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Im Gespräch: Hans-Juergen Fink mit dem Theater- und Opernregisseur Hans Neuenfels, Foto © Monika Rittershaus

"In Bayreuth zu inszenieren bedeutet, sportiv zu sein."
Das Enfant terrible des Theaters, Hans Neuenfels, über sein Verhältnis zu Richard Wagner, die Aktualität von "Lohengrin" und Merkels Politik.

Was dringt im Umfeld der Proben zum neuen Bayreuther "Lohengrin" aus dem Festspielhaus auf dem Grünen Hügel? Nur wenig - über die legendären Wut- und Verzweiflungsanfälle des Regisseurs Hans Neuenfels, einer der Väter des deutschen Regietheaters, über seinen Genauigkeitswahn. Und wilde Bilder, die er auf die Bühne bringt. Die Gerüchte kochen hoch, schließlich war Neuenfels für einige der wirkungsvollsten deutschen Theaterskandale verantwortlich: den Thalia-"Hamlet" von 1978, vor dem Klaus Maria Brandauer floh und in dem die verwirrte Ophelia als uralte Dame in einem Laufställchen saß; die Frankfurter "Aida" 1980, die als Putzfrau auftrat (zum Triumphmarsch flogen Brathähnchen in die Luft); den Berliner "Idomeneo" 2003, der wegen der abgeschlagenen Köpfe von Religionsgründern (auch Mohammeds) 2006 zu Bombendrohung, Absage und einem Fundamentalstreit über die Freiheit der Kunst führte. In Hamburg inszenierte Neuenfels 2004 Beethovens "Fidelio" an der Staatsoper. Zum Interview in der Open-air-Kantine des Festspielhauses kommt zu Beginn der letzten Probenwoche ein freundlicher, konzentrierter, älterer Herr, deutliche Ringe unter sehr wachen Augen, mit einer unverwechselbaren tiefen Reibeisenstimme, die kräftiges Rauchen in Form hält.

Hans-Juergen Fink (HJF): Herr Neuenfels, in Ihrem Buch "Wie viel Musik braucht der Mensch?" erzählen Sie, dass Sie 2007 beim ersten Besuch in Bayreuth den sonst eher toten Richard Wagner getroffen haben.

Hans Neuenfels (HN): Er hat mich ganz schön überrascht. Er ließ mich in einen Konferenzraum holen und hat die Aufgaben, die seine Musik an den Regisseur stellt, verdoppelt, verdreifacht, verhundertfacht. Hier in Bayreuth zu inszenieren bedeutet, sportiv zu sein, dabei aber auch unglaublich listig und genau ...

HJF: Warum listig?

HN: Damit nicht innerhalb der überwältigenden Organisation, die das Festival aufgebaut hat, der Inhalt und die Absicht der Werke verloren gehen.

HJF: Es ist ein besonderes Haus hier?

HN: Es ist außergewöhnlich. Das hat mit der Ausschließlichkeit zu tun, mit der man sich hier um einen einzigen Komponisten kümmert. In einer Zeit, in der Fachwissen als Schimpfwort behandelt wird oder als Manko oder lästig, ist es grandios, mit welchem Enthusiasmus, welcher Genauigkeit und auch Impertinenz das Ganze geführt wird. Diese permanente Auseinandersetzung bringt Herz und Hirn in Wallung - das ist schon sehr gut.

HJF: Wie gehen Sie mit der Tradition des Hauses um, die durch die lang nachwirkende Nähe von Teilen der Wagner-Familie zum Nationalsozialismus belastet ist?

HN: Wir haben - ich und mein Bühnenbildner Reinhard von der Thannen, ohne den das hier gar nicht möglich wäre, denn es ist eine von ihm stark optisch geprägte Arbeit - schon vor 17 Jahren in Stuttgart bei den "Meistersingern" Wagner für uns entnazifiziert. Will sagen: Es gibt keine einzige Note von Wagner, die mit Antisemitismus oder mit reaktionärem Sinn zu tun hätte ...

HJF: ... gerade im "Lohengrin"-Libretto gibt es aber eine ganze Menge Heil und Sieg, Führer, Horden des Ostens, deutsches Land und dergleichen ...

HN: Ja, ganz wilde Dinge. Man sieht Wagner ja noch immer als Romantiker, der nicht durch den Rausch zur Aufklärung kommt. Wenn man ihn nur wortwörtlich nimmt, was ja auch Hitler getan hat, kann man ihn so sehen. Wenn man aber seine Musik analysiert, merkt man, wie raffiniert er solcher Denke Fallen stellt. Für mich ist die Musik entscheidend.

HJF: Sie suchen verborgene Handlungen, die sich unterhalb der sichtbaren abspielen.

HN: Die wichtigste ist, dass hier ein Mensch, Lohengrin, eine radikale These stellt, von der er weiß, dass sie unmöglich bestehen kann. Er versucht sie dennoch mit Mühe und Leidenschaft zu leben - es ist unglaublich modern, dieses: Ich weiß, es ist eigentlich unmöglich, aber ich versuche es trotzdem. Und er muss aushalten, dass er scheitert, weil Elsa die verbotene Frage natürlich stellt.


HJF: Mit bösen Konsequenzen ...

HN: Das Frageverbot selbst setzt ja das Bestreben in Gang, die Frage zu stellen - das ist sein Sinn. Und ein Kern des abendländischen Denkens: Dass man fragt, wenn man sich wundert. Denken kann man nicht verbieten, auch wenn es in eine Katastrophe führen kann.

HJF: Theater ist für Sie nur da lebendig, wo es wehtut. Wo wird "Lohengrin" wehtun?

HN: Im Verlust der Hoffnung. Wagner sagt, dies sei seine allertraurigste Oper.

HJF: Und trotzdem bringt diese Geschichte die Menschen weiter ...

HN: Natürlich. Wagner sagt: Wenn schon sonst nichts mehr ist, dann such etwas Unmögliches, um das Wunder, die Utopie zu retten. Nur das gibt Elsa und dem Volk für eine beschränkte Zeit Raum, ein Abenteuer zu erleben, das sie sonst nie erlebt hätten.

HJF: Sie stellen das in Ihrer Inszenierung, hört man, in eine Laborsituation, eine Versuchsanordnung.

HN: Ja. Es ist der letzte Weg, die Welt zu retten - aus Indifferenz, aus Entleerung. Wir haben keine Utopien mehr. Wir haben nur Informationen, Nachrichten, wir haben keine Inhalte mehr. Es gibt zurzeit sehr wenig Fortschritt. Das kann ganz schön depressiv machen.

HJF: Was soll dann Angela Merkel am Sonntag mitnehmen aus der Premiere?

HN: Das ist eine entscheidende Frage. Ich denke, sie müsste unbedingt überlegen, was Politik sein könnte , als Entwurf. Und nicht nur sehen, was die Tagespolitik ist . Wir haben überlegt, dass wir Frau Merkel noch 20, 30 weitere Verbote und Gebote überreichen müssten, die Lebensweise in Deutschland betreffend - um auch da unausweichliche Antworten zu provozieren.

HJF: Zum Beispiel ...?

HN: Nicht mehr reisen, Ausländer fördern, Rauchverbot aufheben, Trinker bestrafen, fette Speisen kontrollieren, Theaterbesuch verordnen ... so widersinnige Thesen. Wir müssten ein Manifest der Widersinnigkeiten gegen die Kleinlichkeiten der Regierungsform setzen, eine Art Happening. Aber sie muss keine Angst haben: Wir tun es nicht.

HJF: Wenn Handlung und Wirklichkeit so depressiv sind, was bleibt dann?

HN: Die Musik.

HJF: Können Sie richtig dafür schwärmen? Träumen Sie manchmal am Regiepult?

HN: Jaaaa. Die Musik ist absolut raffiniert, bis zum Kitsch großartig. Wagner ist ja eigentlich Filmkomponist. Es gibt bei ihm Trailer und richtige Hits, Stimmungsmache und Betörung - er ist ein großer Verführer. Aber wenn man den Rausch erlebt und durchschritten hat, dann kommt in großer Genauigkeit der Aufklärer. Er ist kein Romantiker, er ist in der Musik ein deutscher, ein radikaler und rücksichtsloser Aufklärer. Das muss man auch den Musikern vermitteln, damit nicht im Graben plötzlich wieder geheimnisvolle Dinge passieren.

HJF: Hören wir bei Ihnen Wagner auch anders, sachlicher?

HN: Nee, interruptiver, collagierter, abrupter - nicht diesen Gesamtbrei. Das ist auch das Verdienst des jungen Dirigenten Andris Nelsons.

HJF: Sie treffen sich mit Wagner in der Hoffnung, dass Theater das Leben der Menschen verändern, verbessern kann.

HN: Nicht nur das Theater, auch Bücher, Bilder. Ich glaube, dass Kunst die einzige Chance ist, ein Leben zu beeindrucken, durch Überraschung, Verwandlung, Ergriffenheit. Sie kann Dinge formulieren, die man sonst nur träumen würde.

HJF: Meinen Sie, Richard Wagner schaut am Sonntag bei Ihrer "Lohengrin"-Premiere noch mal vorbei?

HN: Ich glaube, er wird ganz kurz da sein, am Schluss, und überprüfen, ob es Sinn gemacht hat, dass er mich damals getroffen hat. Es wird sehr kühl sein, sehr knapp, es wird nicht lange dauern.

HJF: Wird er sich freuen über das, was er sieht?

HN: Ich bin sicher, dass er sich auf keinen Fall ärgern wird.


Kultur-Port.De dankt dem Hamburger Abendblatt und Hans-Juergen Fink für die Veröffentlichungsfreigabe. Das Interview ist zu finden unter: www.abendblatt.de und wurde am 22. Juli 2010 dort veröffentlicht.

Foto von Hans Neuenfels © Monika Rittershaus, Amalienpark 5, 13187 Berlin, Deutschland
 

 

Hans Neuenfels "Wie viel Musik braucht der Mensch?"

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