Theater - Tanz

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Premiere am 16.1.2010 im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg.

Klassiker zu inszenieren hat besondere Vor- und Nachteile. Vorteil: keiner braucht über den Autor zu diskutieren, Shakespeare ist Shakespeare, bis vielleicht auf die sehr widerborstigen Tragödien (wie etwa Titus Andronicus) hat jeder längst mit Williams Stücken seinen Frieden gemacht.

Romeo und Julia dürfte sogar sein berühmtestes sein, ein schlichtes Synonym für Liebe. Die Sache mit der Lerche und der Nachtigall ist sprichwörtlich, und wie die Geschichte ausgeht, weiß der schlimmste Kulturmuffel. Natalie Wood hat Julia gesungen und Alexander Godunov hat Tybalt getanzt, wir kennen die Story verfremdet und umgekrempelt, vermusifiziert und verballetiert, in der City und ‚auf dem Dorfe’, gekräuselt und schlicht. Ich halte es nicht für nötig, die Handlung zu umreißen.


Bleibt also die Ausführung, die Raffinesse, die Darstellung. Das ist der Nachteil.
Sei mal originell nach mehr als 400 Jahren der originellen Wiederaufführungen.
Klaus Schumacher, der sich der unendlichen Romanze ein weiteres Mal angenommen hat, ist kein egomanischer Regisseur, der das Publikum auf Biegen und Brechen zum Luftschnappen zwingt. Er verzichtet auf öffentliches Kopulieren oder sich Übergeben, die jungen Männer greifen sich lediglich gern neckend gegenseitig in den Schritt und Julia spuckt ein bisschen Apfel um sich, das ist ästhetisch gut auszuhalten.

Natürlich ist die Riesentragödie eingekocht; schätzungsweise zwei Drittel der witzigen und eleganten Wortgefechte sind entbehrlich, um den Sinn zu verstehen. Immerhin noch mehr als zwei Stunden reichen einem modernen Publikum. Im neunzehnten Jahrhundert klaubte man sich einzelne Fetzen aus dem Mammutstoff und spielte ‚Szenen’, ganz aus jedem Zusammenhang gerissen – das war noch schlimmer.

Natürlich tappen die Darsteller nicht in Renaissancegewändern umher; das ist stilisiert hier und da angedeutet, etwa im Ärmelschnitt von Romeos (Aleksandar Radenkovic) Jäckchen. Vater Capulet (Jürgen Uter) jedoch trägt Besserverdieneranzüge mit Seidenschal und spiegelnde Sonnenbrille, Mutter Capulet (Sandra Maria Schöner) unterstreicht mit aufgetürmter Betonfrisur und engem Silberkleid wie in Stanniol gewickelt ihre Herzenskälte, Julias Amme (Irene Kugler) ist in etwas zu enges Schwarz gequetscht und hat den naiven Verstand durch eine Haarschleife zusammengerafft. Julia (Julia Nachtmann) selbst zeigt ihre fast noch kindliche Anmut in kurzen, hellen Kleidchen, halb Columbine und halb Babydoll. Kostümbildnerin Heide Kastler hat jeden mit feinem Pinsel ausgezeichnet charakterisiert.

Natürlich haben wir’s mit keiner pompösen italienischen Kulisse zu tun; im Schauspielhaus würde wahrscheinlich die Möglichkeit bestehen, das gesamte ‚Casa de Giulietta’ samt schnörkeligsten aller Sehnsuchtsbalkons zu bauen. Zeitgemäß ist das aber nicht. Augenblicklich gilt Reduzierung als kreativ und individuell – und das ist sie ja wirklich: in der Mitte der leicht nach vorn abgeschrägten Bühne befindet sich ein dunkles, dickes Rechteck über einem entsprechend rechteckigen, nicht zu tiefen Pool. Das, zusammen mit einigen Leuchtkringelchen, die hin und wieder das Firmament andeuten, ist die ganze Kulisse (verantwortlich: Katrin Plötzky), aber die hat es buchstäblich in sich.
In der Vertiefung wälzt sich anfangs schmatzend, madengleich, ‚die Brut’, sechzehn junge Männer, die in diesem Fall brodelnde Aggression verkörpern. Später sind sie auch mal Gäste bei der im Rechteckblock zusammen gequetschten wummernden Hausparty der Capulets oder sie verkörpern den jungen Stadtadel in Pfadfinder- oder Hitlerpimpfuniform, erpicht darauf, sich gegenseitig zu massakrieren, blass, wortlos, sprachlos, abgesehen von ihrem gierigen Mitkeuchen der letzten Atemzüge des Mercutio.
Mal sinkt der Kasten ab und verschluckt handelnde Personen, um eine Szene zu beenden, mal ist er hohl, schwebt hoch und wird zu Julias Balkon oder zum Schlafgemach, in dem sie mit Romeo turtelt und das dabei sorglos leise schaukelt wie ein Kreuzfahrtsschiff. Am Ende steht der dunkle Quader für die Gruft, in der das unglückliche Paar sich nacheinander, jeweils im Kummer um den anderen, tötet. (Auf die anschließende Versöhnung der Familien verzichtet Klaus Schumacher. Zu kitschig für unsere pessimistische Kultur?)
Die Lösung des schwebenden Rechtecks überzeugt. Wäre man ihr auf einer kleinen Provinzbühne begegnet, hätte man gesagt: Donnerwetter, bewundernswert, was die mit ihren beschränkten Mitteln fertig gebracht haben!

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