Theater - Tanz

„Frei nach Fontane, frei von Fontane, mit fast keinem Satz von Fontane.“ Mit diesen Worten bewirbt das Theater Lübeck die aktuelle Inszenierung von „Effi, Ach, Effi Briest“, die soeben Premiere feierte.

 

Es handelt sich bei diesem Theaterstück also nicht um die Urform von Fontanes Romanklassiker „Effi Briest“ aus dem Jahr 1895, sondern um eine 2022 in Wien uraufgeführte Überschreibung des Österreichers Moritz Franz Beichl. Die Lübecker Premierengäste erlebten am 2. Dezember 2023 mit dieser farbenprächtigen, zeitgenössischen Komödie in der Inszenierung von Maike Bouschen einen höchst vergnüglichen Theaterabend in den Lübecker Kammerspielen. Mit kräftigem Schlussapplaus bedankten sich die Zuschauer für dieses pralle Theatererlebnis.

 

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Im Zentrum der Bühne steht ein pinkfarbenes Kinderkarussell. Umrahmt wird das mit pinkfarbenen Einhörnern bestückte Karussell von einem knallblauen Himmel, auf dem sich weiße Schäfchenwolken tummeln. Eine perfekte Kulisse für diesen menschlichen Reigen im poppig-grellen Bühnenlicht (Daniel Thulke). Im weißen, mit Fabelwesen, Sternen und Blüten bestickten Kleid thront Effi wie eine liebliche Märchenfigur oder auch ein verwöhnter Teenager auf dem Karussell-Einhorn. Alle sechs Darsteller bespielen dieses Karussell des Lebens mit großer Spielfreude. Mal reiten sie auf Einhörnern. Mal stehen sie gesprächsweise auf der Terrasse, mal sehen wir sie beim Picknick am Strand, mal sitzen sie im Auto auf dem Weg zur Swinger Party (Effis Eltern). Die Szenerie ändert sich, die Kulisse nicht. Höchstens insofern, als dass sich das Karussell mal dreht, mal stillsteht.

 

Vor dieser himmlischen Karussell-Kulisse schreiten Innstetten und Crampas später auch zum Duell. Kurz zuvor bieten die angehenden Duellanten einander nach all den Jahren der Bekanntschaft zu guter Letzt noch kurz entschlossen das „Du“ an. Bevor nun das Duell zwischen dem Geert und dem Hubert beginnt, entledigen sich die beiden Herren nach reiflicher, gemeinsamer Überlegung noch ihrer frisch gereinigten Hemden: Es könnte ja Blutflecken geben, und die lassen sich schlecht entfernen. So amüsant geht es zu in diesen knapp zwei Stunden. Humorvoll und tragisch, leicht und schwer, heiter und besinnlich. Es ist alles drin in dieser Komödie, was man von einem guten, anregenden Theaterabend erwarten darf.

 

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Johannes Merz (Crampas), Luisa Böse (Effi), Will Workman (Innstetten). Foto: Sinje Hasheider

 

Auch in der Überschreibung von Fontanes Effi Briest befinden wir uns, was die Handlung betrifft, im Jahr 1894, also am Anfang der Wilhelminischen Epoche. Auch bei Beichl heiratet Effi (brillant gespielt von Luisa Böse) den 21 Jahre älteren Baron von Innstetten (unverkennbar und gut: Will Workman). Der Vater agiert nahezu stumm als hilfloser Herr im gelbschillernden Anzug (Henning Sembritzki überzeugt dafür gestisch und mimisch). Die Mutter (köstlich überzogen: Susanne Höhne) soll einst die Geliebte von Crampas (lässig dargestellt von Johannes März) gewesen sein und macht ihm auch jetzt wieder Avancen. Sie überlegt sogar, ob sie sich damals falsch entschieden hat. Von Crampas, der Verführer schlechthin, der den ganzen Abend im grünglänzenden Morgenmantel mit aufgedruckten halbgeschälten Bananen und stolz geschwellter Brust herumläuft, ist nicht abgeneigt, hat aber durchaus auch Interesse an Innstetten. Es ist also auch eine queere Komödie, die mit den Geschlechterrollen spielt.

 

Eine Figur, die gleich am Anfang erscheint und uns bis zum Ende begleitet, ist die Kinderfrau Roswitha (Sonja Cariso überzeugt auch als singendes Zirkusmädchen in schwarzer Punk-Kleidung). Roswitha nimmt kein Blatt vor den Mund, singt ihre (tatsächlich) eigenen Songs und sagt geradeheraus, was sie so denkt. Als Effi und Roswitha sich kennenlernen, wünscht sich Effi „jemanden, der mir sagt, wie ich richtig leben soll“. Jemanden, der ihr sagt, was sie anziehen soll, was sie tun soll usw. Später wiederholt sich dieser Monolog. Dann aber ist es Crampas, der so denkt und spricht. Frauen und Männer haben offenbar die gleichen, zumindest ähnliche Wünsche.

 

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Sonja Cariaso (Roswitha), Luisa Böse (Effi). Foto: Sinje Hasheider

 

Zurück zum Anfang: Effi ist 17 Jahre jung, als sie heiratet. Sie langweilt sich in der Ehe, in der pommerschen Provinz, langweilt sich in ihrem Dasein als Frau im Deutschen Kaiserreich. Eine kurze Affäre mit Major Crampas, die womöglich nur aus einem einzigen Kuss, heißen Blicken und wenigen Worten besteht, verschafft Effi für kurze Zeit Ablenkung von der täglichen Langeweile. Doch als Effis Gatte sechs Jahre später die alten Liebesbriefe zwischen Effi und Crampas entdeckt, wird sie von Ehemann und Eltern verstoßen und verbannt, von der Gesellschaft geächtet. Beichls Effi-Geschichte ist grundsätzlich die gleiche wie bei Fontane. Mit einem Unterschied: Effi hat ihren Mann freiwillig geheiratet und nicht nur dem Wunsch der Eltern entsprochen.

 

Doch damals wie heute gab und gibt es halt gesellschaftliche Normen. Wer den Rahmen sprengt, sich nicht fügt, der wird ausgestoßen und hat verloren. So war es und so ist es. Anders ist aber der Ansatz: Im Gespräch vor der Premiere bekannte Moritz Franz Beichl, er habe zwar eine große Liebe zu den alten Literaten, zu den Klassikern. Er wolle aber mit und in diesem Stück all denen eine Stimme geben, die damals keine hatten. Er versteht sein Stück als „eine Liebeserklärung an alle Frauen der Welt und an die liebenswürdige Idiotie der Männer“. Die Frauen sind tatsächlich stärker in Beichls Version als die Männer. Die sind eher lächerlich. Auf jeden Fall ist dieser Klassiker auch als Komödie sehenswert. Dazu trägt auch die poppige Musik bei (Tim Thielemans). Und nicht zu vergessen das zauberhafte Bühnenbild und die märchenhaften Kostüme (Valentina Pino Reyes).


„Effi, Ach, Effi Briest“ – Frei nach Fontane von Moritz Franz Beichl

Zu sehen im Theater Lübeck, Beckergrube 16, in 23552 Lübeck

Inszenierung: Maike Bouschen

Bühne & Kostüme: Valentina Pino Reyes

Musik: Tim Thielemans Licht Daniel Thulke Dramaturgie Mia Massmann

Mit: Luisa Böse, Sonja Cariaso, Susanne Höhne, Johannes Merz, Henning Sembritzki, Will Workman

Weitere Termine 10/12 (Theatertag), 18.30 Uhr, 17/12, 16.00 Uhr, 13/01/24, 27/01/24, 22/02/24, jeweils 20.00 Uhr, Kammerspiele Lübeck

Weitere Informationen (Theater Lübeck)

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