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Die Steuerfahndung hat ihre Werke beschlagnahmt und die Autorin rächt sich mit einer gewaltigen Wutrede – so etwas schafft wohl nur Elfriede Jelinek.

„Angabe der Person“, von Jossi Wieler erst im vergangenen Dezember am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt, war jetzt zu Gast beim Hamburger Theaterfestival im Thalia Theater.

 

„Wir wollen unseren Bernhard wieder“ sagt „Elfi“ irgendwann an diesem Abend. Ja, möchte man ihr nach zweieinhalb stündigem Monolog zurufen, das wäre wirklich nicht schlecht. Am Tag zuvor erst zeigte Thomas Bernhards „Theatermacher“ beim Hamburger Theaterfestivals, mit wieviel Saft und Kraft man Österreich und seine Alpenbewohner zerfleischen kann. Die Stücke der Kollegin Jelinek hingegen (ebenfalls als „Nestbeschmutzer“, in diesem Fall, „Nestbeschmutzerin“ beschimpft) sind vollständig Geist, kaum Körper. Verkopft-verwirbelte Wortgebäude und Wortspielereien, die man genauso gut hätte lesen könnte, wäre Regisseur Jossi Wieler, seit dreißig Jahren Elfriede Jelinek eng verbunden, nicht auf die Idee gekommen, die gewaltigen Textkaskaden der Ich-Erzählerin in drei Blöcke aufzuteilen und von drei tollen Schauspielerinnen nacheinander sprechen zu lassen: Fritzi Haberlandt, Linn Reusse und Susanne Wolf. Alle drei verkörpern eine noch junge „Elfi“, in strengem schwarz-weißem Outfit auf einer offenen, nüchternen Drehbühne (Bühne und Kostüme Anja Rabes). Im Hintergrund sitzt Bernd Moss mit Kopfhörer an einem Mischpult und macht mit wenigen Einwürfen klar, („Ach Elfi, fang doch nicht schon wieder an!“) dass er Elfis Ehemann darstellt, den im vergangenen Jahr plötzlich verstorbenen Filmkomponisten und Informatiker Gottfried Hüngsberg (1944-2022).

 

Seit 1988 schreibt die österreichische Schriftstellerin keine konventionellen Dramen mehr. Sie bietet vielmehr sogenannte Textflächen, mit denen die Regisseur*innen sehr frei umgehen können. Es sind Meinungen, Erinnerungen, Standpunkte, Anklagen, die nun, mit 76 Jahren, in einer höchst persönlichen Bilanz gipfeln. Ausgangspunkt dieser Bilanz war ausgerechnet die Steuerfahndung, die vor ein paar Jahren bei ihr anklopfte, alle ihre Räumlichkeiten durchsuchte, alle Papiere, auch private, beschlagnahmte, um ihr anhand von Klospülungen und Wasserverbrauch Zweitwohnsitze und sonstige Unregelmäßigkeiten nachzuweisen. Ihr, der Büchner-Preisträgerin, Kafka-Preisträgerin, Nobelpreisträgerin. Ihr, der international berühmten Autorin mit jüdischen Wurzeln, deren Familie größtenteils in den KZs der Nazis ermordet wurde. Die Wut über diese unfassbare Unverschämtheit, dass jener Staat, der diese Verbrechen begangen hat, ihr mit derartigen Petitessen sechs Jahre lang das Leben schwer machte (die Ermittlungen verliefen schließlich im Sande), spricht aus jedem ihrer Sätze. Henriette von Schirach, Hitlers ehemaliger Sekretärin und Witwe des Naziverbrechers Baldur von Schirach, wurden Anfang der 50er Jahre die nach dem II. Weltkrieg entzogenen Besitztümer und das Grundstück in Kochel am See zurückgegeben, schleudert eine der „Elfies“ dem Publikum entgegen. Ihr eigener Vater jedoch konnte froh sein, am Leben geblieben zu sein.

 

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 Angabe der Person: Susanne Wolff, Fritzi Haberlandt, Linn Reusse. Foto: Arno Declair

 

Und nun die Steuerfahndung! Was für eine himmelschreiende Ungerechtigkeit!

Zwei Stunden und zwanzig Minuten sinniert Elfriede Jelinek mal Drei über ihre „Lebenslaufbahn“ und ihre Familie. Über „Untaten“ der eigenen Vergangenheit und über die „Untoten“, die sie ihr Leben lang verfolgen. Es sind entsetzliche Geschichten, die sie erzählt. So viele Tote, die keine Gräber haben, weil ihre Knochen zu Staub zermahlen wurden, um die Felder zu düngen. So ein unermessliches Leid, das sie erzählen muss, weil es sonst niemand mehr erzählt: „Nach mir ist es unwiderruflich aus mit den Jelineks! Alles weg, alle futsch, außer mir“, sagt sie an einer Stelle. Aber solange sie lebt, werde sie den Ermordeten Gehör verschaffen, die „anstrengende Erinnerungsarbeit“ leisten: „Ich bin eine Art Windel der Welt, ich lasse nichts durch“!

 

Es sind Sätze wie diese, die den Text so großartig machen und die inhaltliche Schieflage, die Verknüpfung von angeblichen Steuervergehen heute und den unsäglichen Naziverbrechen vor und während des Zweiten Weltkrieges, vergessen lassen. Jelinek hat hier ein Konglomerat aus Biographie und Geschichte, aus schonungsloser Selbstreflexion und Verteidigung, aus intimsten Offenbarungen und dem ganz großen Rundumschlag gegen die alten und neuen Nazis in Deutschland und Österreich geschaffen. Dabei kommt sie von Hölzchen auf Stöckchen, von den Steueroasen zu Pontius Pilatus und wieder zurück in die Gegenwart. In einem ständigen Wechsel aus Wut und Witz zitiert sie die Bibel ebenso wie die Bayernhymne, Wagner, die Tagespresse und Boris Becker. Und immer wieder treten die Bürokraten der Finanzbehörde in Erscheinung, mit denen sie sich ins Zwiegespräch begibt.

 

„Angabe der Person“ ist Jelineks Vermächtnis „auf die letzten Meter“, wie sie sagt. Wie alle ihrer „Textflächen“ ist dieser Abgesang anstrengend, weil knapp zweieinhalb Stunden nur an der Rampe gesprochen wird. Trotz oder gerade wegen der vielen Eingeständnisse und unliebsamen Wahrheiten. Jossi Wieler „kann Menschen machen“, hat sie mal gesagt, sie liefere ja nur den Text. Aber „Theater“ mit diesem Text? Was für eine Herausforderung. Wieler hat rausgeholt, was rauszuholen war, doch auch in dieser Jelinek-Produktion bleibt den Protagonistinnen kaum mehr, als am Bühnenrand herumzustehen und zu rezitieren, zwischendurch mal schnell beim Ehemann zu kuscheln oder gemeinsam gegen Ende zu rauchen. Damit ist die Theatralik weitgehend erschöpft - obwohl die drei Darstellerinnen Jelineks irrwitzigen Sprachgebilden zum Teil unerhört komische Facetten und Farben entlocken, die man beim bloßen Lesen der Lektüre sicher nicht bemerkt hätte. (Das gelingt insbesondere der fabelhaften Fritzi Haberlandt in ihrem gewohnt schnodderigen, beiläufigen Ton).

 

Ob noch etwas folgt? Wir wissen es nicht. Zum Schluss steht der wunderbare Bernd Moss alias Hüngsberg allein auf der Bühne, nimmt sich das Textbuch der Souffleuse und liest.

 

Die letzten Worte: „Ich greife nach Irgendwas und schon ist ein Fehler – da kann man nichts machen“.


15. Hamburger Theater Festival

Bis 15. Juni 2023

Elfriede Jelinek: Angabe der Person

Eine Produktion des Deutschen Theaters Berlin
Regie: Jossi Wieler. Mit: Fritzi Haberlandt, Linn Reusse, Susanne Wolff, Bernd Moss
Hamburger Spielort: Thalia Theater

Weitere Informationen (Homepage Festival)

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