Bildende Kunst
Rollenbilder und Rollenspiele - künstlerische Verkleidung

Salzburg, die Stadt Mozarts, die Stadt der Festspiele und des unverwüstlichen „Jedermann“, etabliert sich zunehmend auch als Stadt der bildenden Künste.

Im spektakulär schön gelegenen Museum der Moderne, das 2004 auf dem Mönchsberg, dem steinernen Herzen der Stadt, eröffnet wurde, läuft noch bis Ende Oktober eine Schau, die so gut ist, dass man kurzentschlossen seine sieben Sachen packen sollte, um sie noch zu sehen: „Rollenbilder – Rollenspiele“ ist eine grandiose Tour d’Horizon über die Spielarten künstlerischer Verkleidung – von den Tableaux vivants des 19. Jahrhunderts bis zu den Selbstdarstellungen im Internet.

„Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“ Richard David Prechts Psychologie-Bestseller wirft schon im Titel eine zentrale Frage des Lebens auf. Die Suche nach sich selbst, die Frage nach der eigenen Identität, gepaart mit der Lust an der Selbstverfremdung und Verkleidung, beschäftigt die Menschen, seitdem sie die Steinzeithöhlen verlassen haben. Bildende Künstler gehören dabei zu jener Spezies des Homo ludens, die sich – gleichsam von Berufswegen – besonders kreativ mit dem eigenen Ich auseinandersetzen und (neben Schauspielern) wohl am häufigsten in fremde Identitäten schlüpften. Die Kunstgeschichte ist voll von Rollenspielen und Verkleidungen, und das nicht erst seit der Moderne. Man denke nur an Rembrandt, der es liebte, sich als Edelmann oder Apostel in Szene zu setzen.

In den vergangenen 150 Jahren hat das Rollenspiel in der Kunst enorm Furore gemacht. Das mag an Freud und der Psychoanalyse liegen. Am Surrealismus und Arthur Rimbaud, der den Satz prägte: „Ich ist ein anderer“. Das mag auch an gesellschaftlichen Normen liegen, dem steigenden sozialen und kulturellen Druck, bestimmte Erwartungen zu erfüllen und seine Rolle im Alltag zu spielen. Wie sagte Shakespeare doch gleich: „Die ganze Welt ist eine Bühne und alle Frauen und Männer bloße Spieler“. Bleibt man bei diesem Bild, so bietet das MdM Mönchsberg eine großartige Kulisse für 100 international renommierte „Spieler“ und ihre schier umwerfende Fülle an Fotografien, Grafiken, Videoarbeiten und Installationen. Rollenspiele wie Rollenbilder sind hier in Kapiteln wie „Geschlechterrollen“, „Fiction und Fantasy“ oder „Religiöse Rollenspiele“ unterteilt, sodass die Arbeiten einiger Künstler in unterschiedlichen Zusammenhängen auftauchen. Gut gemacht ist hierbei auch die Gegenüberstellung von Inkunabeln des künstlerischen Rollenspiels - Marcel Duchamps weiblichem Alter ego Rrose Sélavie von 1921, Jürgen Klaukes „Self Performance“ von 1972 oder Andy Warhols „Self-Portrait in Drag“ von 1981 – mit den Bildparaphrasen jüngerer Künstler. So inszeniert der Japaner Yasumasa Morimura beispielsweise anspielungsreich das Rrose Sélavy-Porträt von Duchamps, während Anna Grzeszykowska sich an Cindy Sherman abarbeitet. Die junge polnische Künstlerin hat „Untitled Film Stills", Shermans erste große Werkgruppe“, (1977-1980), in denen sie Frauentypen der 40er- und 50er-Jahre verkörpert, nicht nur detailgetreu in Farbe nachgestellt – sie sieht ihr auch noch verblüffend ähnlich.

Im Grunde ist es unfair, ein paar Namen aus der Vielzahl hochkarätiger Künstler hervorzuheben, die Qualität ist durchweg erstklassig und es macht einfach Spaß, so vielen unterschiedlichen Verwandlungstypen zu begegnen. Drei Werke sollen jedoch nicht unerwähnt bleiben: Björks hinreißend poetisches Fantasy-Video zur Single „Wanderlust“ (2008). David LaChapelles surrealer Hip-Hop-Bibel-Remix „Jesus is my homeboy“ (2008). Und Christoph Draegers Videoinstallation „Black September“ (2002). Die beiden ersten bestechen in ihrer opulenten Bildsprache, das dritte wegen seines nachhaltigen Schreckens: Die palästinensische Terrorgruppe „Schwarzer September“ überfiel 1972 das Olympische Dorf in München, um die Freilassung der RAF-Köpfe Andreas Bader und Ulrike Meinhof zu erpressen. Die missglückte Rettungsaktion – insgesamt starben 17 Menschen – wurde erstmals live im Fernsehen übertragen. Christoph Draeger zeichnet den Terrorakt in einer akribischen Rekonstruktion bis ins Detail und mischt sie mit Fernseh-Mitschnitten von damals. Seine Message: Was wir als Wahrheit sehen, ist gesteuert, ist manipuliert. Auch die Medien spielen eine Rolle – wir müssen es uns nur immer wieder bewusst machen.

"Rollenbilder-Rollenspiele", noch bis 30. Oktober im MdM Mönchsberg, Mönchsberg 32, Salzburg, Österreich.
www.museumdermoderne.at

Fotonachweis:
Header: David LaChappelles: "Jesus Is My Homeboy", 2008

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