lettische Regisseur Alvis Hermanis, aber er hatte im Vorfeld vor dem gemeinsamen Lesen der ersten 70 Seiten erzählt, was er haben möchte und nun sollten wir Schauspieler arbeiten. Lediglich am Ende der Proben hat er dann öfter einmal was gesagt und korrigiert. Hermanis hat uns wirklich gut geführt und wir konnten alles riskieren. Die Inszenierung war dann auch wunderschön!

 

CF: Während der Laufzeit eines Stücks ändert sich das Spiel meistens auch noch. Ich habe Vorstellungen gesehen, die viel besser waren als der Premierenabend, weil Schauspieler regelrecht mit der Rolle verwachsen sind...

 

NP: Ja, das geht mir nicht anders. Aber – wie gesagt – vor dem Hintergrund auch einen guten Regisseur zu haben.

 

CF: Wieso spielen Sie nicht häufiger Theater?

 

NP: Nun, das ist eben anders gekommen. Ich erinnere mich, dass ich zunächst davon ausging: Ich gehe ans Theater und werde eine der ganz großen. Das muss man auch so sagen, sonst kannst Du gleich sein lassen, es reicht ja keinem Mittelmaß.
Ich bin aus irgendeinem Grund bei den Intendanten nicht gelandet. Selbst mit meinen Lieblingsstück, Goethes „Iphigenie von Taurus“, dessen Anfangsmonolog ich zum Vorsprechen liebte, landete ich nicht. Ich habe das etwas burschikos vorgespielt, stellte mir die Bühne als Werkstatt oder Atelierraum vor und ich stehe da, in Arbeitskleidung, male und zeichne. Die Bilder zeigten den Ort an dem sie gerade ist, aber eigentlich nicht sein möchte.


Genommen wurden damals Anfang der 80er – und das ist keine Übertreibung – jene Kolleginnen mit engem Rock und großem Ausschnitt. Bei mir hat das nicht geklappt.
Statt dessen habe ich dann eine große Rolle beim Fernsehen bekommen. Aber die Krönung war dann, nachdem ich die Rolle in „Rote Erde“ übernommen hatte, dass der damalige Intendant des Theaters in Oberhausen zu mir sagte. „Ach, lassen Sie das doch mit der Bühne, Sie verdienen doch beim Fernsehen viel mehr Geld“.

 

CF: War das dogmatisch gemeint? Wer sich fürs Fernsehen entscheidet, hat beim Theater nichts mehr zu suchen?

 

NP: Ja, so habe ich es zumindest mehrmals erlebt.

 

CF: Schauspielerisch gibt es sowohl auf der Bühne wie im Film große Herausforderungen...

 

NP: Es gibt so großartige Filmrollen. Bei mir war eine solche 1993 die „Tödliche Maria“ von Tom Tykwer. Da musste ich nicht nur spielerisch auf den Punkt kommen, sondern wir agierten alle auch gegen eine mächtige Technik an. Beispielsweise eine Szene: drei Kameraperspektiven, und ich stehe auf einer rotierenden Drehscheibe und habe meine Telefonszene, ein sehr intensiver dialogpointierter Moment im Film. Die Rolle der Maria war eine solche Herausforderung. Ich mag Szenen, die theaterähnlich sind.


„My Daughter’s Tears“ (Meine Tochter ist keine Mörderin), eine deutsch-amerikanische Koproduktion war für mich auch ein Erlebnis. James Russo hatte die Rolle meines Anwalts. Dessen Spiel war mitreißend. Er arbeitete früher viel mit Regisseur John Cassavetes, den ich verehre – wie er Schauspieler führt ist grandios – und diese Art zu spielen merkte man an James Russo.


Als ich mit ihm in unserem Film Szenen probte, variierte er sein Spiel jedes Mal. Er bot der Regisseurin Sherry Horman immer wieder etwas Neues an. Russo war dadurch die ganze Zeit in seiner Rolle lebendig. Das hat mich immens mitgerissen und für eine außergewöhnliche Spannung gesorgt, denn ich wurde zum permanenten Reagieren aufgefordert. Und die Regisseurin hat das gesehen und auch reagiert!

 

CF: Gibt es heutzutage zu wenig Probenmöglichkeit?

 

NP: Nein, grundsätzlich glaube ich das nicht. Weniger als noch vor 20 Jahren bestimmt, aber Fernsehspiele haben eben auch entsprechende Bedingungen und man kann auch im Vorfeld viel proben. Das muss auch sein. Für die Produktionen, die auf Masse gemacht sind, wird sich kaum noch Probenzeit genommen.

 

CF: Wir haben nun viel über die Vergangenheit und Grundsätzliches gesprochen. Wie sieht das heute aus und an welchen Dingen arbeiten Sie gerade?

 

NP: Ich singe. Ja – ich weiß... singende Schauspieler, na klar – aber ich muss das gerade machen. Ich schreibe die Texte selbst, die zu meinem tiefen stimmlichen Ausdruck passen. Mit einer guten Instrumentierung und guten Musikern ist das eben auch Nina Petri. Ich bin dabei gelassen, frei und unabhängig und gehe darauf los!
Jetzt mit 50 sind meine Kinder flügge und ich kann mir den Raum erobern. Das heißt aber nicht, dass ich nicht weiter spielen möchte, gute Angebote nehme ich gerne an!


 


Fotonachweis Galerie:
01. und 02. Proben zu "Das Leben des Siegried", Nibelungen Festspiele Worms 2009. Privatarchiv Nina Petri
03. "Seine Braut war das Meer", (c) Hamburger Kammerspiele, 2011. Foto: Bo Lahola
04. Szene aus "Die Reise nach Kafiristan", (Jeanette Hain, Nina Petri). Foto: privat

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