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Neun Tage Festival – die Sommerlichen Musiktage in Hitzacker gingen zu Ende

„Music was my first love / And it will be my last. / Music of the future / And music of the past.“ Auch wenn Welten dazwischen liegen – auf eine Art haben die am Sonntag zu Ende gegangenen 73. Sommerlichen Musiktage in Hitzacker das, was John Miles einstmals „schmonzettete“, auf einen jenseits des popkulturellen Pathos zutreffenden Kern zurückgeführt: Dass Musik im Zentrum eines Festivals steht (und stehen sollte).
Zwei der grandiosen späten Streichquartette Ludwig van Beethovens standen am Sonntag elbaufwärts in Niedersachsen auf dem Programm, grandios musiziert vom Kuss Quartett, in dem auch Intendant Oliver Wille die Violine streicht. Gegeben wurden das a-Moll-Quartett, op.132, und das B-Dur-Quartett op130, dieses in seiner originalen, später von Beethoven revidierten Fassung mit der Großen Fuge (op.133)als Schlusssatz. Noch einmal Musik. Und nur Musik.

Nach einer neuntägigen Festival-Woche, in der die Musik, die Beethovens im konkreten Fall, häufig in Kontexten jenseits des traditionellen Konzerts zu hören war, brachte das Festival abschließend auf den Punkt, worum es geht. Punkt eins Beethoven: Und mit der Großen Fuge ein Werk, das durchaus als ein Opus summum seines Schaffens gesehen werden kann. Punkt zwei die Dramaturgie: Begonnen hatten die Sommerlichen Musiktage mit dem ersten und dem letzten Streichquartett des Wiener Klassikers, den Schlusston gab die Große Fuge. Zwischen diesen beiden Eckpunkten hat das Programm die Musik Beethovens in nahezu all ihren Facetten entfaltet. Punkt drei und last but not least: War beim Festival-Auftakt das letzte Quartett Beethovens betanzt worden, waren auch sonst immer mal wieder Erweiterungen seiner Musik im Programm, gab nun noch einmal einen deutliche Hinweis darauf, dass diese Musik sich selbst genug ist, dass sie aus sich selbst heraus und ohne weitere Zutaten hörende Menschen berühren will - und kann. Auch wenn politisch korrekte Zeitgeister sie nur zu gerne als die eines „Dead white European Male“ abqualifizieren würden. Sie berührt. Das zeigte auch eine über das ganze Festival mit den Händen zu greifende Begeisterung des Publikums. Das übrigens fast immer für volle Säle und in vielen Fällen für ausverkaufte sorgte.

Bei Musik, schreibt der französische Regisseur in seinem Buch „Von Mozart zu Beethoven“, „handelt es sich weniger um Natur“ – man darf an dieser Stelle die zweite Natur, die der vergesellschafteten Menschen, als mitgemeint verstehen – „als um einen Traum von ihr. Und „vermittelst dieses Traumes dringt man in sie ein und versteht sie.“ In diesem von der Musik konstituierten Zwischenreich entfalten sich auch, hier stellvertretend für das Ganze genannt, die Cavatina des B-Dur-Quartetts, die "Heilige Danksagung eines Genesenen an die Gottheit" aus dem a-Moll-Quartett und die Große Fuge.

Ihre eigentümliche Reiche in Klang zu verwandeln, war Herausforderung für Jana Kuss und Oliver Wille (Violinen), William Coleman (Viola) und Mikayel Hakhnazaryan (Violoncello) – sie meisterten sie mit Bravour. In die Räume, die vom feinen Netz der thematischen Linien markiert werden, malte das Quartett harmonische Farben. Eine sublime Tongebung, die Intensität des Klangs in an historische Aufführung erinnernde Subtilität einbindet, Präzision verbunden mit Gelassenheit, feinfühlige Wechsel zwischen strahlend gespielten, lyrischen Themen und scharf akzentuierten Ausbrüchen, Durchhörbarkeit, Souveränität beim Umgang mit dem minimalistischen, schon Anton Webern aufscheinen lassenden Themen etwa des „Dankgesangs" oder der Cavatina genauso wie beim Herausarbeiten der Vehemenz etwa des Hauptthemas der „Großen Fuge" – jedes der unendlich vielen Details dieser in ständiger Metamorphose begriffenen Musik beleuchteten die vier Streicher präzise, musikalisch.

Auch Valentin Erben, der Bratscher des ehemaligen Alban Berg Quartetts, hatte am Sonnabend bei einer der Hörer-Akademie die Musik Beethovens in einem Zwischenreich angesiedelt: Beethoven löse Themen in ihre geistigen, in ihre rhythmischen und harmonischen Strukturen auf, sodass „wir sie nur noch instinktiv spüren, aber nicht mehr greifen können." Vielleicht habe Beethoven Dinge in einem inneren akustischen Raum gehört, die er ohne seine Taubheit nicht gehört hätte.

Kuss QuartettDie Hörer-Akademie, die unter dem Titel „Quartettlupe“ den nicht im abendlichen Konzert gespielten Werken Beethovens in diesem Fach gewidmet war, war in dem an „neuen Formaten“ reichen Festivalprogramms eines, in dem trotz Beiwerk die Musik im Zentrum blieb. Das Beiwerk war Mittel „eine Tür in den Bereich des Genies von Beethoven aufzustoßen“, wie Valentin Erben sagte. Er analysierte exemplarisch, wie sich im cis-moll-Quartetts (op. 131) der Verlauf aus dem Fugen-Motiv des Kopfsatzes entwickelt: „Je vollkommener das Geschöpf ist, um so unähnlicher werden sich die Teile.“ Einen kleine Blick in die Entstehungsprozesse der Quartette erlaubte der Vortrag von Dr. Wolf-Dieter Seiffert vom Henle-Verlag, der kursorisch die Entwicklung von Details des Werks von der Skizze bis zum Notenstich darstellte: „Der letzte Wille Beethovens steckt in der Zusammenschau aller Quellen.“ Ein weiterer Dialogpartner für das Kuss Quartett war der Musikwissenschaftler Dr. Michael Stegemann von der Universität Dortmund, dessen rhapsodische Vorträge brachten solche musikhistorischen Details genauso kenntnisreich auf den genauso kenntnisreich auf den Punkt wie er über Feinheiten der Partituren zu sprechen wusste. Man muss das alles nicht wissen - man kann es hören. Aber Veranstaltungen wie die „Quartettlupe“ machen daraus ein bewussteres Hören.

Und um die Musik als zu hörende Kunst geht es. Nicht immer gelang es in Hitzacker, ihr in den „neuen Formaten“ Respekt zu zollen. Schon das getanzte F-Dur-Quartett (op.135) der Eröffnung warf, trotz gelungener Choreografie, die Frage auf, ob eine solche Bearbeitung der Musik gerecht wird, indem es das Publikum von der Zumutung des Hörens ein Stück weit befreit. Das Hören verändert sich auch, wenn Beethoven-Quartette in naturschöner Kulisse erklingen, aber das kann Erweiterung meinen. Per elektronischer Technik zur Musik auf die Wand projizierte Spontan-Graffiti wie im dritten Festival-Salon tun das eher nicht – aber die Möglichkeiten der Elektronik ist ja so aktuell und (fast) unendlich. Und können auch unendlich ermüden. Zum verstehenden Hören tragen sie in der Regel genau soviel bei wie die immerhin unterhaltsame Verjazzung aus dem Stegreif.

Spannung und Versöhnung prägen die Musik Beethovens - Spannung und Versöhnung, die es in dieser Musik miteinander aushalten, wobei letztere aus der Durcharbeitung ersterer entsteht. Etwas, was, nebenbei gesagt, gerade die Große Fuge zum Gegenpol des harmoniesüchtigen Schlusschors der Neunten macht. Auch der fand Platz bei den Sommerlichen – als von allen Interessierten Laien und Choristen aus der Region um Lüchow-Dannenberg gesungene Open Air auf dem Marktplatz. Musikalischer Populismus, der Versöhnung nicht als Hoffnung, sondern als existent beschreibt und genau deshalb so gut als Hymne der EU geeignet ist.

Doch das sind Petitessen. Im Zentrum und von der Dramaturgie schlüssig herausgearbeitet stand die Musik, die Beethoven mit dem von Valentin Erben angedeuteten Sensorium geschaffen hat. Musik , in der in der Form Freiheit, in der Tradition die Moderne aufscheinen. Grenzenlos.

Diesem Thema widmen sich auch die Sommerlichen Musiktage des kommenden Jahres. Waren in diesem Jahr auch Nicolas Altstaedt, Alexander Longquich, Paul Buchinder, Christian Tetzlaff und Lars Vogt unter den Gästen, sind es im kommenden Gideon Kremer, die Sopranistin Mojca Erdmann, der Bariton Roman Trekl (beide an der Berliner Linden-Oper engagiert, beide zum zweiten Mal in Hitzacker) und das Ensemble reflektor. Albrecht Mayer Solo-Oboist der Berliner Philharmoniker und Leiter der winterlichen Musikwoche Hitzacker, wird den Besuch des Kuss Quartetts dort erwidern. Auch die Jazz-Flötistin Anna Lena Schnabel wird in Hitzacker zu hören sein, Uraufführungen gibt es von Enno Poppe und Georg Katzer, einer der bedeutendsten seines Metiers in der früheren DDR. Last but not least werden vier Komponisten aus Lüchow-Dannenberg vertreten sein: Hans-Christian von Dadelsen, Ernst Helmuth Flammer, Babette Koblenz und Clemens von Reusner.

73. Sommerlichen Musiktage Hitzacker

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Abbildungsnachweis:
Header: (c) SMH
Foto vom Kuss Quartett bereim Abschlusskonzert: Thomas Janssen
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