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„Togetherness“ bedeutet so viel wie Zusammengehörigkeit, Miteinander, Wir-Gefühl. „Togetherness“ hat sich das Internationale Sommerfestival auf Kampnagel im Corona-Sommer 2021 auf die Fahnen geschrieben.

Wohl wahr: Es ist ein Glücksgefühl wieder ausgehen zu dürfen, sich mit Freunden zu treffen und gemeinsam Kultur zu erleben. Allein waren wir lange genug.

 

Sicher kann Kultur auch dazu beitragen Unterschiede, ebenso unterschiedliche Ansichten, als Bereicherung zu sehen, wie Kultursenator Carsten Brosda in seiner Eröffnungsrede beschrieb. Aber machen wir uns nichts vor: Ein echtes Gemeinschaftsgefühl gibt es vielleicht noch beim Wacken Open Air, dem Treff der eingeschworenen Metal-Fans. Am Eröffnungsabend auf Kampnagel blieb es bloße Verlautbarung. Selten klafften Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinander, wie bei der vollmundig angekündigten Performance „Multitudes“ von Leslie Feist, der erfolgsverwöhnten Indiepop-Singer-Songwriterin aus Kanada.

 

Seit 2013 leitet der Schweizer András Siebold nun schon das Internationale Sommerfestival auf Kampnagel, doch ein glückliches Händchen bei der Gestaltung der Eröffnungsveranstaltungen kann man ihm nicht bescheinigen. Natürlich klingen „Weltpremieren“, bzw. Uraufführungen immer nach etwas Spektakulärem, doch waren die Ergebnisse in den vergangenen Jahren schon öfter so enttäuschend, dass man dem sympathischen Dramaturgen und Kurator nur raten kann, künftig ausschließlich Produktionen einzukaufen, die er vorher schon gesehen hat. Diese sind nämlich in der Regel absolut sehenswert, wie das hinreißende Stück „Licht und Liebe“ von Susie Wang am zweiten Festival-Abend bewies.

 

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Doch zunächst zu Leslie Feist, die über Multitudes“ (Vielzahl) schreibt: „Innerhalb einer Kaskade archaischer Technologien und einer an das Heidentum erinnernden Erdverehrung werden Themen wie Kommunikation, schwerwiegende Konsequenzen und gewählter Optimismus, Empathie und Individualismus, Tod und die Unlust zu reifen erkundet. Die Worte betreten den Raum, um auf den Detritus der Bedeutungsgebung zu treffen, und wir sind frei, entweder zu beobachten oder dazuzugehören. Durch eine Makro-Linse, die so intim ist wie Bettgeflüster, betrachten wir die Beziehung zwischen dem Subjektiven und dem Universellen, den Rubik's Cube jedes einzelnen Lebens und unsere vielschichtigen Beziehungen zueinander“.

 

Wenn das kein Anspruch ist! Aber egal. Die 45jährige Singer-Songwriterin hat mehrmals erklärt, wie sehr sie unter dem Auftritts-Einbruch und Publikumsentzug während der Pandemie gelitten hat (wie so viele Künstler*innen). Mit „Multitudes“ feiert sie die Bühnenrückkehr. Allerdings nicht allein. Die Performance sei vielmehr eine „radikal gemeinschaftliche und auf den Kopf gestellte“ Rückeroberung der Bühne, „die die Rollen zwischen Publikum und Performer*in, Beobachter*in und Subjekt durcheinander bringt…Ein neuer Möglichkeitsraums“.

 

Davon ist in der K6 am Eröffnungsabend leider überhaupt nichts zu spüren. Stattdessen nervt lautstark ein altmodischer Nadeldrucker an einer Seitenwand, während das Publikum (in corona-gerechtem Abstand) auf unbequemen Papphockern Platz nimmt, die um ein kreisrundes, grünes Podest aufgebaut sind. Um dieses Podest herum liegen alle möglichen Dinge verstreut, Ausdrucke aus dem Nadeldrucker, umgekippte Stühle, ein weißer Geigenkasten. Alles vermittelt eine Probensituation, auch die Art und Weise, wie beiläufig die Kanadierin irgendwann auf das Podest krabbelt, die Westerngitarre einstöpselt und zu singen beginnt. Das Licht bleibt an, das Publikum sitzt dicht um sie herum und der Nadeldrucker schweigt. Leslie Feist hat eine wunderschöne Stimme, keine Frage. Sanft und energisch zugleich, kristallklar, aber auch zerbrechlich klingen ihre tiefgründigen Folksongs, die mit viel Blues dem Zustand der Welt nachspüren. Mit Loops multipliziert sie ihre eigene Stimme, schafft ihren einen Chor, der im Laufe des Abends von Todd Dahlhoff und Amir Yaghmai, den beiden Instrumentalisten an der Geige und den Keyboards, zu einem raumgreifenden, vollen Sound verstärkt wird. Währenddessen umkreisen zwei Kameraleute die Szenerie und projizieren zu beiden Seiten des Raumes, alles, was ihren Handkameras vor die Linse kommt. Das verkabelte Betonmauerwerk, den dreckigen Boden, eine Handtasche mit Inhalt. Sehr bedeutungsschwanger das alles und sehr überflüssig. Der schönste Moment kommt am Schluss: Die Helfer*innen haben alle Technik vom Podest entfernt, Leslie Feist steht allein mit ihrer Gitarre und den roten Samtschuhen auf dem grünen Rund, der Vorhang öffnet sich und gibt den Blick frei auf die Zuschauertribüne der K6. Und Feist verlässt über eben jene Tribüne das Publikum und denkt auch nicht daran, noch einmal wiederzukommen, um sich zu verabschieden. Gemeinschaft geht anders.

 

Zwar ist der Perspektivwechsel – Publikum auf der Bühne, Blick in den Zuschauerraum – immer wieder eine schöne, (wenn beileibe auch keine neue) Idee, doch als Künstler*innen fühlen sich die Zuschauer deshalb noch lange nicht. Sie bleiben in der passiven Rolle der Konsumenten.

 

Fazit: Ohne den technischen Schnickschnack im kleinen Raum hätte Leslie Feist ein wunderbares Konzert abliefern können. Aufgeblasen zur angeblich interaktiven Show kann es nur enttäuschen. Weder waren „neue Formen des Zusammenkommens“ erkennbar noch künstlerische Antworten auf die Corona-Krise.

 

Die wurden am zweiten Abend auch nicht gefunden, dafür gab es jedoch ein fulminantes Theatererlebnis: Susie Wangs neues Stück „Licht und Liebe“, eine Liebeserklärung an das gute alte Erzähltheater und seine schier endlosen Illusionsmöglichkeiten.

 

Wer die norwegische Theatergruppe mit ihrem Horror-Schocker „Mummy Brown“ vor zwei Jahren beim Internationalen Sommerfestivals erleben durfte, der ahnte schon, dass dieser Titel irgendwie verdächtig klingt. Verdächtig harmlos. Und in der Tat: „Licht und Liebe“ entpuppt sich wieder als Horrorspektakel, aber nicht ganz so düster wie vor zwei Jahren. Dafür irrwitzig übergedreht und haarscharf am Klamauk entlang schrammend. Anders gesagt: Seit „Little Shop of Horror“ gab es wohl keinen so vergnüglichen Horror mehr zu sehen. Susie-Wang-Chefin, Autorin und Regisseurin Trine Falch ist einfach unschlagbar, wenn es darum geht, die Klaviatur unterschwelliger Ängste und Abgründe durchzuspielen und dabei exzellente Unterhaltung zu bieten.

 

Nach „Licht und Liebe“ sehnen sich Sabine und Barni, ein Touristenpärchen aus Deutschland. An einem pittoresken Ort am Meer, das Mauerwerk und die Palmen des kleinen Innenhofes deuten auf Nordafrika, Marokko oder Tunesien, es könnte aber auch irgendwo anders sein, haben sie ihren glücklichen Ort gefunden. Endlich Urlaub, endlich wieder Reisen. Endlich Sonne satt. Sie kommen vom Strand, die rothaarige Sabine hat sich gleich einen Sonnenbrand eingefangen, Barni einen Seeigel-Stachel oder ähnliches. Sein Fuß blutet, ansonsten ist er gut drauf. Sabine hat Hunger, will essen gehen - nur, der Schlüssel fehlt, ein Flipflop hält das Tor offen. Aber da knattert schon unüberhörbar ein Motorrad aus dem Off und es erscheint die Vermieterin Armani: Eine wunderschöne Schwarze mit goldenem Helm, sexy Minikleid und Highheels, die Barni sofort den Kopf verdreht. Das Tor fällt zu, der Schlüssel fehlt und das Grauen nimmt seinen Lauf.

 

Die drei Schauspieler*innen Mona Solhaug, Selome Emnetu und Kim Alte Hansen ziehen als Sabine, Armani/Armanis Cousine und Barni alle Register. Großartig, wie sie die unterschwellig gespannte Dreieckskonstellation (über)spielen. Sabines zunehmende Gereiztheit und bemühte Höflichkeit angesichts der unerwünschten Konkurrenz, Barnis Unbeholfenheit und Bemühen, es beiden Frauen Recht zu machen… wer einmal im Urlaub von einer ähnlichen Dreiecks-Situation überrascht wurde, kann sich absolut in die Lage hineinversetzen. Allein Sabines Minenspiel – einfach klasse.

 

Vor allem aber kann man nur Stauen über die Raffinesse, mit der die norwegische Theatergruppe ein naturalistisches Kammerspiel und Psychodrama fast unmerklich in Fiktion kippen lässt und die vermeintliche Realität nahtlos in eine albtraumhafte Surrealität zu verwandelt. Eine nicht unbeachtliche Rolle spielt im Laufe des Abends auch ein behaartes Stück Fleisch, das die Cousine über die Mauer wirft und das ein erschreckendes Eigenleben entwickelt. Man darf nicht zu viel verraten, denn die Überraschungen sind natürlich das Schönste und vielleicht kommt „Licht und Liebe“ ja noch einmal nach Hamburg.

In jedem Fall werden all jene, die in den Genuss dieses grotesken Stückes gekommen sind, das nächste blutige Steak, das auf den Grill kommt, mit anderen Augen betrachten.


Internationales Sommerfestival auf Kampnagel

Zu sehen bis zum 22. August.

Informationen zu sämtlichen Stücken und Veranstaltungen, sowie Tickets

Kartentelefon: (040) 2709 4949 (Mo-Fr 10-18 Uhr)

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