Das Vienna Vocal Consort zählt seit Gründung im Jahr 2007 zu Österreichs renommiertesten Vokalensembles für Alte Musik. Deren neues Album „Nostre Dame“ – im Zentrum mit der „Messe de Nostre Dame“ (um 1360) des französischen Dichters und Komponisten Guillaume de Machauts (um 1300-1377) – wurde passend in der gotischen Kirche des niederösterreichischen Klosters Retz aus dem 13. Jahrhundert aufgenommen.
Neben der ersten Komplettvertonung des Messezyklus’ de Machauts findet sich ein großes Magnifikat des franko-flämischen Meisters Pierre de la Rue (um 1470-1518) sowie sogenannte Marienkompositionen von Guillaume Dufay (um 1400-1474), Josquin Desprez (um 1450-1521), Giovanni Pierluigi da Palestrina (um 1525-1594) und Jacobus Gallus (1550-1591) darauf.
„Was mag in den Menschen vorgegangen sein, als sie um 1365 herum Guillaume de Machauts „Messe de Nostre Dame“ zum ersten Mal gehört haben? War ihnen diese Art der Mehrstimmigkeit vertraut? Oder hat sie die Leute vor den Kopf gestoßen, so wie Menschen heute noch immer bei zeitgenössischer Musik die Nase rümpfen?“, fragt sich Tenor Martin Jan Stepanek. Diese Fragen sind mehrfach berechtigt, denn die Messe ist eine der ältesten polyphonen Vertonungen des Ordinariums, und es handelt sich um die älteste bekannte, die aus der Feder eines einzelnen, benannten Komponisten stammt. Hört man die gut dreißig minütige „Messe de Nostre Dame“ heute, könnte man verstehen warum damals die Nase gerümpft werden würde, denn sie klingt teilweise unglaublich modern, ja an manchen Stellen fast zeitgenössisch. Außerdem besteht sie aus sechs Teilen, nicht aus wie meist üblich aus fünf. Und schließlich bedient sich de Machauts unterschiedlicher wechselnder Kompositionsstile: mal wechseln gregorianisch-homophone, teils schlichte Passagen mit isorhythmischer komplexer Motetten-Technik ab. So bleibt die Messe mal ganz und gar mittelalterlich, mal forteilend in eine ganz neue, bis dahin ungehörte Welt.
Sicherlich spielte die Wirkungsstätte – die Kathedrale Notre Dame in Reims – an der de Machauts als Kanonikus arbeitete, für die Namensgebung und Widmung an „Unsere liebe Frau“, die Heilige Jungfrau Maria eine entscheidende Rolle.
Die Messe ist nicht in einer liturgischen Sammlung überliefert, sondern in illuminierten Handschriften des Minne-Kults (z.B. Le Livre dou Voir Dit, Le remède de fortune), was zur Folge hat, dass heute nichts über die Verwendung von Instrumenten bekannt ist.
Wie wunderbar diese Musik ist, lässt sich insbesondere dann erfahren, wenn man sich zum Anhören des Albums viel Ruhe gönnt. In der hektischen Alltagswelt können sich die 65 CD-Minuten kaum entfalten, sie bedürfen der Besinnung, ein wenig In-Sich-Gekehrt-Sein und auch ein Quantum an Konzentration. Wenn man sich dann auf sie einlässt, eröffnet sich das überaus reizvolle Wechselspiel zwischen den vier a-cappella Singstimmen, Frauen- und Männerstimmen, das die Kontraste der frühen Mehrstimmigkeit – und 150 Jahre künstlerisch ungetrübte Schaffensperiode – in allen erdenklichen Klangfarben erstrahlen lässt.
Vienna Vocal Consort: Nostre Dame
Guillaume de Machauts „Messe de Nostre Dame“ und Mariengesänge der Renaissance
Klanglogo/Rondeau
CD, Booklet mit 18 Seiten: English, Deutsch
EAN: 4037408014120
Hörprobe
Abbildungsnachweis:
Header: Buchmalerei in Machauts Verserzählung „Le remède de fortune“. Dargestellt ist die Ankunft Machauts vor dem Schloss seiner Dame (links) und eine Tanzszene im Freien (rechts). Handschrift Paris, Bibliothèque Nationale, Ms. fr. 1586
CD-Cover
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