Theater - Tanz

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HJF: Mit bösen Konsequenzen ...

HN: Das Frageverbot selbst setzt ja das Bestreben in Gang, die Frage zu stellen - das ist sein Sinn. Und ein Kern des abendländischen Denkens: Dass man fragt, wenn man sich wundert. Denken kann man nicht verbieten, auch wenn es in eine Katastrophe führen kann.

HJF: Theater ist für Sie nur da lebendig, wo es wehtut. Wo wird "Lohengrin" wehtun?

HN: Im Verlust der Hoffnung. Wagner sagt, dies sei seine allertraurigste Oper.

HJF: Und trotzdem bringt diese Geschichte die Menschen weiter ...

HN: Natürlich. Wagner sagt: Wenn schon sonst nichts mehr ist, dann such etwas Unmögliches, um das Wunder, die Utopie zu retten. Nur das gibt Elsa und dem Volk für eine beschränkte Zeit Raum, ein Abenteuer zu erleben, das sie sonst nie erlebt hätten.

HJF: Sie stellen das in Ihrer Inszenierung, hört man, in eine Laborsituation, eine Versuchsanordnung.

HN: Ja. Es ist der letzte Weg, die Welt zu retten - aus Indifferenz, aus Entleerung. Wir haben keine Utopien mehr. Wir haben nur Informationen, Nachrichten, wir haben keine Inhalte mehr. Es gibt zurzeit sehr wenig Fortschritt. Das kann ganz schön depressiv machen.

HJF: Was soll dann Angela Merkel am Sonntag mitnehmen aus der Premiere?

HN: Das ist eine entscheidende Frage. Ich denke, sie müsste unbedingt überlegen, was Politik sein könnte , als Entwurf. Und nicht nur sehen, was die Tagespolitik ist . Wir haben überlegt, dass wir Frau Merkel noch 20, 30 weitere Verbote und Gebote überreichen müssten, die Lebensweise in Deutschland betreffend - um auch da unausweichliche Antworten zu provozieren.

HJF: Zum Beispiel ...?

HN: Nicht mehr reisen, Ausländer fördern, Rauchverbot aufheben, Trinker bestrafen, fette Speisen kontrollieren, Theaterbesuch verordnen ... so widersinnige Thesen. Wir müssten ein Manifest der Widersinnigkeiten gegen die Kleinlichkeiten der Regierungsform setzen, eine Art Happening. Aber sie muss keine Angst haben: Wir tun es nicht.

HJF: Wenn Handlung und Wirklichkeit so depressiv sind, was bleibt dann?

HN: Die Musik.

HJF: Können Sie richtig dafür schwärmen? Träumen Sie manchmal am Regiepult?

HN: Jaaaa. Die Musik ist absolut raffiniert, bis zum Kitsch großartig. Wagner ist ja eigentlich Filmkomponist. Es gibt bei ihm Trailer und richtige Hits, Stimmungsmache und Betörung - er ist ein großer Verführer. Aber wenn man den Rausch erlebt und durchschritten hat, dann kommt in großer Genauigkeit der Aufklärer. Er ist kein Romantiker, er ist in der Musik ein deutscher, ein radikaler und rücksichtsloser Aufklärer. Das muss man auch den Musikern vermitteln, damit nicht im Graben plötzlich wieder geheimnisvolle Dinge passieren.

HJF: Hören wir bei Ihnen Wagner auch anders, sachlicher?

HN: Nee, interruptiver, collagierter, abrupter - nicht diesen Gesamtbrei. Das ist auch das Verdienst des jungen Dirigenten Andris Nelsons.

HJF: Sie treffen sich mit Wagner in der Hoffnung, dass Theater das Leben der Menschen verändern, verbessern kann.

HN: Nicht nur das Theater, auch Bücher, Bilder. Ich glaube, dass Kunst die einzige Chance ist, ein Leben zu beeindrucken, durch Überraschung, Verwandlung, Ergriffenheit. Sie kann Dinge formulieren, die man sonst nur träumen würde.

HJF: Meinen Sie, Richard Wagner schaut am Sonntag bei Ihrer "Lohengrin"-Premiere noch mal vorbei?

HN: Ich glaube, er wird ganz kurz da sein, am Schluss, und überprüfen, ob es Sinn gemacht hat, dass er mich damals getroffen hat. Es wird sehr kühl sein, sehr knapp, es wird nicht lange dauern.

HJF: Wird er sich freuen über das, was er sieht?

HN: Ich bin sicher, dass er sich auf keinen Fall ärgern wird.


Kultur-Port.De dankt dem Hamburger Abendblatt und Hans-Juergen Fink für die Veröffentlichungsfreigabe. Das Interview ist zu finden unter: www.abendblatt.de und wurde am 22. Juli 2010 dort veröffentlicht.

Foto von Hans Neuenfels © Monika Rittershaus, Amalienpark 5, 13187 Berlin, Deutschland
 

 

Hans Neuenfels "Wie viel Musik braucht der Mensch?"

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