Hamburgs Unternehmen können sich der Öffentlichkeit als Kunstförderer vorstellen, die Öffentlichkeit hat die einmalige Chance, Sammlungen kennenzulernen, zu denen sie normalerweise keinen Zutritt hat – und Nachwuchskünstler*innen erhalten ihre erste Ausstellungsmöglichkeit.
Das ist schon mehr als die klassische Win-win-Situation. Das ist Win-win-win! Was Wunder, dass die „add art“ mittlerweile zum Kulturherbst gehört, wie der graue Himmel über der Hansestadt.
An diesem Wochenende öffnet Hamburgs Wirtschaft zum siebten Mal ihre Türen für die Kunst – mit spannenden Newcomern wie der „add art“-Preisträgerin Sophie Allerding bei K.D. Feddersen, kompletten künstlerischen Raumkonzepten, wie von Stefan Mosebach bei Code Working Space oder historischen Dokumenten zur Stadtgeschichte in der Handelskammer. Highlight ist eine Werner Büttner-Schau in der LBBW, auf die so manches Museum neidisch sein dürfte.
Die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) ist das erste Mal bei der „add art“ dabei und das hat seinen guten Grund: Sie hat erst vor sechs Monaten ihr Hamburger Büro für das Privatkundengeschäft am Neuen Wall 52 eröffnet. So diskret übrigens, dass noch nicht einmal die Mitarbeiter der weithin sichtbaren Montblanc-Boutique im Erdgeschoss wissen, dass sich im zweiten Stockwerk des Gebäudes eine Bank befindet. Hat man den Eingang (um die Ecke, in der Bleichenbrücke) einmal gefunden und den zweiten Stock erklommen, erwarten den Besucher fast bescheiden wirkende Räume. Typisches hanseatisches Understatement wird offenbar auch in Baden-Württemberg gepflegt. Die LBBW hat den „großen Auftritt“ einfach nicht nötig, 36 Werke von Werner Büttner, darunter drei große frühe Gemälde, „Badende Russen“ (1982), „Die Kuh, die den blauen Pullover gefressen hat“ (1983), sowie „Stillleben mit Thunfisch und Schubkarre“ (1987) sprechen für sich. Büttner gehörte Anfang der 80er Jahre, gemeinsam mit Albert Oehlen und Martin Kippenberger, zu den „Jungen Wilden“, die mit dadaistischen, subversiv ironischen und politischen Arbeiten, wie mit der jetzt ausgestellten Serie „Desastres de la Democracia“ die Szene aufmischten. In diesem März hat der langjährige Professor der Hochschule für bildende Künste Hamburg seinen 65. Geburtstag gefeiert. Die Schau der LBBW am Neuen Wall ist quasi auch ein verspäteter Geburtstagsgruß.
Wie Sammlungsleiter Lutz Casper erzählt, sind die 36 Büttner-Werke jedoch nur die Spitze eines Sammlungs-Eisberges, der zumindest den Hamburgern bislang verborgen war. Mit insgesamt 16000 Kunstwerken und einem Sammlungskern von 3000 Arbeiten besitzt die LBBW eine der bedeutendsten Unternehmenssammlungen Deutschlands. Sie ist seit Anfang der 1970er Jahre kontinuierlich gewachsen und konnte schon damals auf mehrere Grundstöcke (an meist regionaler Kunst) aus den zahlreichen Vorgängerinstituten zurückblicken. (Das Historiogramm zeigt allein 16 Namensänderungen, fünf Fusionen und drei Übernahmen). Seit 1989 betreut der Kunsthistoriker Lutz Casper die Sammlung, zu dessen externen Beratern u.a. auch Stephan Schmidt-Wulffen zählte, in Hamburg noch gut als Direktor des Kunstvereins in Erinnerung. Unter Casper wurden die Sammlungskomplexe gestrafft und mit dem Aufbau zentraler Werkgruppen zeitgenössischer Künstler nach 1945 von nationalem und internationalem Rang (mit besonderer Berücksichtigung Baden-Württemberg) begonnen.
Neben Werner Büttner gibt es auf der diesjährigen „add art“ aber noch einen anderen großen Namen, der sicherlich viele Kunstfreunde in den Harvestehuder Weg 23 locken wird: Dort stellt die Rechtsanwaltskanzlei Buse Heberer Fromm Arbeiten des Aktions- und Objektkünstlers Dieter Roth (1930-1998) aus. Einer der Gründungspartner der Kanzlei sammelte und förderte Roth seit den 70er Jahren und trug nach Angaben der Kanzlei die größte Dieter-Roth-Sammlung weltweit zusammen. An diesem Wochenende sind schwerpunktmäßig Druckgrafik der 60er und 70er Jahre, sowie ein rekonstruierter „Schimmelraum“ zu sehen.
Unterstützung in Sachen Kunst an der Nordspitze der Alster bekommt die Kanzlei in diesem Jahr nur noch von der PPI-AG in Winterhude (zeigt die archäologisch anmutenden Arbeiten von Suse Bauer) und von Heinz Lohmann (Lohmann Konzept) in Uhlenhorst, der mit einem breiten Spektrum aktueller Kunstpositionen aufwartet. In diesem Jahr stellt er insbesondere die Performance-Künstlerin Carmen Oberst vor, die jedem Besucher ein Kunstgeschenk überreichen wird.
Die Ballungsorte der Nachwuchskünstler, die in Kooperation mit der HAW Hamburg und ihrem Professor für Malerei, Henning Kles, bei der „add art“ erste Ausstellungsmöglichkeiten erhalten (einige von ihnen sah man bereits im letzten und vorletzten Jahr) liegen jedoch eindeutig südlich der Alster: 12 der 17 beteiligten Unternehmen sind hier zu finden, allein sechs in der Neustadt, einem Stadtteil, in dem früher die Gegensätze aufeinanderprallten. An der Binnenalster der Neue Wall, die schickste und teuerste Einkaufsstraße der Stadt, ein paar Schritte nordwestlich das Gängeviertel, vor 20 Jahren noch ein Arme-Leute-Quartier. Mittlerweile hat sich das Bild grundlegend verändert. Das Viertel zwischen Holstenwall und Stadthausbrücke ist heute ein Hotspot erfolgreicher großer Unternehmen. An der Fuhlentwiete sitzt die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO, die mit Söntke Campen und Kristin Poppe zwei höchst spannende expressive Künstler*innen im Grenzgebiet von Figuration und Informel präsentieren. Zumindest bei Campen scheinen sowohl Neo Rauch wie Gerhard Richter Vorbilder zu sein. In der Kaiser-Wilhelm-Straße zeigt die Werbeagentur Geometry Global surreal anmutende Fotografien und Fotocollagen der Vietnamesin Hien Hoang zum Thema „Asia Bistro“ und am Alten Steinweg stellt Jones Lang LaSalle Se (JLL), ein Beratungs- und Investment-Management, die gestischen Schwarz-Weiss-Gemälde von Yannick Meusel, sowie die minimalistisch-humorvollen Kommentare von Sebastian Rether vor.
Eine der stärksten Arbeiten aber ist die zwölfteilige Fotoserie „Nothing exiting“ von Sophie Allerding, dieses Wochenende zu sehen in der K.D. Feddersen Holding in der Gotenstraße 11 A und ausgezeichnet mit dem von der Sparkassen Stiftung Holstein gestifteten „Add Art Award für Nachwuchskunst“ von 3000 Euro.
„In dieser Serie habe ich einfach nur meine Gefühle verarbeitet“, erzählt die 26jährige HAW-Studentin im 11. Semester, die ihren Bachelor in Fotografie machen will. „Die ständige Suche nach Aufregung, die ich in meiner Generation erlebe, hinterlässt eine Leere und Klaustrophobie im eigenen Körper. Man hängt nur noch vor dem Bildschirm, ist nur noch am Suchen und in der Realität nicht mehr anwesend. So verpasst man die schönsten Momente.“ In Sohie Allerdings performativen Selbstporträts, die allesamt mit Selbstauslöser aufgenommen wurden und nie ihr Gesicht zeigen, wird diese Verlorenheit und gefühlte Klaustrophobie mal beängstigend, mal voller Humor vor Augen geführt. Auf einer Aufnahme sieht man hilflos ihre Arme und Beine aus einem Bettgestell ragen, auf einem anderen liegt sie, das Gesicht ins Kissen gedrückt, der Länge nach ausgestreckt unter einem Tisch. Und auf einem dritten rutscht die junge Künstlerin wie ein nasser Sack kopfüber vom Stuhl.
Starke Bilder für die Verlorenheit der Generation Y, die ständig online ist aus Angst, irgendeinen Event zu verpassen und dabei Gefahr läuft, das Leben selbst gar nicht mehr mitzubekommen.
Add Art
21. bis 24. November 2019 in Hamburg
Alle Informationen zu beteiligten Unternehmen und Künstler*innen, sowie zu den Besichtigungsterminen und organisierten Führungen in den Bereichen Neuer Wall & Fleetinsel, Neustadt & Gängeviertel, sowie Hafencity und Cremon-Insel finden Sie unter www.addart.de
YouTube Video:
Trailer add art
Abbildungsnachweis:
Foto: add art
KSP Rechtsanwälte – Romanus Fuhrmann
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