Meinung

Beitragsseiten

Erster Weihnachtstag
WIe schön leuchtet der Morgenstern /
Voll Gnad vnd Warheit von dem HERRN /
Die süsse Wurtzel Jesse?
Du Sohn Dauid / auß Jacobs Stamm /
Mein König vnd mein Bräutigam /
Hast mir mein Hertz besessen /
Lieblich /freundtlich /
Schön vnd herrlich /Groß vnd ehrlich /
Reich von Gaben /
Hoch vnd sehr prächtig erhaben.
(Original von Philipp Nicolai 1597)

Wie schön leuchtet der Morgenstern (auch „Wie schön leucht’ uns der Morgenstern“) ist ein Choral von Philipp Nicolai (1556-1608). Der in Hamburg wirkende Pfarrer, Komponist und Dichter verfasste Text und Melodie.Als erster Weihnachtsfesttag ist der 25. Dezember erst seit 336 in Rom belegt. Wie es zu diesem Datum kam, ist umstritten. Diskutiert wird eine Beeinflussung durch den römischen Sonnenkult. Kaiser Aurelian (Lucius Domitius Aurelianus lebte von 214 n.Chr. bis 275 n.Chr.) hatte den 25. Dezember im Jahr 274 als reichsweiten Festtag für „Sol Invictus“ festgelegt. Zwischen diesem römischen Sonnengott und „Christus, der wahren Sonne“ („Christus verus Sol“) zogen die Christen früh Parallelen.
Man feiert Weihnachten heute meist als Familienfest mit gegenseitigem Beschenken; dieser Brauch wurde seit 1535 von Martin Luther als Alternative zur bisherigen Geschenksitte am Nikolaustag propagiert, um so das Interesse der Kinder auf Christus anstelle der Heiligenverehrung zu lenken.

Norddeutschland, besonders Hamburg, hatte schon immer ein besonderes Verhältnis zum Christfest. Wohl kaum irgendwo sonst ist so viel (lutherische) Weihnachtsmusik komponiert und aufgeführt worden, wie in dieser Region und der Hansestadt. Großen Anteil daran hatte die Familie Praetorius, die wie in Sachsen und Mitteldeutschland späterhin die Familie Bach, über all an Schlüsselpositionen die Musik in Kirche und auf dem Tanzboden in Hamburg und in ganz Norddeutschland bestimmte.
In Hamburg gab es die eine Linie der Familie und der berühmteste von ihnen, Michael Praetorius, Komponist fast aller unserer bekannten Weihnachtslieder aus dieser Zeit, wirkte und lebte hingegen in Wolfenbüttel.
Die norddeutsche Musikerfamilie Praetorius: Jacob Praetorius der Jüngere (1586 -1651) war ein Hamburger Organist und Komponist. Jacob Praetorius' Großvater Jacob Praetorius der Ältere (1520-1586) und sein Vater Hieronymus Praetorius (1560–1629) waren Organisten an der Hauptkirche St. Jakobi in Hamburg, seinen ersten Unterricht erhielt er bei seinem Vater. Jacob Praetorius der Jüngere erhielt schon 1604 im Alter von nur 18 Jahren die Organisten-Stelle an der Hamburger St. Petri-Kirche, die er bis zu seinem Tod bekleidete. Nach neuesten Forschungen begab sich Praetorius d.J. ab 1606 für zwei Jahre nach Amsterdam, um bei Jan Pieterszoon Sweelinck (1562-1621) zu studieren, womit er einer von dessen ersten Schülern gewesen zu sein scheint.
Sweelinck komponierte für Praetorius' Hochzeit im Jahre 1608 eine Motette. Jacob Praetorius hatte drei Söhne und drei Töchter, sein Sohn Hieronymus wurde ebenfalls Musiker.
Michael Praetorius (1571-1621), der „Wolfenbütteler Praetorius“ – nicht direkt verwandt mit den Hamburger Praetoriussen - hinterließ eine große Zahl wertvoller Kirchenkompositionen (Messen, Motetten, Hymnen, Kirchenlieder), aber auch weltliche Tänze sowie musikwissenschaftliche Schriften. Sein bedeutendstes Werk, das „Syntagma Musicum” gilt heute als wichtigste Quelle zur Aufführungspraxis der deutschen Musik des Frühbarocks. Die dreibändige Abhandlung beschreibt detailliert die zeitgenössische musikalische Praxis und alle damals gebräuchlichen Musikinstrumente. In seinem 1.244 Liedbearbeitungen umfassenden Sammelwerk „Musae Sioniae“ gab er seit 1605 das musikalische Erbe der Reformation an seine Zeit weiter.

Zum ersten Weihnachtsfeiertag passt also ein musikalischer Reigen von Praetorius- und Kollegen-Kompositionen des norddeutschen Frühbarock, authentisch aufgeführt von dem Musikwissenschaftler und Chorleiter Manfred Cordes und seinem jungen Ensemble zusammengesetzt aus seinen Bremer Musikstudenten, dem „Bremer Barock Consort“. Cordes wurde bekannt und ist hochgeschätzt auch mit seinem alternierenden Hauptensemble Weser Renaissance von dem wir Aufnahmen in unserer „Hammonia Cantat“-Betrachtung im KlassikKompass bereits vorstellten.
Zwei Aufnahmen lieferte Cordes zum Thema norddeutsche Weihnachtsmusik des Frühbarock. Eine CD mit Musik von Michael Praetorius „Puer natus in Bethlehem“ („Ein Kind gebor’n zu Bethlehem“). Sieben junge Sänger und Sängerinnen und ein Instrumentalensemble von zehn Musikern mit Blockflöten, Violen-da-Gamba, Harfe und Orgel – unter ihnen die Tochter der bekannten Barock Gambistin Hille Perl, Marthe, spielen und singen Weihnachtslieder von Michael Praetorius in einer in ihrer Klarheit und Innigkeit bestechenden Aufnahme. Zu hören sind alle Praetorius-„Hits“ für die Weihnachtstage von „In dulci jubilo“ über “Vom Himmel hoch“ und „Puer natus in Bethlehem“ und „Gelobet seist du Jesu Christ“ zu „Joseph, lieber Joseph mein“.

Das zweite Cordes Album beschäftigt sich mit „Barocke Weihnachten in Hamburg“ und umfasst mit dem um festliche Blasinstrumente wie Posaunen, Zinken und Dulzian erweiterten Ensemble „Bremer Barock Consort“ Musiken der hanseatischen Praetorius-Familie (siehe oben) und einiger ihrer bedeutenden Musiker Kollegen an Hamburger Hauptkirchen. So hört man Kompositionen von Thomas Selle (1599-1636), Heinrich Scheidemann (1596-1636), Christoph Bernhard (1627-1692), Johann Philipp Förtsch (1652-1732) und Matthias Weckmann (1619-1674) – allesamt waren Musiker und Organisten an Hamburger Kirchen.
Diese CD erscheint als eine gelungene Fortsetzung der ersten Praetorius CD mit Weihnachtsliedern, weil sie die Verarbeitung dieser in der Überganszeit von Renaissance zu Barock entstandenen Gesänge in ihrer festlichen ausgedeuteten Funktion und Weiterentwicklung in der Kirchenmusik des Barock der Hansestadt wiederspiegelt.
Cordes führt bestechende, geistliche Konzerte auf wie das Choralkonzert zu „Gelobet seist du Jesu Christ“ von Förtsch – schon an Johann Sebastian Bachs Kantaten erinnernd. „Angelus ad pastores“ („Die Engel bei den Hirten“) von Hieronymus Preatorius ist dagegen noch im Frühbarock angesiedelt, eine prächtige Motette für drei vierstimmige Chöre.
Es lohnt beide CD Alben zu besorgen, sie geben ein breites und interessantes Klangbild der Musik von der späten Renaissance bis zum Hochbarock in den Kirchen Norddeutschlands und Hamburgs. Natürlich sind beide CD mit besten Informationen im begleitenden Textheft ausgestattet – man lernt eine Menge über weihnachtliche Musik und Musiker an der „Waterkant“ im 16. und 17.Jahrhundert.

Die CD Michael Praetorius „Puer natus in Bethlehem“ mit dem Ensemble Bremer Barock Consort unter Manfred Cordes ist zu haben bei CPO Records unter der Bestellnummer 777 372-2.
Die CD „Baroque Christmas in Hamburg“ mit dem erweiterten Ensemble Bremer Barock Consort unter Manfred Cordes ist zu haben bei CPO Records unter der Bestellnummer 777 553-2.

Leipzig war eine Hochburg der Kirchenmusik schon vor Bach. Einer der Frühbarocken Thomaskantoren war Johann Schelle (1648-1701). Er wurde bereits im Alter von sieben Jahren Diskantist der königlich Sächsischen Hofkapelle zu Dresden unter Heinrich Schütz. Auf dessen Empfehlung wurde Schelle 1657 als Chorsänger in die Herzogliche Kapelle in Wolfenbüttel aufgenommen, für die Heinrich Schütz als Kapellmeister tätig war. Von 1665 bis 1667 war Schelle Sänger beim Thomanerchor an der Thomasschule zu Leipzig. Er führte als einer der Ersten deutschsprachige oratorische Evangelien-Kantaten im Gottesdienst auf. Vom 31. Januar 1677 bis zu seinem Tode war Schelle Thomaskantor in Leipzig, als Nachfolger von Sebastian Knüpfer und Vorgänger von Johann Kuhnau. Gleichzeitig war er „Director chori musici“ für die Stadt Leipzig. Er führte in Leipzig die Verbindung von vertontem Evangelien-Text mit geistlichen Liedern und die Choralkantate ein und komponierte vor allem vokal-instrumentale Kirchenmusik.
Die Kölner Alte Musik-Gruppe Musica Fiata unter ihrem Leiter und Zinkisten Roland Wilson hat Werke des Leipziger Thomaskantoren Schelle auf der CD „Actus Musicus auf Weyhnachten“ zusammengestellt. Begleitet von einem vollen, prächtigen Bläserchor wird hier die Weihnachtsgeschichte in drei Teilen dramatisiert und musikalisch ausgemalt. Der „Actus“ wurde von Schelle zum ersten Mal am Christfestabend 1683 aufgeführt. Seine Textvorlage fand der Komponist im Lukasevangelium (Kapitel II, Verse 1 bis 20). Diesem biblischen Text ist das Weihnachtslied „Vom Himmel hoch“ gegenübergestellt.
Das musikalische Material gewann Schelle neben Rezitativpartien des Evangelisten und freithematisch gestalteten Chören der Engel und Hirten aus weihnachtlichen Kirchenliedern die auf das „Neu Leipziger Gesangbuch“ von 1682 zurückgehen. Diese Liedweisen „Vom Himmel hoch“, „In dulci jubilo“, „Gelobet seist du Jesu Christ“, „Lobt Gott ihr Christen alle gleich“ und „Wir Christenleut“ prägen vor allem die Instrumentalsätze des Actus.
Wahrlich großartige Weihnachten aufgeführt von einem Ensemble der schönsten Stimmen der Alten Musik unter anderen Gundula Anders und Mona Spaegele (Sopran), Andreas Scholl (Altus), Wilfried Jochens (Tenor) und Harry von der Kamp (Bass).

Die CD Johann Schelle „Actus Musicus auf Weyhnachten“ mit dem Ensemble Musica Fiata unter Roland Wilson ist zu haben bei Deutsche Harmonia Mundi/Sony Music unter der Bestellnummer 886.975.75.782.


Teil 2 des KlassikKompass - Weihnachten folgt am 09.12.2012

Fotonachweis:
Header: Datails aus rechter und linker Flügel des Altars: Engel als Musiker, Hans Memling, 1485, Öl auf Holz, Königliches Kunstmuseum, Antwerpen/Belgien
Galerie:
01. Engelsorchester
02. CD-Cover: „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ mit dem Ensemble „Flautando“
03. CD-Cover: Die CD „Nun komm der Heiden Heiland“ und „In Adventu Domini“ mit dem Ensemble „Amarcord“
04. CD-Cover: Johann Sebastian Bach „Nun komm der Heiden Heiland“
05. Heilige Nacht
06. CD-Cover: „Weynacht-Gesänge“ mit dem Ensemble „Stimmwerck“
07. CD-Cover: „In nativitate Domini“ mit dem Ensemble Bell’Arte Salzburg und den Sopranistinnen Emma Kirkby und Susanne Ryden
08. CD-Cover: „Christmette“ mit dem Ensemble Gabrieli Consort & Players unter Paul McCreesh
09. CD-Cover: „Baroque Christmas in Hamburg“ mit dem erweiterten Ensemble Bremer Barock Consort unter Manfred Cordes
10. CD-Cover: Johann Schelle „Actus Musicus auf Weyh-nachten“ mit dem Ensemble Musica Fiata unter Roland Wilson

Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)

Kommentare powered by CComment