Theater - Tanz

Skepsis schien angebracht: Kann das funktionieren, an einem (Theater-)Abend aus dem Leben mehrerer bedeutender Lübecker Frauen zu erzählen?

 

Fest steht, ob die Beginen, Catharina Ustings, Dorothea Schlözer, Ida Boy-Ed, Maria Slavona oder Isa Vermehren: All diese Frauen aus der Lübecker Vergangenheit haben Großes geleistet. Lässt sich tatsächlich innerhalb von knapp zwei Stunden ein sinnvolles, stimmiges Gesamtbild dieser Frauen darstellen? Vorweggesagt: Ja, es funktioniert! Dies stellte die Lübecker Theatergruppe „MissGefallen“ kürzlich im Studio des Lübecker Theaters unter Beweis. Weitere Vorstellungen, diesmal am Hoftheater Lübeck, folgen in Kürze.

 

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In monatelanger Recherche haben die acht Laienschauspielerinnen zuvor in Büchern, Ausstellungskatalogen und nicht zuletzt im Lübecker Stadtarchiv die Geschichten dieser Lübecker Frauen ermittelt. In Improvisationen und Gesprächen hauchten sie den historischen Fakten Leben ein. Den letzten Schliff gab Theaterautorin und Regisseurin Ulrike Hoffmeier: Sie machte das Ganze rund, schrieb das Theaterstück. Im Mittelpunkt des szenischen Abends steht die Entschlossenheit Lübecker Frauen aus verschiedenen Jahrhunderten, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, die eigenen Stärken zu entdecken und durchzusetzen. Den acht Mitwirkenden der Gruppe „MissGefallen“ gelang es, diese schwierigen Lebensläufe überzeugend darzustellen und dem Publikum zu vermitteln. Bühnentechnisch zeigte sich, es braucht nicht immer viel. Manchmal genügen am Anfang ein Tisch, Stuhl, Pappkarton, Fotoalbum und eine Taschenlampe. Mit solch einfachen, im Laufe des Abends ständig wechselnden Requisiten begann die Reise in die Vergangenheit. Begleitet wurde das szenische Geschehen mit eigens für die „Lübecker Ladys“ eingespielten Klavierimprovisationen des Lübecker Pianisten Daniel Fritzen.

 

„Nur, weil wir etwas nicht mehr vor Augen sehen, heißt es noch lange nicht, dass es nicht mehr da ist“, sagt die Dame vom Stadtarchiv (Martina Gebhard) gleich zu Beginn des Stücks zu Lotte (Constanze Drauschke). Lotte ist ins Lübecker Archiv gekommen, um für ein Theaterstück über bekannte Lübecker Frauen zu recherchieren. Die besagte Taschenlampe gehört der Archivarin. Diese Requisite ist deshalb wichtig, weil sich alle Unterlagen zur Geschichte Lübecks und deren Bewohner im Keller befinden. Und dort ist es dunkel. Lotte leiht sich die Taschenlampe aus und bringt Licht ins Dunkel: Sie entdeckt Fakten, die träumerische Gedanken auslösen und szenisch in die Vergangenheit führen.

 

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Den Beginn machen die Beginen, deren Meisterin (Jaqueline Ohnhold) Sätze sagt wie „In der Gemeinschaft sind wir Frauen stark“. Wir befinden uns Anfang des Jahres 1270 und erfahren in wenigen Momenten Wesentliches über diesen Frauenorden, dessen Lübecker Geschichte im 13. Jahrhundert begann. Die Beginen wohnten in einem großen Haus in der unteren Johannisstraße in der freien Reichsstadt Lübeck. Als man sie fragte, was ihre Absicht sei, antworteten sie: „Wir wollen ein unabhängiges Leben leben durch das, was wir uns selbst mit unseren eigenen Händen erarbeiten.“ So heißt es in dem Stück und weiter: „Sie nennen sich selbst Beginen.“ Was sie zum Leben brauchten, erwirtschafteten diese Ordensfrauen eigenständig. Sie unterrichteten, kümmerten sich um Alte und Kranke, erfuhren die Zuschauer. Genügend Anregung also, das Thema zu einem späteren Zeitpunkt zu vertiefen.

 

Anregung genug boten auch die folgenden Beiträge. Wir lernen Catharina Ustings (Kerstin Rönick) kennen, die 1662 mit 21 Jahren den afrikanischen Kontinent betrat und fünfmal verheiratet war, („Genug für fünf Leben habe ich gelebt“). Die es schaffte, als erste Frau in Südafrika ein Stück Land vom Gouverneur (Martina Gebhard) zu erhalten inklusive der Erlaubnis, auf einer 25 Hektar großen Farm Swaaneweide (Anm. d. Red.: die es heute noch unter anderem Namen gibt) künftig u.a. Wein anzubauen. „Wie soll ich regungslos dasitzen wie eine Porzellanpuppe in einer Vitrine, wenn es in mir lebt, und denkt, und fühlt“, sagt Dorothea Schlözer (Frauke Spiecker) an diesem Theaterabend. Mit vier Jahren lernte sie schreiben, erfahren wir, ein Jahr später beschäftigte sie sich mit Geometrie, Französisch und Latein. Jetzt, als 17jährige beherrscht Dorothea zehn Sprachen und anderes mehr. In einer der Szenen erleben wir, wie Dorothea im Rahmen des 50jährigen Jubiläums der Universität Göttingen 1787 als erste Frau in Deutschland zur Doktorin der Philosophie ernannt wird. Sie heiratet den damaligen Lübecker Bürgermeister Mattheus Rodde und darf mit Erlaubnis des Ehemannes einen Salon führen, sich mit Intellektuellen austauschen. Denn: „Was nützt mir all das Wissen, wenn ich damit nichts anfangen kann“, erklärt sie dem Ehemann. Dorothea lernt Charles de Villers kennen und eine Dreiecksbeziehung beginnt. Wer mehr wissen will, muss sich selbst darum kümmern…

 

In der nächsten Szene sehen wir Ida Boy-Ed (Miriam Auge) mit dem Koffer in der Hand. Sie lässt ihre Familie in Lübeck zurück und nimmt nur den ältesten Sohn mit nach Berlin, um dort vom Schreiben zu leben. Wir hören sie sagen: „Wenn du das Schreiben im Blut hast, dann musst du schreiben. Da gibt es nichts anderes. Dann weißt du nur, dass du lebst, wenn du schreibst.“ Ein schwieriger Weg beginnt für Ida Boy-Ed, der letztendlich erfolgreich war: Zu Lebzeiten erschienen über 70 Veröffentlichungen. Steinig war auch der Weg zum Ruhm der Lübecker Apothekertochter Maria Slavona (Lilian Daum), die mit 17 Jahren in Berlin Privatmalunterricht nahm, später nach München und Paris ging und dort Karriere als Malerin machte, ihre Bilder zunächst allerdings unter einem männlichen Pseudonym ausstellte und verkaufte. Maria zieht an diesem Lübecker Theaterabend ein trauriges Fazit: „Alles was bleibt, sind Verletzungen, Gefühle, Eindrücke“.

 

Die Kabarettistin, Schauspielerin und spätere Ordensschwester Isa Vermehren (Kari Klein) war die letzte Lübeckerin, deren Lebensweg an diesem Abend in wenigen, aber eindrucksvollen Schritten andeutungsweise nachgegangen wurde. Ihr schwerer Weg begann damit, dass sie sich 1933 weigerte, die Hakenkreuzflagge zu grüßen. Sie musste deshalb die Schule verlassen und übersiedelte mit der Mutter nach Berlin. Besonders beeindruckend für die Lübecker Theaterbesucher: Isas kabarettistischer Auftritt mit Ziehharmonika. Sie sang und spielte frech und frei „Eine Seefahrt, die ist lustig“. Dies mit einem Text, der die Nationalsozialisten karikierte. Nach dieser Szene entfiel sogar der Zwischenapplaus, der ansonsten alle Szenen des Abends begleitete. „Eine Seefahrt, die ist lustig/eine Seefahrt, die ist nett/und wer heut dies Lied gesungen/der sitzt morgen im KZ“, heißt es in einer Strophe. Im KZ ist Isa Vermehren tatsächlich gewesen. Sie hat überlebt. Am Ende des Abends hören wir sie „Das Wort zum Sonntag“ sprechen. Das hat sie tatsächlich getan und zwar viele Jahre lang. Mit Nonnen begann der Abend, mit einer Nonne hörte er auf.

 

Zu erleben war ein eindrucksvoller Theaterabend, eine großartige Leistung der Theatergruppe MissGefallen: Die Schauspielerinnen überzeugten in jeder Rolle, schlüpften in die unterschiedlichsten Kostüme, gestalteten das wechselnde Bühnengeschehen mit wenigen Requisiten ständig neu. Die zwei Vorstellungen im Lübecker Theater waren binnen kurzer Zeit ausverkauft. Zum Glück gibt es zwei weitere Vorstellungen im Hoftheater Lübeck, Schwartauer Allee 39-41.


Lübecker Ladys

Zu sehen im Hoftheater Lübeck, Schwartauer Allee 39-41, in 23554 Lübeck

Die nächsten Termine: 03.02. 20:00 und 22:00 Uhr und 04.02. 16:00 und 18:00 Uhr. Text und Regie: Ulrike Hoffmeier

Musik: Daniel Fritzen

Mit: Martina Gebhard, Constanze Drauschke, Jacqueline Ohnhold, Kerstin Rönick, Frauke Spiecker, Miriam Auge, Liliane Daum, Kari Klein

Weitere Informationen und Tickets (MissGefallen)

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