Verhält es sich so, dass nicht jede Komposition zu jedem Interpreten, oder, vielmehr, nicht jeder Interpret zu jeder Komposition ‚passt‘ – auf die Reihenfolge der Gewichtung ist in der Musik, wie sich von selbst versteht, unbedingt zu achten?
Dann verhält es sich mit Max Bruchs (1838–1920) 1868 endgültig fertiggestelltem 1. Violinkonzert in g-Moll, op. 26, das er, je länger, je mehr als ‚Fluch‘ empfand – „Ich kann dieses Concert nicht mehr hören – habe ich vielleicht nur dieses eine Concert geschrieben? Gehen Sie hin und spielen Sie endlich einmal die anderen Concerte, die ebenso, wenn nicht besser sind!“ – so, dass dieses mindestens drei Gefühlslagen auslotende, ihnen mit höchster Sensibilität nachsinnende Stück Musik in diesem Konzert mit dieser Soloviolinistin seine kongeniale Interpretation gefunden hat.
Das Allegro Moderato des 1. Satzes ist in seiner unnachgiebigen Persistenz, gerade seines tastenden, vorsichtig anklopfenden Einstiegs wegen, von einer leidenschaftlich-unbedingten Herzinnigkeit, in der musikalisch, sozusagen, alles auf eine Karte gesetzt wird. Ein Sich-Zurücknehmen ist für diesen Drang nach dem Alles keine Option. Sollte sich das Ziel als ein Unerreichbares herausstellen, bleibt nur der Weg hinab ins finale Verstummen. Das aber durch das attacca zu spielende Adagio des 2. Satzes in zartestem Glanz vor seinem endgültigen Vergehen erlösend in der schützenden Umarmung – du bist nicht allein – bergend-geborgen zurückgenommen wird.
Dieses Adagio ist in seiner Zurückgezogenheit so traurig-innig-zart, in seiner ziehenden Sehnsucht so flehentlich, in seinem zerbrechlichen, herzrührenden Klang so verschwebend wie eine Bitte um Erfüllung von ganz weit her. Das Finale im Finale des Satzes bäumt sich – der Wunsch, das Ersehnte möchte real werden, bricht, erneut und einmal mehr, eruptiv hervor – feierlich zu einem hellen Es-Dur auf, und nimmt sich schließlich doch, ängstlich fast, in die traurig-innige Zartheit des entsagenden Anfangs zurück.
Das Finale, Allegro energico erinnert frappant an den letzten Satz von Johannes Brahms Violinkonzert in D-Dur, op. 77 aus dem Jahr 1879, wenngleich die Erinnerung in die entgegengesetzte Richtung weist. Womöglich hat sich Brahms zu dem Allegro giocoso mit den ungarisch gefärbten Tanzthemen durch den 3. Satz des Bruchschen Konzerts anregen lassen?!
Die dänische Violinistin Anna Agafia Egholm hat gemeinsam mit dem Vejle Symphony Orchestra unter der musikalischen Leitung von Anne Cathrine Kielland Lund mit einer ungeheuren Kraft und Feinfühligkeit zum einen die je unterschiedlichen Sehnsuchtsgrade des ersten und zweiten Satzes in einen das Herz berührenden Klang umgesetzt, und zum anderen das tanzende Draufgängertum des Finalsatzes mit einer auftrumpfenden Lebendigkeit – das Herz hüpft vor unbändiger Freude – erstrahlen lassen.
Bei diesem Konzert ist „überall das inhärente Maß dem Gegenstand“ angelegt worden, was nichts anderes heißt, als dass diese Violinistin und dieses Orchester es verstanden haben, „nach den Gesetzen der Schönheit“ das entsprechend Vorgeformte nun ihrerseits zu formieren. (Karl Marx, aus den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten von 1844)
Max Bruch: 1. Violinkonzert in g-Moll, op. 26
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Max Bruch: Violin Concerto no. 1 G-Moll, op 26 (1866) performed by Anna Agafia Egholm (violin solo) 26:13 Min.
Live recording 19th November 2019 with Vejle Symphony Orchestra (Vejle Amateur Music Association) at Vejle Musical Theatre, Denmark. Recorded by Jacob Nielsen. Thanks to Jacob Gade Foundation and Vejle Municipality for support. 1.Vorspiel - Allegro Moderato. min. 0 - 9.00 2. Adagio min. 9.00 - 17.44 3. Finale - Allegro energico min.17.50 - 26.13
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