Wer sich von diesem Abend eine schmissige Operette mit großem Orchester, üppigen Choreografien, überragenden Stimmen und tollen Kostümen erhofft, kommt am Thalia Theater in Hamburg definitiv nicht auf seine Kosten.
Was Regisseurin Anna-Sophie Mahler aus der Operette „Die Rache der Fledermaus“ herausgelesen hat, wie das 1874 am Zenit der Operettenära uraufgeführte Werk ursprünglich heißen sollte, ist der Absturz in die letzten Tage der Menschheit. Und zwar im Dreivierteltakt, den Johann Strauß, Walzer-Komponist etlicher Ohrwürmer, darin ausgiebig zelebriert.
Mithilfe eines Textes des Autors Thomas Köck über das Aussterben von Tierarten und der drohenden Vernichtung allen Lebens im Zeichen der Klimakatastrophe unter dem Titel „und alle tiere rufen: dieser titel rettet die welt auch nicht mehr“ aus dem vergangenen Jahr, unterfüttert Mahler Ihre Deutung der Operette als Trauerspiel und Farce, mehr noch: sie bringt die falschen Töne als deren Grundmotiv zum Vorschein. Denn auch die „Fledermaus“, eine der erfolgreichsten Operetten von Strauß, spielt mit nichts anderem als mit menschlichen Makeln, den subversiven Energien des Egos, mit denen ihre Figuren vorgeben ein anderer zu sein, sich sämtlichen Konventionen widersetzen und einander lustvoll hintergehen, betrügen, vernichten. Warum? Um so weiterzumachen wie bisher. Am Ende finden alle wieder zueinander, so will es das Libretto von Karl Haffner und Richard Genée, nicht aber die Regie von Anna-Sophie Mahler, die am Thalia Theater bereits Dörte Hansens Roman „Die Mittagsstunde“ einfühlsam inszenierte.
Die Rache der Fledermaus. Foto: Krafft Angerer
Die Fledermaus, das ist Dr. Falke, der nach einem Karneval der Tiere im Fledermauskostüm betrunken auf der Straße lag und seitdem dem unerbittlichen Spott der Leute ausgesetzt ist. Jetzt sinnt er auf Rache an dem vermeintlichen Freund, der ihn in die missliche Lage brachte, dem halbseidenen Gabriel von Eisenstein, auf den ein Haftbefehl wartet. Eisensteins Frau Rosalinde ist ebenso wie Ihr Mann an außerehelichen Vergnügungen interessiert. Falke lädt beide, unwissend voneinander, zum Maskenball beim Prinzen Orlowsky ein, der dadurch, wie von Falke geplant, völlig aus den Fugen gerät und Eisenstein dumm dastehen lässt.
Anna-Sophie Mahler setzt diesem turbulenten Verwechslungslustspiel noch eins drauf und betrachtet es mit Köcks Hilfe konsequent aus der wenig bis gar nicht lustigen Perspektive der von Menschenhand achtlos ausgerotteten Tierarten, der Großen Neuseelandfledermaus zum Beispiel. Die fliegt als Projektion immer mal über das Bühnenbild von Katrin Connan, ein riesiges Wandgemälde im Halbdunkel des Bühnenhintergrunds mit schemenhaft erkennbaren Tieren im Wald.
Die Operette wird nur noch zitiert, angespielt, verworfen. Der Gefängnisdirektor wurde mitsamt dem dritten Akt gestrichen. Zugleich entsteht eine neue Kunstform zwischen theatralischem Kommentar und subtiler Umdeutung, erweitert und verwischt mit elektronischer Musik, musikalisch ausgefeilt und hoch beeindruckend. Alle Schauspieler tragen wunderschöne und fantastische Tierkostüme und -masken. (Kostüme: Pascale Martin) Der Gerichtsdiener Frosch, angelegt als komische Rolle im Libretto, mutiert zum maskierten Frosch, der des Mahnens müde den Abend eröffnet als Köcks Meister des Verschwindens in Futur 2: „Hören Sie den Takt der Erinnerungen. An Träume, die nie werden geträumt worden sein. All die Morgengrauen, die nicht von uns werden erblickt worden sein.“ Keine Operette, verspricht er mit verzerrter Kinderstimme, keine Unterhaltung, kein Konsum, nein, hier soll eine Wunde zelebriert werden, und bewegt Arme, Beine und seinen grünen Kopf, unter dem sich Cathérine Seifert versteckt, wie ein echter Frosch.
Die Rache der Fledermaus. Foto: Krafft Angerer
Und wenn die ersten Töne der Ouvertüre erklingen, und das dumpfe Dröhnen während des Prologes übertönen, glaubt man dem Frosch aufs Wort. Die fünf Musiker vor der Bühne unter der Leitung und dem grandiosen Arrangement von Arno Waschk spielen den Walzer so halbherzig wie es das Dirigat des Frosches verlangt, brechen ab, setzten neu an und werden auch nicht überzeugender. Auftrumpfen ist nicht mehr.
Die berühmten Arien und Couplets aus dem Mund der Rosalinde und ihren Jugendfreundes Alfred sind Persiflage und Abgesang zugleich, professionell und köstlich in Szene gesetzt vom Sopran Gabriela Maria Schmeides und vom Tenor des Julian Greis als Turteltauben, die selbst nach dem Ablegen der Masken noch aufgeregt flattern und die Köpfe zuckend, wie Vögel bewegen. „Trinke Liebchen, trinke schnell“ wird so zum Quickie im Hintergrund, während an der Rampe die Intrige ihren Lauf nimmt in den vergänglichen Zitaten der Gegenwart, zwischen Fledermaus Falke, von Björn Meyer als ächzender Darth Vader-Wiedergänger interpretiert, und dem Tiger Eisenstein, den Felix Knopp zunächst als glitzernden Party-Boy vorführt.
Die Rache der Fledermaus. Foto: Krafft Angerer
Der zynische Unterton im Terzett des Ehepaars mit dem Dienstmädchen Adele, von Victoria Trauttmannsdorf stimmgewaltig interpretiert, „So muss allein ich bleiben“ („Oh je, oh je, wie rührt mich das“) parodiert schon im Original die falschen Gefühle. Hier wird er durch das achselzuckende und gelangweilte Herumstehen der Schauspieler*innen bloß angedeutet und damit noch einmal unterlaufen.
Ganz deutlich erscheint das, als der Frosch wieder auftaucht und als Showmaster das Publikum animiert den Gassenhauer „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist“ mitzusingen. Glücklich ist, wer sich da nicht als Mensch ohne Verantwortung im blödsinnigen Weitermachen vorgeführt fühlt.
Im zweiten Akt dominiert ein mehrstufiger silberner Zylinder wie eine Showtreppe den den Raum. Auf der kleinsten Fläche ganz oben trifft tasmanischer Tiger auf magyarische Gazelle, unter der sich Rosalinde als unbekannte Schöne verbirgt. Klar, zum Tanz auf dem Vulkan, Wir hören Erläuterungen über verlorene Lebensräume dieser Tiere, flankiert vom Countertenor Odin Byron im Fuchskostüm als Prinz Orlowsky und einem Taubenchor, dem Klub Konsonanz unter Leitung von Uschi Krosch. Ein hinreißender Rap der beiden, den Knopp mit seinem E-Cello begleitet, ist der musikalische Höhepunkt des Abends.
Die immer wieder sicht- und hörbare Verweigerung und Unterbrechung der Handlung mit Textschnipseln von Köck führt nolens volens zu ihrer vollständigen Auflösung.
Die schwarze Fledermaus des Dr. Falke, der mit seiner Nebelmaschine umherwandernd die Szene einräuchert, wird von seinem Gegenspieler Eisenstein die Stufen hinauf- und endgültig hinuntergestoßen, sie bleibt reglos liegen. Aus dem Täter, dem Rächer wird das Opfer, und damit bricht alles ab.
Die Rache der Fledermaus. Foto: Krafft Angerer
Reichlich lang wird die Apokalypse mit dem Video eines Feuerwerks auf den durchsichtigen Gazevorhang projiziert. Und gefeiert wie nichts Gutes. Noch länger ist die Liste der ausgestorbenen Arten, die Cathérine Seifert, diesmal ohne Froschkopf und mit ihrer echten Stimme, am Ende vorträgt. Und dabei merkt man: Einen Schönheitsfehler hat dieser Abend doch. Leider macht das Zuschauen, entgegen der Ankündigung des Frosches, immer noch Spaß.
Die Rache der Fledermaus
von Johann Strauß / Mit einem Zwischenruf von Thomas Köck
Regie: Anna-Sophie Mahler
Am Thalia Theater Hamburg, Alstertor, 20095 Hamburg
Dauer: 1:50h, keine Pause
Mit: Felix Knopp (Gabriel von Eisenstein) | Gabriela Maria Schmeide (Rosalinde) | Victoria Trauttmansdorff (Adele) | Odin Biron (Prinz Orlofsky) | Julian Greis (Alfred) | Björn Meyer (Dr. Falke) | Cathérine Seifert (Frosch)
Live-Musik: Arno Waschk (Klavier, Keyboard) | Jakob Neubauer / Bernd Butz (Akkordeon) | Edgar Herzog / Marc Löhrwald / John Thrower (Klarinette, Flöte, Saxophon) | David Channing / John Thrower (Klarinette, Flöte, Saxophon) | Jonathan Göring / Mareike Eidemüller (Schlagwerk) und Kammerchor Klub Konsonanz
Weitere Aufführungen:
So 04 Dez 2022, 19:00 Uhr
So 11 Dez 2022, 19:00 Uhr
Do 15 Dez 2022, 20:00 Uhr
Mo 26 Dez 2022, 19:00 Uhr
Mo 16 Jan 2023, 20:00 Uhr
Di 17 Jan 2023, 20:00 Uhr
Weitere Informationen (Thalia Theater Hamburg)
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