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Biennale di Venezia

„One second please!” versucht ein Fotograf die Vorbeiziehenden im Eingangsbereich eines Pop-Art-Cafés erfolglos mit theatralischer Ansprache zum Stehenbleiben zu bewegen.
Sein Model steht genau hinter dem Strom der Besucher gleichmütig lächelnd, als erwarte sie gar keinen Erfolg des Unterfangens. Ein gelungenes Happening, das die verzweifelte Suche nach Aufmerksamkeit im aufgeregten Betrieb der 88 Pavillons und 155 Künstler (etwa so viele wie die letzten beiden Ausgaben zusammen) der 55. Biennale von Venedig kritisiert. Moment – ist das nicht...? Tatsächlich! Es ist Michel Friedmann, der versucht, Lebensgefährtin Bärbel Schäfer für ein Andenkenfoto ins rechte Licht zu rücken. Aber die aktuelle Biennale zaubert so viel Überraschendes aus dem Hut, dass auch der Auftritt der TV-Moderatoren gut als Programmteil hätte durchgehen können.

Die Idee der 55. Biennale ist, soviel wie irgend möglich von der Welt und ihrer Darstellung zu einer Art ‚Arche Noah der Kunst’ einzufangen. In der Hauptausstellung meidet der diesjährige Kurator Massmiliano Gioni fast alles, was sich im internationalen Kunstmarkt gerade gut verkauft. Er überlässt diese Geschäfte gerne der gerade mit Rekordzahlen beendeten Art Basel. Von Querdenkern, Heilern, Verrückten erhofft sich Gioni die rettenden Impulse für sein, eigentlich sehr bildungsbürgerliches Bestreben, der Kunst wieder zu Relevanz außerhalb von Museen und Verkaufsmessen zu verhelfen. Träume und Visionen sollen der Kunst ungeschäftsmäßige Unschuld zurückbringen.
Das könnte spannend sein, bei einigen der ausgestellten Außenseiterkünstlern ist jedoch das Getriebensein spannender als das resultierenden Exponat

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Die Phantasiekreaturen des jungen japanischen Autisten Shinichi Sawada sind faszinierend, ebenso die 80 Jahre früher geschnitzten, vergleichbaren Holztiere Levi Fisher Ames oder die Tauschbilder der Religionsgemeinschaft der Shaker. Bei der beängstigend sterilen, akkuraten Modellbaustadt eines österreichischen Hobbybastlers ist die museale Relevanz schwer erkennbar. Die 1944 verstorbene und gerade erst als vermeintliche frühe Abstrakte entdeckte Hilma af Klingt entlarven die ausgestellten Bilder eher als banale Esoterik-Illustratorin – auch Gioni ist eben nicht vor ‚Hypes’ gefeit.

Der von Gioni favorisierte intuitive, unterbewusste Zugang zum Kunstschaffen ist nichts Neues, die Surrealisten erhoben ihn zur wichtigsten Inspiration. Das „Rote Buch“ CG Jungs, in dem dieser Traumerlebnisse und Reisen ins Unterbewusste protokollierte und das Gioni einem heiligen Schrein gleich ins Zentrum des Hauptpavillons in den Giardini exponiert, galt auch den Surrealisten als Bibel. Das macht den Ansatz jedoch nicht weniger interessant.

Im Nebenraum ist viel Platz für den vielleicht wirkungskräftigsten Esoteriker unserer Tage, Rudolf Steiner. Davor lässt der als bester Einzelkünstler ausgezeichnete Tino Sehgal Akteure gurren, summen, singen und sich dazu verrenken.
Noch ein Raum weiter die (gemeinsam mit Frieda Harris gemalten) Tarotkarten des Okkultisten Aleister Crowley. Seine Bedeutung für die zeitgenössische Kunst erschließt sich nicht – davon abgesehen, dass ihn einige Künstler so schön verrucht-provokant finden.
In der Hauptausstellung in den Gärten finden bereits verstorbene Künstler und einige der Art Brut, darunter Besessene und Getriebene, mehr Raum als jemals auf einer Biennale.
Auch Titel und Inspiration entlehnte Gioni bei einem der Kunstwelt Fremden. Das Modell eines 700 Meter hohes enzyklopädisches Palastes des Weltwissens baute Marino Auritis, ein Italoamerikaner, nicht für eine Ausstellung. Er wollte den Turm tatsächlich bauen. So dekorativ der Turm nun am Eingang der langgestreckten Arsenalehallen steht: Große Kunst ist er nicht!

Im Arsenale-Teil der Gioni-Schau finden sich doch noch vertraute Namen des aktuellen Kunstgeschehens. Gioni überliess einen Teil seines Hauptpavillons Cindy Sherman für ihre faszinierende Fotokollektion. Richard Serra, Paul McCarthy, Rosemarie Trockel. Spannend die Plastikfiguren der Venezianer, die der polnische Allround-Künstler Pawel Althammer nach Maßnahme bei einigen Locals fertigte. Insgesamt ist der im Arsenale angesiedelte Teil der Enzyklopädie nachvollziehbarer und zugänglicher.

Gerade, als Verdruss einzusetzen droht, findet sich im Biennale-Wunderhorn Linderung: Dieser schwingende Vogelbeerenbaum hat etwas hypnotisches. Es ist schwer, den Blick von ihm zu lösen. Versteckt im hintersten Bereich des langgestreckten Lagerhauses. Im Lettischen Pavillon „North by Northeast“. Der Baum hat eine mysthische Bedeutung in Lettland, wo Versatzstücke paganen, naturnahen Glaubens, sehr präsent sind. Auch die Auswahl eines Künstlers, Salmanis, der immer in Riga lebte und eines vom Lande, des Fotografen Kaspars Podnieks, dessen Portrait-Fotos der Bewohner seines Heimatdorfes eine melancholische und sehr baltische Verbindung eingehen mit Krišs Salmanis schwingendem Baum.
Salmanis fand den umgeknickten Baum am Rande einer Landstraße. Das Schwingen deutet auf die schwierige Selbstverortung Lettlands hin. Als Kind lernte er, das sein Land die geografische Mitte Europas sei. Seitdem wurde diese Mitte nördlich, östlich und südlich Lettlands verortet. Und die Orientierung hat von Ost nach West gedreht. Salmanis meint, die Suche nach dem eigenen Platz, das Ein-Pendeln „wie ein alter Baum im Nordwind“ sei anregender als ihn zu finden. Die reduzierteren, ruhigeren Beiträge wirken nach dem Besuch der überbordenden, phantastischen Welt der zentralen Ausstellung erfrischend.

Das gilt auch für den anderen Baum, diesmal in den Giardini. Gerlinde de Bruyckeres „Krüppelholz“ (kuratiert und mit schönem Begleittext vom südafrikanischen Literaten John Maxime Coetzee) im belgischen Pavillon wirkt wie ein Ungetüm aus Urzeiten.
Seelenbalsam bietet auch die isländische Barke „Hangover“, auf der eine muntere Truppe italienischer Musiker durchgehend Trauermusik spielt, während sie auf dem Innenbassin der Arsenale schippern. Eine Szene wie aus einem Kaurismäki-Film, die noch jedem Besucher ein Lächeln ins Gesicht zauberte.

Ernsthafter die Verarbeitung der Wirtschaftskrise des Griechen Stefanos Tsivopoulos, der drei intelligente Videos zum Thema Geld drehte.
Die Biennale 2013 ist keine der lauten provokanten Töne. Dennoch lenken beteiligte Künstler den Blick in meist sehr intelligenter Weise auch auf Umweltzerstörung, Gewalt und Soziale Verwerfungen. Spannend das Video des Dänen Jesper Just, der einen Afrikaner durch eine trostlose und schon wieder zerfallender Paris-Kopie in China streifen lässt.

Einige der großen Kunstnationen enttäuschen diesmal. Bei Sarah Szes „Triple Point“ im USA-Pavillon wäre weniger (Aussagen, Materialien, Darstellungsformen) mehr gewesen, die moderne Danae-Version Russlands (oben schmeißen die männlichen Besucher Kunst-Geld rein, unten fangen es die weiblichen auf) wirkt etwas plump. Der deutsche Pavillon tauschte – wir feiern das Jubiläum der Elysée-Verträge – das Haus mit Frankreich. Ai Weiwei, Dayanita Singh, Santu Mofokeng und Romuald Karmakar sind darin mit gelungenen Arbeiten vertreten – nur fehlt jede erkennbare kuratorische Bemühung einer Verbindung zwischen ihnen.

Beeindruckend dagegen Jeremy Dellers britischer Pavillon. Schon der Eingang ist imposant. Zwei Banner mit Zitaten aus „The man who sold the world“ von David Bowie hängen beidseitig des Eingangsportals. Dazwischen ein Wandbild eines gewaltigen Raubvogels, der einen Geländewagen als Beute umkrallt. Einerseits Ausdruck der Verachtung des Radlers Deller gegenüber den Schnöselkarren auf Londons Straßen. Andererseits erinnert er dran, dass Prinz Harry mal mit dem Abschuss eines gefährdeten Greifvogels davonkam (die Polizei fand angeblich keine Beweismittel). Jeremy Dellers zeigt, wie anregend die Auseinandersetzung mit heimatlichen Befindlichkeiten sein kann. Tourfotos von David Bowie als Ziggy Stardust von 1972 stehen Aufnahmen vom zeitgleichen Eskalieren des nordirischen Bürgerkrieges gegenüber. Oligarch Abramowitsch Protzyacht parkte bei der letzten Biennale aufreizend direkt vor den Giardini. Jeremy Deller lässt auf dem zentralen Wandgemälde den frühsozialistischen Universalkünstler William Morris wie einen wütenden Meeresgott aus der Lagune aufsteigen, um die Yacht mit Wucht zu versenken. Malen ließ er es von einem Jugendfreund, der sonst Motorradtanks mit Airbrush dekoriert. Der malte auch das Wandgemälde eines künftigen Aufstandes der Steuerzahler gegen das Steuerschlupfloch Jersey. Zusammengehalten wird der Pavillon von der eindringlichen Musik einer Londoner Vorort-Steelband auf einem Video. Dellers Pavillon hat Rhythmus, Aussage und Stil und ist wohl der gelungenste der diesjährigen Biennale.

Ein Höhepunkt auch die Truppe der rumänischen Performancekünstler Alexandra Pirici und Manuel Pelmus, die eine Auswahl wichtiger Kunstwerke aus der Biennale-Geschichte ohne Hilfsmittel nachstellt, von Gemälden über Installationen bis zur Darbietung des Performance-Kollegen und diesjährigen Preisträgers Tino Sehgal.

Erstaunlich, dass nur wenige Künstler das Wasser als Ausstellungsfläche nutzen. Neben Island ist Portugals Pavillon seetüchtig, ein ehemaliger Hamburger Elbdampfer. Der wurde mit typischem portugiesischem Kunsthandwerk ausgeschmückt. Außen bemalte Kacheln, wie sie viele Häuser in Lissabon zieren, im unteren Deck eine gehäkelte Phantasielandschaft. Auf dem Sonnendeck sitzen die Besucher auf Hockern aus Kork. Dazu läuft –natürlich- Fado von Amalia Rodriguez. Und es gibt Keramikkunst und kleine Leckereien käuflich zu erwerben.
Klingt kitschig- ist aber wunderbar, besonders bei den zwei Bootsausflügen täglich durch die Lagune, Richtung Giudecca.

Wer auf Entdeckungsreise gehen will und auch bei drückender Luftfeuchtigkeit noch ausdauernd gut zu Fuß ist, dessen Paradiese sind die über die ganze Inselwelt Venedigs verteilten Pavillons der kleineren Länder und der Nebenausstellungen. Angola, dessen Stillleben von Sperrmüll aus den Straßen Luandas als bester Pavillon ausgezeichnet wurde, steht stellvertretend für eine Vielzahl charmanter, spannender Ausstellungen in vermodernden Palazzi mit viel Patina. Die oft eine wunderbare Symbiose mit den Kunstwerken eingehen.

Die beeindruckendste Ausstellung außerhalb der Pavillons ist Rudolf Stingl im Palazzo Grassi, den er als Kulisse seiner fotorealistischen Portraitmalereien durchgehend mit barocken Teppichen ausstatten ließ. In der technischen Perfektion beeindruckend auch die gigantischen fotorealistischen Gemälde und inszenierten Fotos Tong Hongshengs im Palazzo Boldoni- wenn auch hart am Rande zum Kitsch.
Formal ist die Vielzahl technisch perfekt gearbeiteter gegenständlicher Kunst, darunter zunehmend fotorealistische Malerei, auffallend und die eher geringe Zahl abstrakter Exponate. Beinahe erdrückend die Vielzahl der Videoarbeiten, wenngleich viele gelungene dabei sind.
Auch Lichtinstallationen – Bill Culberts Ausleuchtung des Palazzo Pieta bildet die beeindruckende Ausnahme – scheinen als Ausdrucksmittel passé.

Gionis Gemischtkunstladen ist bunt, voller Überraschungen und macht Lust auf ein trend-freieres und marktunabhängiges Kunsterlebnis. Er regt zur Überlegung an, was Kunst ist, sein sollte oder könnte – und vielleicht was doch eher keine große Kunst ist.
Und er gibt der in den letzten Jahren stark selbst-referentiellen Kunstszene durch den frischen Blick auf Außenseiter Impulse.
Für Venedig ist die Biennale vor allem eine willkommene Einnahmequelle. Rund 20 Millionen bringen alleine die Mieteinnahmen der Palazzi außerhalb von Giardini und Arsenale. Die Venezianer kümmert derzeit eher der Widerstand gegen die „Grandi Navi“, die Kreuzfahrtschiffe. Sie wünschen sich eine Heerschaar von William Morris’e, die sie alle versenken, noch bevor sie die Lagune verpesten können.
Wer sich auch in seiner Unterkunft mit Kunst und Künstlern umgeben will, dem sei für den Biennale-Besuch der Ableger der BAUER Hotels auf Giudecca empfohlen. In den gelungen restaurierten ehemaligen Konvent-Gemäuern Andrea Palladios, ist auch eine Ausstellung Ai Weiweis untergebracht – im Nachbarhaus eine weitere gelungene Ausstellung Pawel Althammers. Und es beherbergt viele Kuratoren und Künstler.

Kunst-Biennale Venedig, noch bis zum 24. November 2013.
www.labiennale.org
Kunstwerke des Letten Krišs Salmanis sind ab 11. August auch in Glückstadt zu sehen (Palast für Aktuelle Kunst, www.pak-glueckstadt.de).


Fotonachweis: Alle © Florian Maaß, außer Abb 6. Anton Kehrer
Header: Alter Elbdampfer, der Pavillon Portugals auf der Biennale di Venezia
Galerie:
01. Das Traumbuch des CG Jung
02. Raum mit Werken: Tino Sehgal und Rudolf Steiner
03. Marino Aurotis Turm des Wissens
04. Raum mit Werken: Pawel Althammer, Paul McCarthy
05. Raum mit Werken: Krišs Salmanis und Kaspars Podnieks (Lettland)
06. Berlinde de Bruyckere „Krüppelholz“ (Belgien). Foto: Anton Kehrer
07. Ai Wei Wei im deutschen Pavillon
08. und 09. Jeremy Deller (Großbritannien)
10. Tong Hongsheng (China)
11. Lichtinstalltion von Bill Culbert im Palazzo Peita.

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