Wiederentdeckte Ohrwürmer: Robin Johannsen singt Caldara
- Geschrieben von Hans-Juergen Fink -
Ein Album voller Entdeckungen und Überraschungen: Die erste Solo-CD der amerikanischen Sopranistin Robin Johannsen – sie singt ab dem 25. Mai an der Hamburger Staatsoper die „Almira“ in Händels gleichnamigem Bühnenerstling. Begleitet wird sie von der Academia Montis Regalis unter Alessandro de Marchi, der in Hamburg als Experte für das Barockfach im Einsatz ist. Die beiden haben in den Bibliotheken Werke von Antonio Caldara (1670-1736) ausgegraben und unter dem Titel „In dolce amore“ drei Solokantaten des gebürtigen Venezianers und sieben Arien aus seinen Opern aufgenommen – allesamt Ersteinspielungen. Sie handeln von der Liebe und all ihren Emotionen. Und sind sämtlich kleine Juwelen der Barockmusik, in der Komposition ebenso wie in dieser Interpretation.
Caldara, geboren acht Jahre vor Vivaldi und 15 vor Händel und Bach, war ein gefeierter Star seiner Epoche, sein Berufs- und Lebensweg führte ihn von Venedig über Mantua und Rom nach Wien, wo er zwanzig Jahre lang am Hof des komponierenden Kaisers Karl VI. arbeitete. Der Monarch soll von den Opern seines Vizekapellmeisters so begeistert gewesen sein, dass er einige sogar selbst dirigiert hat.
Caldara war äußerst produktiv, er schrieb an die 3.400 Werke, darunter mehr als 80 Opern, 43 Oratorien, etwa 150 Messen, Serenaden, Kantaten und Sinfonien. Aufgeführt wurden sie von den berühmtesten Vokalisten seiner Zeit. Sein melodiöser Erfindungsreichtum und seine Fähigkeit, Gefühlsregungen sehr direkt in Musik auszudrücken wurden hoch gerühmt, dann aber gerieten seine Musik fast völlig in Vergessenheit; erst seit einigen Jahren werden sie verstärkt wieder aufgeführt und aufgenommen – und man kann sicher sein, dass es da noch viel zu entdecken gibt.
So wie bei „In dolce amore“ – einer spannenden Mischung aus Opernarien mit ausholender und eindrücklicher Affektsprache, dramatischen Koloraturpassagen und eingängigen Melodien. Robin Johannsen bringt in Caldaras Musik zarteste Gefühle zum Leuchten, lässt quälende Trauer klagen, mit einem schlanken und extrem beweglichen Sopran, der sich in virtuosen Kaskaden der Opernarien und in ihren großen Tonsprüngen ebenso sicher fühlen darf wie in den hoch expressiven Wendungen der Arien und Rezitative. Und aus den meist etwas ruhigeren Kantaten – die bieten allerlei Anlässe, über Freud und Leid, Grausamkeit und Eifersucht, Zurückweisung und Besitzansprüche zu singen. Robin Johannsen modelliert das fein. Dürfte man sich zum vollkommenen Glück etwas wünschen, wäre es an einigen wenigen Stellen der Klarheit wegen eine Spur weniger vom raschen Vibrato in ihrer Stimme. Einige der hier hörbaren Stücke sind ausgesprochene Ohrwürmer.
Verdienstvoll: Alle Texte sind im Booklet vollständig abgedruckt und übersetzt, was das Verständnis der Musik erleichtert. Weniger verdienstvoll: Das Booklet verzichtet unverständlicherweise komplett auf Informationen zu den beteiligten Künstlern.
Johannsen, die an der 2002 als Stipendiatin an die Deutsche Oper Berlin kam und 2003 ins Ensemble wechselte, 2006 nach Leipzig ging und seit 2008 als freie Sängerin arbeitet, kann inzwischen auf eine stolze Karriere zurückblicken, zu der große Opern-Rollen ebenso gehören wie ihre Mitwirkung in Oratorien und an experimentellen Projekten wie „The Infernal Comedy“ mit John Malkovich und Martin Haselböck.
Begleitet wird Johannsen von der Academia Montis Regalis aus dem Piemont. Sie ist 1994 entstanden aus einem Orchesterprojekt für Barockmusiker, hat sich zu einem der führenden und häufig preisgekrönten Barockensembles Italiens entwickelt, mit ambitionierten CD-Aufnahmen; sie wird geleitet von ihrem Chefdirigenten Alessandro de Marchi, dessen präzise und feinnervige Barock-Dirigate, darunter auch Bachs alljährliches Weihnachtsoratorium für John Neumeiers Ballett, in Hamburg große Anerkennung bekommen. Seit 2010 ist das Ensemble bei den Innsbrucker Festwochen und spielt dort jedes Jahr eine Barockoper und Kammermusik. Die Academia spielt unaufgeregt und schön schwingend, ohne überzogene Tempi und übertriebenes Akzentuieren, mit transparentem Orchesterklang, in dem auch eine einzelne Laute noch heraushörbar bleibt. Ein kultivierte Begleitung, die sich perfekt Robin Johannsens mitreißender und dabei sehr natürlich wirkender Stimme anpasst.
„In dolce amore“ ist eine wunderbare Einstimmung für den Händel-Auftritt von Johannsen in der Hamburgischen Staatsoper. Dirigent dort ist – wen wundert’s – Alessandro de Marchi.
Antonio Caldara: In dolce amore. Robin Johannsen, Academia Montis Regalis, Alessandro de Marchi.
deutsche harmonia mundi Nr. 8884 3011 692
Hinweis: Debüt von Robin Johannsen an der Hamburgischen Staatsoper: 25. Mai, 18.00 Premiere von Händels „Almira“. Regie: Jetske Mijnssen eine Koproduktion mit den Innsbrucker Festwochen. Karten 7.-bis 176.- unter (040) 3568 68. Weitere Aufführungen: 28.+31.5. sowie 6./9./15.+19.6.
Hörbeispiele
Abbildungsnachweis:
Header: DHM. Foto: Uwe Arens
CD-Cover
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