Hamburger Architektur Sommer

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Seit einiger Zeit ist es in Mode gekommen, Architektur und Bauen voneinander zu trennen. Die letzte Architekturbiennale in Venedig stand unter dem Motto „Architecture beyond Building“, und ihr Leiter Aaron Betsky vertrat unter anderem die These, das Bauen behindere am Ende nur die Architektur. Aber was ist, wenn das so sein sollte, Architektur, und was Bauen? Architektur wird hier verstanden als der große Entwurf, die Utopie, die Idee, das radikale Experiment - und Bauen, also die Umsetzung in eine begehbare, und bewohnbare Form, als das, was die Architektur ruiniert. Im Bauen scheitert die Architektur, die große Idee, an Konventionen, an DIN-Normen, an bornierten Bauverwaltungsbeamten, an Materialien, kurz, an der Realität. Man kann von dieser These halten, was man will - zumindest beschreibt sie ein großes Problem der Gegenwartsarchitektur.

Es ist tatsächlich so, dass es mittlerweile eine Architektur gibt, die sich von der Praxis des Bauens weitestgehend verabschiedet hat, fragile Fabelwesen eines Formdenkens, das nur im Dunkel der virtuellen Welt existiert. Von den Fragen der gebauten Realität hat sich diese Architektur beurlaubt. Und wenn sie doch einmal gebaut wird, dann sieht sie mit ihren gebogenen Stahlflächen, den starren Polyurethanhäuten seltsam schockgefroren aus, als sei sie beim Verlassen des virtuellen Raums erstarrt.

Auf der anderen Seite - und dies ist ein deutlich größeres Problem - gibt es ein Bauen, das völlig ohne Architektur auskommt. Man trifft es in der Stadt, vor allem aber in den Vorstädten an, dort, wo die Menschen neunzig Prozent ihrer Zeit verbringen. Viele Menschen ziehen in die Vororte der Städte oder aufs Land, weil sie einen Garten für die Kinder haben möchten, weil sie nach der Arbeit und am Wochenende Ruhe und Landluft genießen möchten. Wenn man an Landleben denkt, denkt man an idyllische Wiesen, an freien Blick, frische Luft, Weite, ein paar locker in die Hügel verteilte Bauernhöfe. Aber wenn zu viele den gleichen Traum haben, dann ist es aus mit dem einsamen Landleben. Fahren sie mal nach Quickborn oder nach Buxtehude: Was sie dort an Neubauten sehen, ist zum allergrößten Teil ein ökologisches, ästhetisches und soziales Desaster. Wer einmal in die Vororte deutscher Städte fährt, muss feststellen, dass es dort ganz anders aussieht als in den Landträumen der Fertighauskataloge: Die Häuser stehen dicht an dicht, das wenige Grün, wegen dem man ja eigentlich aufs Land zog, ist vollgebaut mit Garagen, Geräteschuppen, betonierten Parkflächen.

Es soll ja jeder so bauen, wie es ihm gefällt. Trotzdem ist angesichts dieser lieblosen Versammlung von Putz, Ziegeln und Plastikfenstern, die die Vororte dominiert, die Frage erlaubt: Was wusste derjenige, der für gar nicht wenig Geld diese Wohnkisten hier in die Welt gestellt hat, von Vitruvs drei Prinzipien der Architektur, zu denen neben der Firmitas, der Stabilität, der Utilitas, der Nützlichkeit bekanntlich auch die Venustas, die Anmut, gehört? Was wusste derjenige, der mit solchen hausähnlichen Trostlosigkeiten die vormals schöne Landschaft vollpflastert, von der Schönheit präziser Proportionen und von der Wirkung verschiedener Materialien? Offensichtlich nicht allzu viel. Das, was wir vor den Toren Hamburgs und anderer großer Städte sehen, ist das, was herauskommt, wenn ein schlechtes Computerprogramm den Architekten, seinen Blick, seine Vorstellungskraft ersetzt - vor manch einem Haus denkt man sich: Was hätte man mit dem Geld bauen können, wenn man einen Architekten gehabt hätte!

Nun gibt es Leute, die jetzt sagen: Typisch Architekturkritiker, es muss doch nicht jeder in einem Palladio oder in einem Mies van der Rohe wohnen; vielleicht gefällt den Leuten das Haus ja genauso so, wie es da steht, mit seiner schiefen Krüppelwalmdachmütze, sehr gut. Vielleicht. Doch leider haben wir es hier nicht nur mit einem ästhetischen, also letztlich subjektiven, sondern auch mit einem objektiven ökologischen Problem zu tun. Täglich pendeln Zigtausende mit ihren Autos aus den Vororten und den zersiedelten Dörfern in die Stadt zur Arbeit. Sie produzieren dabei Unmengen an Abgasen. Es ist ein zynisches Paradox: Weil sie aufs Land gezogen sind, müssen sie jeden Morgen eben jene Landluft verpesten, wegen der sie eigentlich die Stadt verlassen haben. Kann man das diesen Pendlern vorwerfen? Nein. Denn sie tun, was sie tun, nicht freiwillig, sondern weil sie in der Stadt nicht die Wohnungen, die Häuser, die Gärten finden, die sie sich wünschen.

Deswegen ist eine intelligente Architektur und Baupolitik so wichtig. Denn wenn es gelingt, Häuser zu bauen, die in der Stadt das bieten, was die Menschen in den Krüpperwalmdach-Doppelhaushälften vor der Stadt suchen - nämlich Ruhe, Erholung, ein bisschen Grün vor der Tür - dann leistet die Architektur einen Beitrag zum Umweltschutz, der weit über optisch desaströse Fassadendämmungen hinaus geht: Dieser Umweltschutz schützt auch die Stadt als soziales, gesellschaftliches Biotop.

Womit wir in der HafenCity wären: Dieses neue Wohnviertel, das ja eigentlich eine eigene kleine, an die schönste Stelle Hamburgs angedockte Idealstadt ist, ist mit seinen 40.000 Arbeitsplätzen und seinen Wohnungen für 12.000 Einwohner auch ein Signal für die Zukunft der Stadt. Wenn es gelingt - was noch nicht sicher ist - könnte die HafenCity eine Wende markieren, ein Zeichen dafür werden, wie man verdichtet bauen kann und die Menschen wieder in die Stadt lockt, was angesichts der Lage direkt zwischen Innenstadt und Fluss nicht schwierig sein sollte. Einen spektakulären Blick und eine zentralere Lage als hier hat man höchstens noch in Rio de Janeiro. Eigentlich müsste man sich darum reißen, in der HafenCity zu wohnen. Aber tut man das?

 



Immerhin mangelt es nicht an architektonischen Wahrzeichen, die den neuen Ort weithin sichtbar markieren. Die Hamburger, an denen ja traditionell die - meist unbegründete - Angst nagt, spröde und langweilig zu wirken, haben sich in den vergangenen Jahren immer wieder beschwert, dass ihre neue Architektur vielleicht handwerklich solide, aber halt auch spröde und gar nicht zeichenhaft sei; dafür gibt es jetzt mit der Elbphilharmonie von Herzog de Meuron und dem von Rem Koolhaas entworfenen Science Center geradezu einen Wahrzeichenstau an der Elbe.

Was aber an Alltagsarchitektur, an dem, was die Atmosphäre der Straßen prägt, bisher in der Hafencity zu sehen ist, hinterlässt, auch das muss hier bei all den Vorschusslorbeeren einmal gesagt werden, einen gemischten Eindruck. Einige Gebäude - und auch die eigenartigerweise viel gefeierten Magellan-Terrassen - sehen auf unglückliche Weise aufgekratzt aus, so wie ältere Herren, die von böswilligen Töchtern für einen Discobesuch herausgeputzt wurden. Andere Bauten dagegen stehen so gähnend langweilig am Wasser, dass man ihnen ihre eigenen Backsteine aufs Dach hauen und zurufen möchte: Aufwachen! Ihr steht in der HafenCity! Seid gefälligst ein bisschen einfallsreicher, eleganter, aufregender!

Dieses Oszillieren zwischen selbstzufriedener Banalität und ratloser Oberflächenkapriole ist doppelt ärgerlich, denn in Hamburg gibt es zur Zeit so viele begabte jüngere Architekten wie kaum sonst irgendwo in Deutschland: Carsten Roth zum Beispiel, dessen bekanntester Bau die sensible Ergänzung der raketenförmigen Kirche von Sankt Nikolai am Klosterstern ist. Oder Laura Jahnke, die in Duvenstedt ein Kettenhaus im Geist der klassischen Moderne gebaut hat. Oder Kraus und Schönberg Architekten, die in Ohlstedt ein so kluges, einfallsreiches kleines Einfamilienhaus gebaut haben, wie man es sonst nur in Tokio findet, ein Haus, das zeigt, wie Verdichtung einen neuen Raumreichtum schafft und das zurecht den deutschen Holzbaupreis erhalten hat. Solche Bauten findet man nicht oder noch zu wenig in der HafenCity. Hamburgs Stadtplaner und Investoren sollten hier ruhig noch mehr das Potenzial der eigenen Architekturszene anzapfen, die bisher eher an den Rändern der Hansestadt sichtbar wird.

Wie fühlt sich die neue Stadt am Hafen an? Das ist eine wichtige Frage. Denn es ist die Atmosphäre, die darüber entscheidet, ob eine Gegend attraktiv ist oder nicht, und diese Atmosphäre hängt an kleinen, aber alles entscheidenden Details. In einigen Ecken der HafenCity ist die Hafenatmosphäre, das Dichte, Lärmende, Lebendige der alten Kais, doch ein wenig zu sehr desinfiziert worden. Am Sandtorkai hocken ein paar gleichförmige Luxuswohnkartons nebeneinander wie Rentner auf der Parkbank. Auch wenn einige Architekten hier bauästhetisch das Maximum aus der formalen Vorgabe herausgeholt haben: Solche Bauten ignorieren den weltweit einmaligen Bauplatz auf eine Weise, die ratlos macht. Von der Nähe des Flusses, vom weiten Blick über die Elbe bekommt man hier nichts mit. Was hier steht, ist letztendlich nur die hochwassersichere Variante des Apartmentblocks, der unter dem Rubrum „Stadtvilla“ die besseren Vororte von Wiesbaden und Bremen pflastert. Nur: Dies ist kein Bremer Vorort, dies ist die HafenCity - und hier hätte man schon ein wenig dichter, höher, ortsangemessener bauen können. Auf dem Kaiserkai spürt man dagegen, wie hier einmal eine dichte Wohnstadt mit Restaurants und Läden entstehen könnte, ebenso auf dem Dalmannkai, wo 630 Wohnungen entstehen, auch bezahlbare für weniger wohlhabende Schichten.

Diese soziale Mischung, die befruchtende Nähe verschiedener Milieus, ist etwas, das in Hamburg Tradition hat. Nehmen Sie die "Strandperle", das kleine Lokal unten am Elbstrand; es ist eines der besten Beispiele für den Genius loci der Hansestadt, ein Musterbeispiel dafür, wie Hamburg funktioniert - nämlich gerade nicht, wie es böse Menschen immer wieder behaupten, als ein Wohlstandsghetto, das man nur mit Hermèstuch, Barbourjacke und dunkelgrünem Jaguar betreten darf, sondern als sein Gegenteil: als klassenlose Utopie. Am Strand von Övelgönne treffen sich alle: Anwälte, Punker, Studenten aus Altona, Millionäre aus den Elbvororten. Vielleicht sollten die Planer dieser Stadt auch solche Orte, die nicht geplant wurden, sondern sich ergeben haben, noch intensiver studieren - und Plätze einräumen, an denen solche sozialen Prozesse stattfinden können.

Ob es in der HafenCity lebendig genug wird, hängt nicht nur von architektonischen, sondern vor allem von politischen Entscheidungen ab. Vor einer Luxusverslumung, wie sie die Londoner Docklands erlebt haben, können das neue Viertel auf die Dauer nur Verdichtung und soziale Mischung bewahren. Es ist das einfache, alte Rezept für gute Städte: Wo viele Menschen täglich leben, werden viele Brötchen gekauft, entstehen kleine Läden, Kindergärten, Cafés, Obstläden, und am Ende ergibt sich das gute Chaos aus Handel, Verkehr und unterschiedlichsten Bewohnern, das auch an dieser Stelle früher einmal das alte Hafenviertel prägte. Auch die Chance, die Stadtteile zwischen Norder- und Süderelbe, also Veddel und Wilhelmsburg, an die Innenstadt anzudocken, sollte man sich nicht entgehen lassen.

 

Auch die HafenCity, das Beispiel Hamburg zeigt: Die Baukultur eines Landes kann nur so gut sein wie die Kultur seiner Politiker und Beamten. Es mangelt wahrlich nicht an guten Architekten. Es mangelt aber oft an Politikern und Verwaltungsbeamten, die auch einmal über eine Norm hinwegsehen können, wenn es um ein neues Bauen geht. Das fängt bei so kleinen Dingen wie den Fensterrahmen an. In Deutschland müssen sie Fensterrahmen verbauen, mit denen Sie einen Grizzlybären erschlagen können. Solche Fensterrahmen machen Sinn in Gegenden, wo die Temperaturen öfter unter minus dreißig Grad sinken, aber nicht hier. Der Vorschriftenirrsinn geht weiter mit den Reglungen, die die Bebauung von Flachdächern in der Stadt verhindern. Zigtausende von ungenutzten Quadratmetern liegen in jeder Stadt brach. Bautechnisch wäre es möglich, hier, auf den ungenutzten Flachdächern, kollektive Gärten, Einfamilienhäuser, Gemüsebeete, Spielplätze zu bauen. Aber das scheitert meistens an einem einmaligen Regelwirrwarr.

Zu einer neuen Baukultur gehört eine neue Baupolitik, eine Politik der Ermöglichung. Es braucht Politiker, die sich für Architektur, für das, was die Stadt, die gebaute Umwelt sein könnte, interessieren. Wenn Politiker sich unter Baukultur nicht mehr vorstellen können als ein Friesenhausimitat mit Plastiksprossenfenstern oder ein rekonstruiertes Berliner Stadtschloss, dann wird es für die Baukultur schwierig. Hier müssen aber auch die Architekten Überzeugungsarbeit leisten, und deswegen wünschte man sich noch mehr Veranstaltungen wie diesen Architektur Sommer, vielleicht sogar einmal eine Architektursommer-Bauausstellung, die zeigt, wie man mit geringen Mitteln in der Stadt neue Orte schaffen kann. Gute Architektur ist schließlich auch immer Verführung zu einem anderen Leben. Gute Architektur sagt: Bleib in der Stadt, in diesem Gebäude, das Dir alles bietet, was Du Dir vom Landleben wünschst, auf diesem Platz, auf dem es weniger langweilig ist als im Wendehammer vor deinem Reihenhaus draußen vor der Stadt.

Und: Vielleicht muss man, wenn man über Architektur spricht, auch einmal über die Sprache sprechen, in der über Architektur gesprochen wird. Ich meine damit nicht die eigenartig hermetische Wettbewerbsprosa. Ich meine nicht Formulierungen wie „der rückwändige Teil des Baukomplexes fügt sich mit seinen perforierten Stahlpaneelen sensibel in den selbst porös anmutenden städtischen Kontext ein“. Ich meine die Sprache und die Wege, in der, auf denen Inhalte und Formen einer neuen Architektur kommuniziert werden; man wird jenseits von Websites zum Thema Nachhaltigkeit und Broschüren zum Passivhaus andere Wege finden müssen, breitere Massen für diese Themen zu begeistern. Es ist eine gute, eine spannende, eine aufregende Zeit für Architekten; zu den großen Herausforderungen gehört die Ökologie ebenso wie das Problem der sozialen Segregation. Zur Lösung beider Problemfelder ist Architektur wesentlich. Und: Es gibt neue technische Entwicklungen, mit denen eine neue Ästhetik für diese Aufgaben entwickelt werden kann.

 



Zum Beispiel die Solarenergie. Bisher wurden auf die immergleichen Häuser die immergleichen, meist unansehnlichen Solarelemente gepappt. Eine Solarmoderne, die aus den Chancen der regenerativen Energien eine neue Bau-Ästhetik destilliert, gab es bisher kaum. Andere Branchen haben die Chancen ergriffen, hier eine neue Ästhetik zu entwickeln - zum Beispiel die Autobranche. Sie wissen, dass Le Corbusier 1925 gefordert hat, sich beim Bauen am Automobil zu orientieren. Diese Forderung war später ziemlich unpopulär; stellen sie sich einmal vor, in den fortschrittsskeptischen achtziger Jahren, in denen viel von Stadtreparatur und Rückbau und Verkehrsberuhigung die Rede war, hätte einer gesagt: Baut Häuser, wie man Autos baut. Man hätte ihn als unbelehrbaren Modernisten beschimpft, schließlich galt das Auto als Feind der Stadt - obwohl sich zwischen den Betonblumenkübeln der autofreien Fußgängerzonen auch nicht gerade das ersehnte alte Stadtgefühl einstellte.

Aber was soll die Architektur gerade heute von der Autobranche lernen? Vor allem eins: Dass Ökologie nicht nur Verzicht, Entsagung, Reue und Selbstgeißelung bedeuten muss. Nehmen sie das Beispiel des Autoherstellers Tesla. Die Firma baut Elektroautos, die mit dem Strom, den Solarzellen auf dem Garagendach liefern, 25.000 Kilometer im Jahr fahren. Die Botschaft dieser Sport- und Familienwagen, die schneller als ein Porsche beschleunigen, ist vor allem eine: Dass Ökologie Spaß machen kann. Dass sie nicht nur Verzicht, Einschränkung, Gürtel enger schnallen bedeutet - sondern ein aufregendes neues Lebensgefühl.

Soweit ist die Öko-Architektur noch nicht. Auf Kongressen wird man mit staubtrockenen Vorträgen über die Nachhaltigkeit nachhaltigen Bauens ins Schlafkoma getrieben, energiesparende Architektur läuft in Fachkreisen unter der schüchternen Rubrik „Passivhäuser“. Aber möchte man ein „Passivhaus“ haben? „Wir haben jetzt ein Passivhaus“: Das klingt nach herumliegenden Pantoffeln, nach depressiven Abenden im kühlen Wohnzimmer, nach einem Haus, in dem nichts los ist, nach einer Entschuldigung: „Warum steht denn ihr Haus so traurig auf dem Grundstück?“ – „Ich weiß auch nicht, ist halt ein Passivhaus.“ Diese Sprache hat etwas mit Ideologie zu tun: Die Öko-Bewegung war traditionell fortschrittsfeindlich, sie sah im High-Tech - meistens zu recht - eine naturausbeutende, technokratische Ideologie, der sie das vormoderne, rurale Idyll selbstversorgender Landkommunen entgegensetzte, nicht ohne den lustfeindlichen Pietismus, das Muffige, Enge, Abkapslerische und oft Xenophobe jener Referenzsysteme mit zu übernehmen. Ökologie und Nachhaltigkeit scheiterten meist an ihrem freudlosen Auftritt. Öko-Autos sahen bisher aus, als hätte man Fahrradreifen an Tupperdosen montiert, doch das ändert sich gerade grundlegend. Ökologische Architektur leidet darunter, dass sie ästhetisch nicht vermittelt, was sie technisch beherrscht. Die neue, im Automobilbereich zu beobachtende Fusion der ehemaligen Gegenpole Öko und High Tech könnte das ändern.

Es heißt immer, die Zeit der großen Entwürfe sei vorbei. Warum eigentlich? Ein Blick auf das, was in Europa, in den Vereinigten Staaten und in Asien gebaut wird, zeigt, dass das nicht so ist. Gerade in den vergangenen Jahren hat sich auch jenseits der wichtigen Frage von Ökologie und Nachhaltigkeit ein neuer Diskurs über die grundsätzlichen Fragen des Bauens entwickelt. Diese Fragen lauten: Was kann ein Raum jenseits dessen, was wir kennen, sein? Genauer: Wäre es denkbar, Räume zu schaffen, die jenseits der klassischen Aufteilung in privaten und öffentlichen Raum ein neues, ein anderes soziales Miteinander ermöglichen? Es gibt viele Beispiele für ein neues Raumdenken, für eine Architektur, die grundlegend neu sortiert, was öffentlich und was privat ist. Der Architekt Rem Koolhaas, den man nicht für alles mögen muss, was er zwischen Dubai und China plante, hat in Seattle eine Bibliothek gebaut, wie es sie noch nicht gab. In einer Gegend, in der es nur Straßen und Hochhäuser gibt, ist dieses Gebäude mehr als eine klassische Bibliothek. Es ist ein in die Vertikale gefalteter, mit einem Stahlnetz ummantelter öffentlicher Platz. Über einen Spiralweg, der sich wie ein Wurm durch die Bücher der Bibliothek nach oben frisst, wird die Öffentlichkeit in Höhen gebracht, in der bisher nur privater Büroraum zu finden war. In diesem Gebäude sitzt man wie auf einem öffentlichen Platz - und gleichzeitig so intim wie im Wohnzimmer. Kann Kaffeetrinken oder E-Mails schreiben oder flanieren. Banker kommen hierher zum Mittagessen, Studenten zum Lesen, Schulklassen zum Lernen; ein paar Arbeiter bummeln mit ihren Frauen die Rampe hoch, um den Blick auf die Bucht zu genießen, ein Buch zu lesen, einen Kaffee zu trinken. Das öffentliche Haus wird so auch zu einer sozialen Zentrifuge, die das schafft, was Heeren von Integrationsbeauftragten nicht gelang.

Könnte so etwas auch in der HafenCity gelingen: eine Architektur, die nicht nur schicke Fassaden generiert und alte Stadtmodelle imitiert, sondern die ein neues Stadtgefühl, neue Räume für eine veränderte Gesellschaft schafft? Vor gut einem halben Jahrhundert hielt der Philosoph Martin Heidegger seinen berühmten Vortrag mit dem Titel „Bauen Wohnen Denken“. Er kritisierte die technokratische Architektur seiner Zeit und trat für ein Bauen ein, dass sich als Gedächtnis der Wohnwünsche der Menschen begreift, als Speicher für das Wissen darum, wie man sich in der Welt verortet. Vielleicht erkennt man ein gutes Gebäude vor allem daran, dass es Bauen und Architektur wieder zusammen bringt: Daran, dass zu dem von Heidegger geforderten Wissen um die Geschichte des Wohnens und Bauens, die progressive Fähigkeit zur Architektur kommt: die Fähigkeit, sich neue Räume für eine veränderte Gesellschaft vorzustellen, und mit neuen Materialien und Formen auf die Herausforderungen seiner Zeit zu reagieren. Wenn das gelingt, werden sogar nachhaltige Passivhäuser ihren Schrecken verlieren.

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