Theater - Tanz
Dürrenmatt: „Die Physiker“ am Deutschen Schauspielhaus. Foto :Sandra Then

Nach 53 Jahren wieder am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg: „Die Physiker von Friedrich Dürrenmatt“. Doch leider nur als harmlose Komödie.
Die Uraufführung fand am 20. Februar 1962 in Zürich statt. Der 'Run' auf die Karten war so groß, dass an drei Abenden hintereinander gespielt wurde, wobei der Inhalt des Stücks bis zur Premiere geheim gehalten wurde.

Und dann folgte überschwängliche Kritik für „das neue großartige Werk, kühn in der geistigen Konzeption"(Tages-Anzeiger-Zürich).
Dürrenmatt hatte offenbar mit seinem Drama die Ängste der Zeit erfasst, die unsichere weltpolitische Lage, die Bedrohung durch einen möglichen Atomkrieg. Das Ganze aufgezogen an drei irren Physikern, als groteske Detektivkomödie im Irrenhaus.

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Wobei die Irrenärztin die einzige Irre ist. „Die Geschichte ist dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmst-mögliche Wendung genommen hat“, schrieb Dürrenmatt über „die Physiker“. Und: „Der Mensch sieht sich immer gewaltiger von Dingen umstellt, die er zwar handhabt, aber nicht mehr begreift".
Das Stück hat also damals nicht nur unterhalten, sondern auch nachdenklich gemacht. Die Irrenärztin spielte Therese Giese und in Hamburg Elisabeth Flickenschild. 1962/63 sah man es an 50 deutschsprachigen Bühnen und danach in der ganzen Welt. Fernsehen und Film folgte. Die Physiker standen auf jedem Deutschlehrplan.

Und nun wieder in Hamburg, von einem jungen Regie-Team. Regisseur Sebastian Kreyer und Dramaturgin Michaela Predeick sind mit Karin Beier nach Hamburg gekommen. Es ist ihre erste Große Arbeit im Großen Haus. Das Stück soll sich thematisch einpassen in den Spielplan, zum Motto „Mensch, Natur und Umwelt“.

Offen und unbefangen gehen sie die Sache an. Verzichten bewusst auf einen aktuellen Bezug. Im Gespräch wird zwar deutlich, wie komplex sie das Stück sehen, wie viele Ideen sie gehabt oder wieder verworfen haben. Was aber dann davon auf der Bühne rüberkommt, ist nichts Halbes und nichts Ganzes. Sie enthalten sich jeder Stellungnahme, pendeln unentschlossen zwischen Komödie und Tragödie, finden keinen inneren Zusammenhang. Zusammengestrichen auf eineinhalb Stunden, ohne Pause, schnell, Slapstick-artig angerissene Szenen. Unterhaltend, ja, aber mehr auch nicht. Zu unausgegoren, zu oberflächlich und vor allem bar jegliches politischen Ansatzes, wird aus Dürrenmatts großem Drama ein kleiner Abend.

Schade, denn handwerklich ist das alles sehr gut. Auf leerer, offener Bühne dreht sich ein weißes Puppenstubenhaus. Unten der Salon, eine Treppe nach oben zu den Zimmern der Physiker. Alles ist offen, keine Geheimnisse, jeder kann jeden belauschen. Je nach Stimmung wird es – Bob Wilson lässt grüßen – in warmes oder kaltes Licht getaucht. Es entstehen immer wieder ästhetische Bilder und mit Gesang geht alles besser, so auch diese Physiker.

Doch irgendwann fragt man sich was das alles soll. Die Schauspieler sind toll, ja, auch der Zigarre rauchende, mit Hut und Burberry bekleidete Inspektor kann es mit jedem Tatortkommissar aufnehmen. Und auch die Puppe, die als tote Krankenschwester am Seil hängt wirkt ziemlich echt.
Die drei Physiker, mehr zerzauste Hanseln in Trainingsanzügen, also äußerlich eher Hausmeister als Intellektuelle. Zugegeben, es ist schon komisch, wenn sich Einstein und Newton, als britischer bzw. DDR-Geheimagent, mit immer größer werdenden Spielzeugpistolen bedrohen, die sie in irgendwelchen Lichtschachten versteckt haben.
Beide wollen ja Möbius entführen, um an die Weltformel zu kommen. Das machen die ganz wunderbar, aber mehr als tolle Nummer. Die Mittel erschöpfen sich, streifen nur die Oberfläche und nicht den Inhalt der Handlung.
Fräulein Doktor Mathilde von Zahn, Anja Lais, muss die großen Vorbilder nicht scheuen. Sie spielt die Irrenärztin und einzig wirkliche Irre. Ist eher Femme fatale, mit lasziven Bewegungen, irrlichternd, mit geheimnisvoller Aura. Wobei sie aber auch früh auf diese Rolle festgelegt ist und so, wie auch leider alle anderen Figuren, keine Entwicklung durchmachen kann.

Freundlicher Beifall. Viele unbeantwortete Fragen. Eine merkwürdige Leere und Enttäuschung macht sich breit. Am Stück liegt es sicher nicht, das ist, anders gedeutet, immer noch aktuell. Doch Regisseur Kreyer und sein Team machen in keiner Weise deutlich, warum sie „die Physiker“ nun wieder auf die Bühne bringen. Soll man sich „die Physiker“ ansehen? Ja, als kurzweiliges Stück schon. Die Frage nach dem tieferen Sinn bleibt allerdings unbeantwortet.

Deutsches Schauspielhaus Hamburg

„Die Physiker“ von Friedrich Dürrenmatt
Regie: Sebastian Kreyer
Bühne: Thomas Dreissigacker
Kostüme: Maria Roers
Licht: Annette ter Meulen

Besetzung:
Anja Laïs - Fräulein Dr. Mathilde von Zahnd
Ute Hannig - Oberschwester Marta Boll
Karoline Bär - Schwester Monika Stettler
Paul Herwig - Herbert Georg Beutler, genannt Newton
Yorck Dippe - Ernst Heinrich Ernesti, genannt Einstein
Markus John - Johann Wilhelm Möbius
Sachiko Hara - Frau Missionar Lina Rose
Maik Solbach - Richard Voß, Kriminalinspektor
Daniel Holtz, Thorben Söhn - Anstaltspersonal
Weitere Informationen


Abbildungsnachweis: „Die Physiker“ Alle Fotos: © Sandra Then
Header: Paul Herwig, Markus John, Ute Hannig, Anja Laïs, Sachiko Hara, Yorck Dippe, Maik Solbach
Galerie:
01. Yorck Dippe, Ute Hannig
02. Maik Solbach, Anja Laïs
03. Yorck Dippe, Sachiko Hara
04. Yorck Dippe, Karoline Bär, Markus John
05. Markus John
06. Karoline Bär, Markus John, Anja Laïs
07. Paul Herwig, Yorck Dippe
08. Yorck Dippe

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