Ein Jahr war Pause, jetzt ist das Elbjazz Festival wieder da, mit tollen Bands, so voll wie noch nie und deutlich konzentriert auf das Werftgelände bei Blohm + Voss.
Was am ersten Tag auch schon sichtbar wurde: In Punkto Organisation gibt es noch reichlich Luft nach oben – und der einzigartige Charme der ersten sechs Jahre ist unwiederbringlich dahin! Keine Live-Bands mehr auf den Barkassen, bis auf St. Katharinen und Mojo Club überhaupt keine kleinen Spielorte mehr, an denen man früher so viel Unbekanntes entdecken konnte. Das Jazz-Festival, das einst den ganzen Hafen – zu Wasser und zu Land – zum Swingen brachte, ist auf dem besten Weg eine Massenveranstaltung wie viele zu werden.
Chaos an den Kassen, kilometerlange Schlangen und zwanzigminütige Wartezeiten selbst bei den Bierständen – die Festivalbesucher mussten vergangenen Freitag schon viel Geduld aufbringen, aber bei dem großartigen Wetter war das für die meisten kein Problem. Einige erzählten von zweieinhalb Stunden, ehe sie von der Elbphilharmonie bis auf das Festivalgelände bei Blohm + Voss kamen, Kurzentschlossene freuten sich, dass die roten Ein-Tages-Bändchen am frühen Abend ausgingen und sie dafür die blauen Zwei-Tages-Bändchen bekamen. Ob es wirklich so war? Ich konnte es nicht nachprüfen, aber die Besitzer der blauen Bändchen, die diese Geschichte erzählten, strahlten vor Freude.
Ja, die Organisation eines solchen Festivals mit Sprung über die Elbe scheint wirklich eine gewaltige logistische Herausforderung zu sein. So immens, dass sie selbst einen alten Hasen wie Konzertveranstalter Karsten Jahnke logistisch überfordert! Es gab viel zu wenige Barkassen – und ohne Musik war es eben auch nur ein Transfer. Die freudig-erregte Festival-Stimmung, die früher schon auf dem Wasser zu spüren war, kam jetzt erst vor der Hauptbühne auf, als Miu, diese hinreißende, zierliche Hamburgerin, ihre raumfüllende, gurrende Soulstimme erklingen ließ. Was für eine Stimme, was für ein Sound, durchaus vergleichbar mit Alicia Keys oder Norah Jones. Mit ihrer direkten, unprätentiösen Gabe, die Leute anzusprechen, schaffte Miu es im Handumdrehen, den riesigen Platz vor der Bühne in ihr Wohnzimmer und die Zuschauer in gute Bekannte zu verwandeln. Nach ihrem spontanen Aufruf, einer ihrer Bandmitglieder würde übrigens umziehen, „und wir brauchen dringend noch ein paar Helfer“, haben ihr sicher etliche Fans die Bude eingerannt.
Überhaupt bleiben vom ersten Festivaltag vor allem starke Frauen in Erinnerung. Beady Belle mit ihrer samtweichen Stimme, die zur allgemeinen Überraschung noch Joshua Redman auf die Bühne holte. Sein Auftritt etwas später am Abend und die unglaublich tolle Interpretation und Phrasierung von Kurt Weills Mackie-Messer-Moritat waren ebenso Highlight, wie die elegisch-elegante Agnes Obel und ihre Musikerinnen, deren verführerisch sanften Stimmen und New-Age-artig fließenden Rhythmen einen in Trance versetzen konnten.
In der Alten Maschinenbauhalle beeindruckte die Saxophonistin Anna-Lena Schnabel, die zwar bald 28 Jahre alt wird, aber eher wie ein höchst selbstbewusster Teenager wirkt. Diese junge Ausnahmemusikerin scheint gar nichts aus der Ruhe zu bringen, auch nicht ein verpatzter Anfang. Während Techniker hektisch versuchten, die Tonstörung zu beheben, stellte sie eben mal ihre Band vor – um dann, nur mit dem Mundstück des Saxofons die Klänge eines sterbenden Schwans zu interpretieren. Anna-Lena Schnabel sucht nach ungewöhnlichen Ausdrucksformen und das mit ungewöhnlichen Mitteln. So stopft sie auch alle möglichen Dinge in den Korpus des Flügels, man sieht aus der Ferne nicht genau, was, aber offenbar auch Flaschen und ein Tamburin. In jedem Fall verändern sich die Töne ununterbrochen und entführen dabei in eine Klangwelt zwischen experimentellem Jazz und Neuer Musik.
Wer keine Elbphilharmonie-Tickets hatte, wo Jan Garbarek und seine Band alte Jazzliebhaber begeisterten (später traten noch Youn Sun Nah und Christoph Spangenberg auf), pendelte zwischen Hauptbühne, Am Helgen und der Alten Maschinenbauhalle hin und her, deren Acts so gut aufeinander abgestimmt waren, dass es nur wenige Überschneidungen gab. Aber selbst auf dem Festivalgelände bei Blohm + Voss war es unmöglich, alle Konzerte zu hören. Das Erik Truffaz Quartet beispielsweise hat die Autorin dieser Zeilen zu ihrem großen Bedauern verpasst. Als sie an der Alten Maschinenbauhalle ankam, strömten ihr die Menschenmassen entgehen, fast alle mit lächelnden Gesichtern und lauthals davon schwärmend, wie unglaublich toll der französische Trompeter gewesen sei. Tant pis pour toi – Pech gehabt, sagen Franzosen in diesem Fall.
Elbjazz Festival 2017
Alle Informationen
Abbildungenachweis: Alle Fotos: Isabelle Hofmann
Header: Elbjazz Bühne
Galerie:
01. Miu
02. Anna-Lena Schnabel
03. Beady Belle
04. Agnes Obel
05. Helgen Bühne
06. Beady Belle und Joshua Redman
07. Benny Greb Trio Moving-Parts
08. Nguyen Le mit der BDR Bigband
09. Abendstimmung Hauptbühne
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