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Das erste Mal, dass ich von „Imagined Garden“ hörte, das damals noch nicht diesen Titel trug, war 2019. In einem Gespräch über Pläne für das Programm der Sommerlichen Musiktage 2020 im niedersächsischen Hitzacker kam damals die Rede auf das Projekt der Sopranistin Sarah Maria Sun, bekannt für ihre Rolle in der zeitgenössischen Musik und mehrfach bei den Musiktagen zu hören.

 

Bei dem Projekt gehe es darum, die für Menschen unhörbaren Töne, mit denen Pflanzen kommunizieren, durch digitale Technik und im Rahmen eines Kunstwerks hörbar zu machen. Problem, hieß es damals – Corona war nicht in den wildesten Alpträumen absehbar – sei das Geld. Trotz einer Kooperation mit den Schwetzinger SWR Festspielen.

 

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2019. Die Idee

Ich war spontan von der Idee angetan, sah einen Urwald oder welche üppige Pflanzengesellschaft auch immer vor meinem geistigen Auge, jede Menge wogendes Grün, in dem sich Klänge hin- und herbewegen.

Zugleich kamen Fragen: Was würde da zu hören sein? Ist die Übersetzung im Ergebnis des für menschliche Ohren unhörbarer Klang eigentlich mehr als eine Interpretation von etwas, das eigentlich per se unerfahrbar bleibt? Wie das, was Astronomen aus Datenreihen ihrer Beobachtungen entwickeln. Kann das, was Menschen als fremde Welten wahrnehmen, mehr sein als Schatten auf den Höhlenwänden?

 

2024. Kein Grün nirgends

Stattdessen ausgeprägte Farbspiele, die hohen Fenster der langgezogenen Orangerie im Park des Schwetzinger Schlosses sind mit bunten Transparent-Folien versehen, Blütenbilder, ins Abstrakte verwandelt, die je nach Sonnenstand variierende Lichteffekte erzeugen, die den großen Raum in je andere Farbspiele tauchen. „Magisch wie ein Garten“, sagt die in Indonesien aufgewachsene Künstlerin (Visuals und Performance sind ihre Metiers) Grace Ellen Barky, die „Imagined Garden“ gemeinsam mit der chilenischen Komponistin Tamara Miller und Sarah Maria Sun im Programm der Schwetzinger Festspiele realisiert hat. „Der Raum wird durch die Blütenbilder in farbenfrohes Licht getaucht. Aber im Grunde kontemplieren wir durch sie die Vergänglichkeit. Ein Thema, dass im Park und der Architektur des Schwetzinger Schlosses allgegenwärtig ist“, ergänzt Grace Ellen Barkey. Mit Worten Frank Zappas benennt sie die Maxime ihrer Arbeit: „Absurdität als einzige Realität.“ Die Installation sei vergleichbar einem Stillleben, ergänzt Sarah Maria Sun. Ende Juli kommt das Trio mit einer zweiten, einer Notturno-Fassung, von „Imagined Garden“ zu den Sommerlichen Musiktagen Hitzacker, in der Lichtprojektionen an die Stelle der Tageslichtverfremdungen treten sollen.

 

Imagined Garden 1 F Thomas Janssen Grace Ellen Barky: Imagined Garden. Foto: Thomas Janssen

 

Die Farblichtspiele in der Orangerie erinnern an das, was in gotischen Kathedralen zu erleben ist, lassen auch das Konzept der „Chromola“, denken, der Farborgel für die Skrjabin‘sche „Prometheus“-Symphonie. Auf dem mit roten Klinkern ausgelegten Boden finden sich Mosaike, getrocknete Blätter, Palmwedel, teils von auf weißem Untergrund, teils von Kreisen aus schneeweißen Kieselchen wie Pflanzgranulat umgeben, direkt auf dem Klinkerrot. Dazwischen fünf, vielleicht sechs Objekt aus Metall, Skulpturen, Pflanzenformen nachgebildet, deren Bestandteile sich in langen, Abständen kurz in Bewegung setzen und damit Klänge auslösen. Minimalistisch wäre hier schon ein Wort, das Üppigkeit benennt. Zwischen den Objekten Kabel auf dem Boden, Verbindungen, durch die sich die Skulpturen gegenseitig zu Bewegungen anregen. Sie treten nicht untereinander in Beziehung, sie tun das auch zu den Mosaiken, neben oder in denen sie stehen. Sowohl Klangobjekt als auch Mosaik treten in Interaktionen mit den im Tageslauf wechselnden Lichteffekten. Die sinnlichen Eindrücke der poetischen Geflechte sind stark, hier triff ein gelber Schein auf ein Kupfer in Blütenform, dort ein luzides Blau auf ein gebogenes, poliertes Blech. Von dem geht der Grundton aus, der über allem liegt, auch er nur mit feinem Ohr zu entdecken.  

 

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Dieser Ton ist es, der die Basis darstellt, die die Installation mit der Welt von Pflanzen und ihrer Kommunikation verbindet. Aus einer mit einem Mikrophon unter Erde im Wurzelwerk eines Baumes aufgenommenen Zwei-Minuten-Sequenz haben Tamara Miller und der Programmierer Andrés Quezada (unter Verwendung von Arduino) einen Loop geschaffen, der die Interaktionen der Skulpturen und ihrer Klangmomente steuert, die aus dem aufgenommenen Material generiert sind. Dabei sei die Folge der Interaktionen zu einem Viertel zufallsbestimmt, beschreibt Tamara Miller, wobei es allerdings in den Beziehungen zwischen den Objekten Prioritätssetzungen gebe – folgend der von der Waldökologin Suzanne Simard entdeckten Existenz von ihr so genannter „Mother Trees“, die in der Kommunikation des Simard‘schen „Wood Wide Web“ eine Art Zentrum sind. Mindestens zehn Minuten brauche es, um die Strukturen dieses Loop wahrzunehmen, sagte die Klangkünstlerin. Erst als der akustische Trubel der Vernissage vorbei ist, wird erfahrbar, dass die so entstandene Klanglichkeit zum „Eintritt in zeitliche Strukturen (einlädt), die denjenigen der Pflanzenwelt ähneln, mit langsamen Rhythmus und langsamer Bewegung“, wie die Komponistin im Programmblatt beschreibt.  

 

Es bleibt eine gewisse Ambivalenz. Jede Kunst, jede, die etwas zu sagen hat, wandelt auf dem schmalen Grat zwischen Zweckfreiheit und Sinn, zwischen poetischer Freiheit und Deutung. Dass „Imagined Garden“ großen Raum für erstere lässt, ist Stärke – und vielleicht zugleich Schwäche. Die Vermittlung zwischen den Naturprozessen, die das Werk in Kunst transformieren will, und der Welt der Ästhetik ist auf doppelte Weise prekär. Denn dass zum einen der Bezug auf die Fauna ein hinter- und untergründiger bleibt, schafft zwar der Poesie Raum. Zugleich aber wird dieser Bezug aus dem Werk selbst heraus nicht präsent. Es bewegt sich wohl zwangsläufig in einem Spannungsfeld zwischen Beliebigkeit und Übereindeutigkeit, zwischen Abstraktion und Konkretion.

 

Die Fauna macht den allergrößten Teil der Biomasse, also des Lebens, auf der Erde aus, nämlich 99,7 Prozent (Quelle: Info-Faltblatt zu „Imagined Garden“). Nicht nur diese quantitative Rolle, sondern auch ihre „(Überlebens)-intelligenz“ machten es „absolut notwendig, dass wir von ihnen lernen“, sagt Sarah Maria Sun im Gespräch. „Wir machen das auf farbige, respektvolle Weise.“ Es sei wichtig, „dass wir auf diese Schönheit gucken“, fährt Grace Ellen Barkey fort, „in einigen Jahren gibt es vielleicht nur noch Erinnerungen an die Natur“.

 

Doch ohne solche Hintergrundinfos bleibt unentscheidbar, dass die in Klängen und Bewegung interagierende Objekte auf natürlichen, konkreten Prozessen basiert sind und nicht auf künstlichen Welten, von Algorithmen kreiert. Die Formen der Skulpturen sind zwar organisch – doch wer weiß, wie Raumschiffe aussehen würden, die in der Luft von anderen Planeten unterwegs sind? So bleibt die Frage – auf die der Titel des Projekts, übersetzt „Imaginierter Garten“ verweist -, in welchem Maß virtuell generierte Realitäten reale Realität überhaupt abbilden können. Sind sie anderes als Ausdruck von Imagination, als Projektionen? Projektionen, die wiederum ob der Potenziale der virtuellen Realität längst begonnen haben, die reale Realität und deren aktive wie passive Wahrnehmung durch Menschen durch künstliche Bilder zu überformen.

Und dann ist da doch Grün, das lichte Frühlingsgrün überformter Natur des Schlossparks.

 

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Einzigartige Gartenanlage von europäischem Rang. © Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg. Foto: Achim Mende

 

Der Weg zum nächsten Konzert führt vorbei an formgeschnittenen Lindensäulenreihen, durch Laubengänge, zu großen Pflanzenkathedralen geformten Hecken, aus deren Wandformen großflächige Fensterformen den Blick ins Draußen freigeben. Entstanden ist die Naturskulptur Schlosspark etwa zu der Zeit, aus der auch die Musik stammt, die die Sopranistin Nuria Rial und das Ensemble 1700 um die Blockflötistin Dorothee Oberlinger am Abend im Mozartsaal in einem der Seitenflügel des Schlosses spielen, vokale und instrumentale Kompositionen von Monteverdi, Marais, Vivaldi, Strozzi, Falconieri und anderen um das Thema „La Follia“, „der Irrsinn“. Der auf barocken Stilen basierte Tanz, den Violinist Yves Ytier gelegentlich einbringt und die gestisch-mimische Präsenz der Sopranisten machen das Programm zu einem viertelszenischen. Dass barocke Musik eine Verbindung von Atem und Narration ist, ist fast ein Gemeinplatz – dass dieses Amalgam so feinfühlig, so lässig-diszipliniert, so impulsiv und leuchtend gespielt wird, wie an diesem Abend ist außergewöhnlich – auch Sängerin und Ensemble finden, von Dorothee Oberlinger kaum merklich angespornt, zu einer untergründig-verbundenen Einheit zusammen.

Ähnlich und anders am folgenden Tag das Armida Quartett, das verflochtene Streichquartette von Haydn und Mozart (B-Dur op.76 Nr. 4 und C-Dur KV 465) mit der Selbstoffenbarung von Leos Janacéks zweitem Quartett konfrontiert.

 

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Oberlinger Ensemble 1700. Foto: Elmar Witt


Grace Ellen Barky: „Imagined Garden“

Installation anlässlich der Schwetzinger SWR Festspiele – ein Kooperationsprojekt mit den Sommerlichen Musiktagen Hitzacker

Zu erleben bis 25. Mai 2025 in der Orangerie des Schlosses Schwetzingen, in 68723 Schwetzingen

Weitere Informationen (Schloss Schwetzingen)

Ab 27.7. bis 4.8.2024 zu sehen bei den Sommerlichen Musiktagen Hitzacker

Weitere Informationen (SMH)

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