Theater - Tanz
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Abhörskandale, Datenkraken und unsere Spuren im Netz: Das interaktive Medienexperiment „Supernerds“ erprobt die Möglichkeiten und Konsequenzen einer digitalen Totalüberwachung und spielt diese crossmedial in Theater, TV, Radio und Online-Gaming aus.

Das Handy summt. Schon wieder eine unbekannte Nummer aus dem Ausland, laut Vorwahl dieses Mal aus London. Viel zu kurz lässt der anonyme Anrufer es klingeln, dann wird wieder aufgelegt. Kurz darauf folgt eine SMS, erneut mit unterdrückter Nummer: Von der immanenten Bedrohung durch Geheimdienstüberwachung ist da die Rede, von konspirativen Treffen mit bekannten Dissidenten und Aktivisten, die bereits aus der „Watch List“ der US-amerikanischen Behörden stehen, und der Bitte um Mithilfe. Auch im Email-Fach treffen mysteriöse Nachrichten ein: Die dringliche Aufforderung Kontaktaufnahme, inklusive einiger Internet-Protokoll-Codes. Was für den Normalnutzer wohl ziemlich beunruhigend sein dürfte, gehört hier zum Spiel: Das Multimedia-Experiment „Supernerds“ führt hautnah vor, was es heißt, ausspioniert und observiert zu werden – das lässt auch bei Eingeweihten ein eindeutig mulmiges Gefühl zurück.

Mit dem Thema digitale Überwachung hat sich „Supernerds“ ein Brennpunktthema vorgenommen, das nicht nur die aktuellen Praktiken von Regierungen, Konzernen und Geheimdiensten betrifft, sondern auch Privatnutzer immer wieder umtreibt: Welche Informationen werden über mich gesammelt und gespeichert, was passiert mit diesen Daten, und wer verwendet sie zu welchem Nutzen? Und: Welche Konsequenzen kann mein Online-Verhalten haben, wenn ich auffällig werde, ins Raster gerate? Denn inzwischen ist nicht nur bekannt, dass unsere tägliche Kommunikationen und Bewegungen jederzeit überwacht und analysiert werden (können), sondern wir wissen auch, was mit Menschen wie Julian Assange und Edward Snowden passiert ist: Verfolgung, Verhaftung, Verdrängung ins Exil.

altBei der crossmedialen Inszenierung von „Supernerds“ wird diesen Fragen gleich auf mehreren Kanälen nachgegangen – kollaborativ und zeitweise sogar live miteinander verknüpft. Im Zentrum von „Supernerds“ steht die Theaterinszenierung von Regisseurin Angela Richter, die schon mehrfach zu dem Thema Digitalüberwachung gearbeitet hat (bekannt ist z.B. ihr kontroverses Stück „Assassinate Assange“, das 2012 am Hamburger Kampnagel uraufgeführt wurde). Inspirationsquelle für das aktuelle Projekt „Supernerds“ waren die zahlreichen Interviews, die Angela Richter im Rahmen ihrer Recherchearbeiten mit Whistleblowern, Hackern, Netzaktivisten, Journalisten und Dissidenten geführt hat – darunter Julian Assange und Edward Snowden, Daniel Ellsberg, Jesselyn Radack und Thomas Drake sowie dem ehemaligen NSA-Direktor William Binney. Entstanden ist daraus ein interaktives Theaterstück, das am 28. Mai 2015 am Schauspiel Köln uraufgeführt wird.

Interaktiv deshalb, weil „Supernerds“ eben nicht nur eine Theaterperformance ist, die Ausmaß und Risiken unserer gläsernen Online-Existenz vorführt. Die „Filmproduktion gebrueder beetz“ hat für „Supernerds“ zugleich eine Verschränkung von Theaterstück, TV-Livesendung, Radio und Suddenlife-Gaming entwickelt, die am Premierenabend simultan ausgespielt wird. Dazu wurde ein eigenes Fernsehstudio im Depot des Schauspielhauses Köln eingerichtet, von wo aus zeitgleich zur Theateraufführung (also am 28. Mai ab 20:15 Uhr) eine vom WDR koproduzierte Livesendung ausgestrahlt wird. Hierbei geht es allerdings nicht um das Abfilmen des Bühnengeschehens; vielmehr soll mit Studiogästen, Live-Schalten und der Einbindung der Fernsehzuschauer ein aktives Ineinandergreifen von TV und Theater erreicht werden. Zeitgleich sendet das WDR3 Radio live von der Bühne des Stücks.

Neben dem interaktiven Zusammenspiel von Theater, Fernsehen und Radio wird „Supernerds“ von der Suddenlife-Game-Komponente ergänzt, laut Definition ein Onlinespiel, das vom Überraschungsmoment lebt. Nach einer Anmeldung über supernerds.tv nehmen die Nutzer an einer „Erlebnisgeschichte“ teil, die per SMS, Telefonat, Emails erzählt wird und eine Welt von Überwachungsparanoia und Geheimdienstspionage persönlich erfahrbar macht – mal als Überwachter, mal als Überwachender. Das funktioniert tatsächlich erschreckend gut: Die Informationen, die hier benutzt werden, sind teils fiktiv, teils aber auch real, und personalisiert auf den jeweiligen Nutzer zugeschnitten. Natürlich bleibt das Ganze ein Spiel, aus dem jederzeit wieder ausgestiegen werden kann (wobei die gesammelten Daten laut Website nach Projektende wieder vollständig gelöscht werden); und trotzdem fühlt sich die Erfahrung bedrohlich echt an. Das macht durchaus nachdenklich, welche (freiwillig preisgegeben) Informationen über die eigene Person im Netz kursieren, und wie leicht darauf Zugriff erlangt werden kann.

Keine Frage, mit seinem transmedialen Zugriff ist „Supernerds“ methodisch innovativ und kann das komplexe Thema der Digitalüberwachung multiperspektivisch aufarbeiten. Bei so vielen einflussnehmenden Teilkomponenten bleibt für die Macher natürlich ein Restrisiko der technischen Live-Umsetzung, weshalb auch nur einige wenige Aufführungstermine anberaumt sind. Was letztlich genau am Premierentag passieren wird, bleibt unklar; schließlich liegt es auch in den Händen von Theaterbesuchern, Fernsehzuschauern und Onlinenutzern, wie sich das Geschehen von „Supernerds“ entwickelt. Sicherlich stellt das Mammut-Projekt einen vielversprechenden Gedankenanstoß in Sachen Datensicherheit dar, das statt mahnendem Zeigefinger auf erlebnishafte Visualisierung setzt – und so den Satz „Ich habe doch nichts zu verbergen“ erneut überdenkenswert macht.

„Supernerds – Ein Überwachungsabend“ von Angela Richter, in Kooperation mit dem WDR, Schauspiel Köln, gebrueder beetz Filmproduktion und der Film und Medien Stiftung NRW.

Termine:
• Suddenlife-Gaming Akkreditierung seit 26. April 2015 auf www.supernerds.tv
• Theaterpremiere im Schauspiel Köln am 28. Mai 2015, 19.30 Uhr. Weitere Aufführungen 29./30. Mai, 2.-7. Juni, 9./10. Juni 2015.
• TV-Ausstrahlung: 28. Mai 2015, 20:15 Uhr live im WDR Fernsehen, und 29. Mai 2015, 20:15 Uhr live bei Einsfestival
• Radio-Übertragung: 28. Mai 2015, 20:05 Uhr live auf WDR3
• „Digitale Dissidenten – Die Dokumentation“: Assoziierter Dokumentarfilm von Cyril Tuschi. 28. Mai 2015, 22:15 Uhr im WDR Fernsehen und am 29. Mai, 21:45 Uhr bei Einsfestival. Mehr Informationen

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Abbildungsnachweis:
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Angela Richter und Julian Assange; Foto © Oliver Abraham.
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