Theater - Tanz
Festival Theater der Welt: „In 80 Tagen um die Welt“

X-Mal ist Jules Vernes Klassiker „In 80 Tagen um die Welt“ verfilmt und für die Bühne bearbeitet worden – aber wohl noch nie als ein so irrwitzig-grandioser, zeitbezogener und durchaus gesellschaftskritischer Klamauk, wie in der Bearbeitung des ehemaligen Thalia-Stars Peter Jordan.
Das Gastspiel des Düsseldorfer Schauspielhauses, noch bis einschließlich Montag, den 5. Juni, im Thalia Zelt am Baakenhöft zu sehen, ist der große Familienspaß beim Theater der Welt.
Es klopft und klappert, quietscht, rasselt und trötet – schon beim Eintritt in das Thalia Zelt wird man hineingezogen in ein bildmächtiges Maschinentheater, das die Zeit und mit ihr das ganze Viktorianische Zeitalter zu zermalmen scheint. So rund wie die Erde ist auch die kleine Manege und der transparente Vorhang rundherum, der als Projektionsfläche für die surreale Collage aus Räderwerk, Menschenmassen, Tieren und dem Queen-Porträt dient. Was Peter Jordan, der gemeinsam mit Leonhard Koppelmann auch Regie führt, hier für die nächsten zweieinhalb Stunden an Multi-Media-Spektakel in Szene gesetzt hat, ist eine Liebeserklärung an das Theater in all seinen Facetten - vom zirzensischen Schauspiel, über antiquarische Laterna-magica-Aufführungen, Kabarett und Vaudeville, bis zum Rockmusical und experimentellen, „armen Theater“. Ein paar alte Klamotten und Klappstühle, ein paar collagehafte Videoprojektionen und die unbändige Spiel- und Singfreude des virtuosen siebenköpfigen Ensembles, das in rasantem Tempo in neue Rollen und neue Verkleidungen schlüpft, reichen völlig aus, die Phantasie der Zuschauer zu beflügeln und sich von dem atemberaubenden Abenteuerstrudel mitreißen zu lassen.

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Jedes Kind kennt die Wette des exzentrischen Gentleman Phileas Fogg, der in seinem Club sein halbes Vermögen daraufsetzt, in 80 Tagen die Welt zu umrunden. Als Jules Vernes Roman 1873 erschien, waren der Suezkanal und die erste transkontinentale Eisenbahnverbindung durch die Vereinigten Staaten gerade mal vier Jahre alt. Nur mit diesen technischen Wunderwerken war damals eine Erdumrundung in 80 Tagen überhaupt denkbar.

Für den Phileas Fogg aus der Feder Peter Jordans sind solche Errungenschaften kalter Kaffee. In seiner musikalischen High-Speed-Revue mit vierköpfiger Live-Band sausen der Engländer (Torben Kessler) und sein Diener Passepartout (Jonas Friedrich Leonhardi) mit der Dampflore durch den Eurotunnel, dann mit dem TGV von Paris weiter nach Deutschland, über den Balkan nach Italien, Griechenland und Kairo. Jedes Land wird persifliert, kein Klischee wird ausgelassen. Die Deutschen werden mit ihrer Bürokratie und Pausen-Mentalität durch den Kakao gezogen, die Balkanstaaten mit ihrer Bestechlichkeit.

Alle Schauspieler bezaubern mit ihrem Witz und ihrem Können. Aber Thiemo Schwarz, ein Bär von einem Mann, Typ Wikinger, schießt als Pariser Lido-Girl in kurzen Hosen und mit Federhaube auf dem Kopf den Vogel ab. Das muss man einfach gesehen haben.

Natürlich verläuft auch diese Reise um die Welt nicht ohne Hindernisse. Schon am Anfang werden Fogg und Passepartout ständig von Mr. Fixx (Dirk Ossig) sabotiert, der - anders als im Original - kein Privatdetektiv ist, der die beiden verfolgt, sondern „der Böse im Spiel“, der in jedem Fall verhindern soll, dass der Engländer seine Wette gewinnt. Die „künstliche Intelligenz“ namens Molly (Judith Bohle), die Fogg in der Düsseldorfer Version vor Wette und Reise gerade erfunden hat, setzt nicht nur ihre Intelligenz, sondern alle weiblichen Reize ein, ihren Meister und seinen sprachbegabten Diener immer wieder in letzter Sekunde zu retten.

Aber es geht Peter Jordan nicht nur um gute Unterhaltung. Der Schauspieler, Autor und Regisseur versteht sehr gut, die aktuelle politische Lage einzuflechten und es bleibt einem das Lachen im Halse stecken, wenn auf dem Weg über Syrien, Irak, Iran und Afghanistan mal eben so die Nahost-Kriege abgehandelt werden, auf schwarz-weißen Satellitenbildern Menschen und Fahrzeuge ins Fadenkreuz geraten und kurz darauf detonieren. Immer wieder lässt Jordan in seiner Theaterfassung Zeitgeschehen einfließen, seien es die Raketenversuche von Nordkorea oder die „Überkommunikation“ durch das Word Wide Web. Teilchenbeschleuniger, Antimaterie und Relativitätstheorie tauchen auf, Pinocchio, Jean Cousteau und Jona im Wal. Und, klar. werden hier auch gleich mehrere Jules-Verne-Romane verwurstet: „20 000 Meilen unter dem Meer“ ebenso, wie „Von der Erde zum Mond“, denn ins All verschlägt es die Weltreisenden ebenso wie in den Wilden Westen, wo ein stumpfsinniger Indianerhäuptling Kauderwelsch quatscht und ein grinsender Trucker die Reisegesellschaft aus Countrymusik und dem öden Nirgendwo nach New York chauffiert.

Was für ein Vergnügen, das alles zu sehen. Was für ein Vergnügen, diese Schauspieler zu erleben, wie sie sich hier völlig verausgaben. Allein schon Fixx, diesen Fiesling, als Kleckse verteilende Möwe zu erleben, ist ein Genuss.

„In 80 Tagen um die Welt“
Zu sehen am 4.6., 17 Uhr, 5.6. 14 und 19 Uhr.
Regie: Peter Jordan/Leonhard Koppelmann
Bühne: Michael Sieberock-Serafimowitsch
Kostüme: Michael Sieberock-Serafimowitsch
Licht-Design: Jeannot Bessiere
Multimedia: Stefan Bischoff Dramaturgie: Stefan Fischer-Fels
Mit: Judith Bohle, Martin Esser, Torben Kessler, Adrienne Lejko, Jonas Friedrich Leonhardi, Dirk Ossig, Thiemo Schwarz sowie Klaus Mages und Musiker.
Thalia Zelt, Baakenhöft. Hamburg-HafenCity
Das Festival Theater der Welt läuft noch bis zum 11. Juni in Hamburg.

Dauer: ca. 3 Stunden
Tickets: 20 bis 48 Euro / erm. 12 bis 15 Euro / Familienpreis 60 – 106 Euro
In deutscher Sprache
Alle Spielorte und Programmübersicht unter www.theaterderwelt.de


Abbildungsnachweis:
Fotos: Sebastian Hoppe
Header: Torben Kessler, Judith Bohle, Jonas Friedrich Leonhardi
Galerie:
01. Torben Kessler
02. Torben Kessler, Judith Bohle, Jonas Friedrich Leonhardi, Andreas Grotgar
03.
Andreas Grotgar, Martin Esser.

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