Bachs Weihnachtsoratorium: Dunedin Consort – besser geht’s nicht
- Geschrieben von Hans-Juergen Fink -
Solistische Besetzung der Chorpartien und gleichzeitig ein warmer, inniger Chorklang? Das Dunedin Consort unter John Butt schafft dieses Kunststück bei seiner neuen, hinreißend perfekten Aufnahme: beim Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach.
Es war eine lebenslange Suche – die nach der perfekten Interpretation von Bachs „Weihnachtsoratorium“. Auf dem langen Weg gab es großartige und anrührende Interpretationen: John Eliot Gardiner mit dem Monteverdi Choir und den English Baroque Soloists 1987. Lange Zeit mein Favorit, weil unglaublich musikantisch und zugleich innig zelebriert: René Jacobs mit dem RIAS-Kammerchor und der Akademie für Alte Musik. Das war 1997. Sieben Jahre später wagte Sigiswald Kuijken seine auch in den Chorpartien solistisch besetzte Aufnahme, von seiner Petite Bande auf alten Instrumenten ultratransparent und filigran begleitet – ein fantastisches Hörerlebnis. Und es schien, dass die Suche angekommen war.
Bis jetzt. Denn die neue Einspielung durch das 1995 gegründete schottische Dunedin Consort, das bereits durch mehrere grandiose Aufnahmen großer Bachwerke aufgefallen ist, ist so etwas wie die Summe und der neue Gipfelpunkt aller Weihnachtsoratorien. Auch John Butt setzt nach langer aufführungshistorischer Forschung auf solistische Besetzung – das Solistenquartett übernimmt auch die Chorpartien, und wird nur in den festlichen Trompeten-Kantaten 1, 4 und 6 zu weiten Teilen mit vier Ripienisten verdoppelt. Im Orchester sind nur die beiden Violinstimmen doppelt besetzt – das heißt, Butt kommt mit sieben Streichern aus und mit den wechselnden Bläserbesetzungen, bei Vollbesetzung sind das 17 Musiker, er selbst dirigiert vom Cembalo aus.
Bodenständig, beschwingt und tief musikantisch
Das garantiert Brillanz und Transparenz. Soweit hatte das auch Kuijkens feine Aufnahme. Butt aber geht es darum nur in zweiter Linie. Ihm glückt mit seinen Musikern und Sängern eine höchst bodenständige, unprätentiöse, kammermusikalische, dabei beschwingte und mitreißende Interpretation, tief musikantisch. Ein bewegtes Innehalten angesichts des Weihnachtswunders. Keine extremen, übereilten Tempi – der Eingangschor funkelt in purer tänzerischer Freude. Die Sinfonia der Hirten auf dem Felde ist schlichte Vorfreude mit schon erhöhtem Puls, ein bewegtes Siciliano.
Die Choräle, Kernpunkte in Bachs Weihnachtsdeutung, und die Arien bekommen einen warmen, fast intimen Klang, weniger glaubensgewisse Verkündung als erstauntes Weiterdenken dessen, was da vom Evangelisten nicht erzählt, sondern engagiert augenzeugenberichtet wird.
Es ist wohl vor allem der Klang der klug ausgewählten Stimmen, die den Hörer für diese Aufnahme einnimmt: Es singen zwei Solistenquartette, sie teilen sich die Mammutaufgabe und übernehmen je drei Kantaten. Sie klingen mit ihrem sehr dezentem Vibrato unaufdringlich intensiv, besitzen herausragende Artikulation und lupenreine Intonation, sind dabei ungemein unangestrengt, fein phrasiert, präzise und beweglich (zum Beispiel beim „Ehre sei Gott in der Höhe“, das auch die Friedensverheißung der Engel greifbar macht) und dem „Ehre sei dir Gott gesungen“ in der fünften Kantate.
Packend und faszinierend: Der ganze Kosmos des Weihnachtsoratoriums
Und sie harmonieren so perfekt mit den jeweiligen Instrumentalsolisten, dass man gar nicht genug Lobes singen kann. Hinreißend und zupackend das Violin-Doppelkonzert mit Tenor (Thomas Hobbs) der Arie „Ich will nur dir zu Ehren leben“. Das Violinsolo in „Schließe mein Herze“ harmoniert mit dem warmen Bronzeton von Claire Wilkinsons Mezzo, Joanne Lunns Sopran in der Echo-Arie der vierten Kantate erinnert angenehm an die Klarheit eines Knabensoprans. Alle, die hier nicht genannt werden, mögen das verzeihen: Am Ende stünde eine Liste sämtlicher 64 Chöre, Choräle, Arien und Rezitative, von denen man – zugegeben –vielleicht einzelne hier und da anders und besser gehört hat, aber nie zuvor war der ganze Kosmos des Weihnachtsoratoriums so faszinierend, so packend und so unter die Haut gehend auf zwei CDs versammelt. Dass nebenbei alle, wirklich alle geheimen „Stellen“, für die man beim eigenen Mitmusizieren seine Dirigenten nicht mochte, weil sie die nie so dirigiert haben, wie man sie selbst empfunden hat – dass die nun alle so erklingen, wie es „richtig“ ist – dafür gibt’s noch einen ganz privaten Extrapunkt.
Und während man das noch beim Schreiben nachschmeckt, drängen sich immer neue Pluspunkte ans innere Ohr: der noble Klang des Eingangschors der vierten Kantate „Fallt mit Danken, fallt mit Loben“ mit den beiden großartigen Naturhörnern. Und natürlich die blitzsauber gespielten Trompeten in Eingangschor und Schlusschoral – halsbrecherisch virtuose Glanzpunkte einer Aufnahme, die man gar nicht genug loben kann. Andere frühere, müssen nun etwas weiter nach hinten rücken im CD-Regal, ohne dass das ihre historischen Verdienste schmälert.
Unbedingt anschauen, um die vibrierende Spielfreude um den energiegeladenen John Butt auch optisch zu erleben: das kurze Video zur Aufnahme auf der Website des Dunedin Consort.
J.S. Bach: Christmas Oratorio BWV 248
Dunedin Consort, Leitung: John Butt.
2 CDs Linn Records
CKD 499
Hörbeispiele
Abbildungsnachweis:
Header: Dunedin Consort. Foto: David Barbour.
CD-Cover
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