Es war wirklich vollgepackt, das Programm des diesjährigen Internationalen Sommerfestivals, das an diesem Wochenende zu Ende geht: Neun Welt-, Europa- und Deutschlandpremieren, vier Konzert-Uraufführungen und rund 50 unterschiedliche Programmpunkte lieferten in den vergangenen drei Wochen auf Kampnagel und anderswo Unterhaltung auf höchst unterschiedlichem Niveau.
Musikalische Gastspiele nahmen gut die Hälfte der Vorstellungen ein. Wenn der Trend so weiter geht, wird das Sommerfestival bald nur noch ein (Avantgarde) Musikfestival sein. Umso erfreulicher, kurz vor Schluss noch eine Sternstunde des Tanzes erleben zu dürfen: „Autobiography“ von Wayne McGregor.
Echte Klasse-Choreografen brauchen keinen Medien-Hype und keine voyeuristischen Skandalgeschichten, echte Klasse steht für sich und füllt ohne große Werbetrommel die Halle K6 bis auf den letzten Platz. Die Company Wayne McGregor, das hat sich längst rumgesprochen, bietet zeitgenössischen High-End-Tanz zu Themenkomplexen wie Genetik, Robotik und Kognitionswissenschaft. In früheren Choreographien hat der Brite bereits künstliche Intelligenz oder menschliche Koordinationsstörungen in sein extrem energetisches Bewegungsvokabular übersetzt. Für seine jüngste Schöpfung „Autobiography“ ließ McGregor nun sein eigenes Erbgut entschlüsseln.
Entsprechend seiner 23 Chromosomen-Paare (die keine Überraschungen ergaben, wie er verriet) schuf er einen Bilderzyklus aus 23 Szenen, die Titel wie „Erinnerung“, „Avatar“ „Schlaf“ oder „Altern“ tragen. Dieser Zyklus wird von einem Algorithmus gesteuert, sodass sich die Reihenfolge der Szenen bei jeder Aufführung ändert. Wie ein Buch mit verschiedenen Kapiteln oder Kurzgeschichten, aus der an jedem Abend ein paar andere ausgewählt werden.
Das ist zwar hochinteressant und vor allem eine ganz enorme Herausforderung für die Interpreten, doch keine Information, die man als Zuschauer unbedingt wissen muss, um sich von dieser 80minütigen „Meditation über das Selbst“ (Wayne McGregor) mitreißen zu lassen.
„Autobiography“ ist ein durch und durch abstraktes Ballett. Hier werden keine Geschichten erzählt, hier wird ein sich permanent wandelnder Raum aus Licht und einer futuristisch anmutenden Pyramiden-Decke aus Metall-Stäben, die den Tänzern mitunter bedrohlich nah kommt (Bühne: Ben Cullen Williams), auf hochenergetische Art und Weise erkundet.
Zuerst ist es nur ein Solist, der sich fast animalisch über die Bühne bewegt. Später folgen im schnellen Wechsel die unterschiedlichsten Figurenkonstellationen: Pas de Deux, Pas de Troi und Gruppentableaus.
Als Konstante bleibt das enorme Tempo zu den einpeitschenden, teils unerträglich dröhnenden Techno-Beats der Elektronik -Musikerin Jlin (Jerrilynn Patton). Auf Dauer nervte diese Musik, das ist der einzige Wermutstropfen dieser Aufführung. Diese Company hätte man gern auch mal „pur“ genossen, sie braucht keine Musik, um den Zuschauer in ihren Bann zu ziehen. Wann sieht man schon solch athletisch hochpräzisen Bewegungsmuster, Hebefiguren, Drehungen und Sprünge?!
Keine Frage: McGregors sechs Tänzer und vier Tänzerinnen ziehen in „Autobiography“ alle Register technischer und körperlicher Möglichkeiten. Atemberaubend. Brillant. Besser geht es einfach nicht.
Wayne McGregor: Autobiography
Kampnagel K6, nur noch heute, Sa 25.8., 19:30 UhrDauer: 80 Min.
Tickets: 44 / 36 / 24 / 14 Euro (erm. ab 9 Euro, 50% erm. mit Festivalkarte)
Vimeo Video:
Autobiography - Company Wayne McGregor 11 Sek.
Abbildungsnachweis:
Headerfoto: Richard Davies
Szenenfoto: Andrej Uspenski
Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)
Kommentare powered by CComment