„Zugabe“, ein Abend mit Franz Grundheber
- Geschrieben von Isabelle Hofmann -
Ein Weltstar mit Bodenhaftung.
Kammersänger Franz Grundheber, Grand Seigneur unter den deutschen Baritonen, findet zwischen seinen internationalen Gastspielen Zeit für eine „Zugabe“ in der Hamburger Kammeroper. Der 1937 in Trier geborene Sänger, der 22 Jahre an der Hamburgischen Staatsoper sang, kommt zu einem musikalischen Arbeitsbesuch in die Hansestadt und spricht mit Isabelle Hofmann über dramatische Partien, seine Stimme im Alter, den Opernzirkus im allgemeinen und besonderen und gibt auch ein paar Anekdoten zum besten.
Isabelle Hofmann (IH): Einen Franz Grundheber in der Kammeroper Hamburg zu Gast zu haben, ist etwas sehr Ungewöhnliches. Normalerweise machen Sie es doch nicht unter der Hamburger Staatsoper, oder?
Franz Grundheber (FG): Oh, das stimmt nicht. Ich habe die Rudolf-Steiner-Schule in Hamburg-Nienstedten mit 19 Konzerten unterstützt sowie zwei Chöre in meiner Heimatstadt Trier mit 25 Konzerten. Nun unterstütze ich die Hamburger Kammeroper. Ich bewundere sehr, was Uwe Deeken und seine Frau Barbara Hass machen. Meine Frau war früher Lehrerin und ist mit ihren Schulklassen regelmäßig in das Theater gegangen. Dadurch hat sich ein freundschaftlicher Kontakt entwickelt.
IH: Die Kammeroper ist also nicht Endstation Ihrer Karriere, so wie es das „Phantom der Oper“ für Peter Hofmann war?
FG: Sicher nicht. In der Hamburger Staatsoper singe ich im Herbst wieder den Amonasro in „Aida“. Und im nächsten Jahr stehen gleich drei große Produktionen an. An der Pariser Oper singe ich den Musiklehrer in „Ariadne“, in Amsterdam und New York den Schigolch in „Lulu“.
IH: Dann sind Sie 78 Jahre alt. Wer singt in diesem Alter sonst noch so große Partien an bedeutenden Häusern? Gibt es überhaupt jemanden?
FG: Sehr wenige. Domingo…
IH: Der ist vier Jahre jünger...
FG: …sagt er. Opernsänger in meinem Alter sind so rar, dass ich im Zirkus auftreten könnte – gemeinsam mit dem Mann mit den zwei Köpfen und der Frau ohne Unterleib.
IH: Sie werden immer wieder nach dem Rezept befragt, wie man in diesem Alter noch so eine volle Stimme haben kann – und Sie antworten immer wieder, dass man erst ab 40 Jahren ins schwere Fach wechseln soll. Das kann doch nicht alles sein?
FG: Genetische Veranlagung und eine vernünftige Technik kommen sicher auch dazu. Ich hatte mit Margaret Harshaw eine wunderbare Lehrerin in Amerika und habe ganz langsam angefangen. Als ich 1966 zu Rolf Liebermann nach Hamburg kam, gab es zehn Baritone an der Oper. Meine Stimme konnte sich dadurch entwickeln und langsam reifen. Aber es gibt tatsächlich die Regel, nicht vor 40 das schwere italienische oder deutsche Fach zu singen. Das ist wirklich wichtig!
IH: Was ist denn an dem schweren Fach so gefährlich?
FG: Dramatische Partien wie Verdis „Macbeth“, „Rigoletto“ oder Alban Bergs „Wozzeck“ erfordern eine bestimmte Wucht des Tons. Diese Arien muss man mit voller Kraft singen. Das ist ungeheuer anstrengend. Um die Muskulatur dementsprechend zu trainieren, braucht man wenigstens zehn Jahre. Das ist genau wie im Sport.
IH: Nur, dass die Karriere bei Sportlern mit 40 meistens schon beendet ist. Glauben Sie zu merken, wann für Sie der richtige Zeitpunkt zum Bühnenabschied gekommen ist?
FG: Oh ja, das glaube ich! Diesen Punkt nicht zu verpassen ist ganz, ganz wichtig. Ich will nicht, dass sich die Leute fragen, „Warum macht er das bloß noch?“ Deshalb kontrolliere ich mich permanent und habe meinen Gesangslehrer immer dabei.
IH: Und wer ist das?
FG: Professor Walkman. Nach jeder Vorstellung spule ich meinen Walkman ab und höre, was nicht in Ordnung war. Wer sagt einem Sänger denn sonst die Wahrheit?!
IH: Merken Sie den Unterschied zu früher oder altert Ihre Stimme tatsächlich kaum?
FG: Natürlich merke ich den Unterschied. Ich habe heute eine andere Stimme als mit 50. Das Timbre verändert sich. Meine Stimme hat nicht mehr die extreme Fülle wie früher, aber sie muss immer noch einwandfrei funktionieren. Mit Technik und einer anderen Phrasierung gleiche ich vieles aus. Jemand, der nicht den unmittelbaren Vergleich hat, wird es kaum hören.
Ich habe Farben in meiner Stimme gefunden, die ich in meiner Jugend nicht hatte und nicht kannte. Außerdem gibt es wunderbare Alterspartien: Den Schigolch in Alban Bergs „Lulu“ kann ich auch noch mit Rollator singen.
IH: Einige Rollen, wie „Rigoletto“, singen Sie seit mehr als 30 Jahren. Wie hat sich im Laufe der Zeit das Verständnis für die Figur verändert?
FG: Ich denke heute, „Rigoletto“, der Hofnarr mit dem leichten Hinken und dem Buckel, hätte auch Goldschmied oder Mediziner werden können. Aber er verkauft seine Missbildung. Und er ist schuldig an seiner Tochter, weil er sie so isoliert, dass sie auf den ersten Lover fliegt, wie ein Schmetterling auf die Kerze.
IH: In „Rigoletto“ ist die Titelpartie ein Bariton und sein Gegenspieler, der Herzog von Mantua, ein Tenor. Sie standen mit vielen berühmten Tenören auf der Bühne und dann meist etwas in ihrem Schatten, wie als Jago neben dem überragenden „Othello“ Placido Domingo.
FG: Nennen Sie mir mal einen Bariton, außer Herman Prey und Dietrich Fischer-Dieskau, den man kennt. Baritone sind nicht bekannt.
IH: Eben. Sie hätten ja auch das Zeug zum Tenor gehabt. Fragen Sie sich heute manchmal, ob Sie was falsch gemacht haben?
FG: Nein, ich bin in meinem Fach glücklich und zufrieden. Als Bariton muss ich nicht unbedingt Jugend verkaufen. Tenöre haben es viel schwerer, die sind oft auf den jugendlichen Liebhaber festgelegt. Ich bin der Ansicht, Oper sollte glaubhafte Figuren auf der Bühne haben. Ein jugendlicher Liebhaber sollte auch wie ein jugendlicher Liebhaber aussehen und nicht auf die Bühne geschoben werden müssen.
IH: Sind Sie nicht doch insgeheim etwas traurig, dass Sie nie in den Klatschspalten auftauchen?
FG: Glauben Sie mir, ich bin glücklich, dass ich diese Art Karriere nicht hatte. Ich will mein Privatleben nicht vermarkten. Sie sehen es doch an Anna Netrebko, Sie ist eine tolle Sängerin und verdient die Karriere. Aber was steht in der Zeitung? Wie gut der Sex mit ihrem Ex Erwin Schrott war und ob ihr Pferd Durchfall hat.
IH: Hauptsache, Schlagzeilen...
FG: Richtig. Damit sie eine Waldbühne in Berlin füllen, in die 22.000 Zuschauer reingehen. Davon haben 300 Zuschauer Ahnung und alle anderen sagen, die müssen wir mal gesehen haben.
IH: Oh, das klingt aber hart.
FG: Es ist erwiesen, dass nur acht Prozent aller Deutschen in die Oper gehen – und davon haben 70 Prozent keine Ahnung wie man singt. Ich bin bestimmt schon fünf, sechs Mal gefragt worden, wie ich Paul Potts finde.
IH: Und, wie finden Sie ihn?
FG: Paul Potts ist doch kein Opernsänger! In Männergesangsvereinen an der Mosel gibt es 75 Tenöre, die so gut singen wie er. Aber heute kann man ja mit Publicity alles machen. Paul Potts hat nicht die Technik auf einer Opernbühne zu stehen, wenn man ihm das Mikro wegnimmt. Aber die Menschen lieben ihn, weil er zu Tränen rührt.
IH: Ihre eigene Geschichte hat aber auch das Zeug zum Film- und Opernstoff. Da wäre in Punkto Ruhm und Popularität noch viel mehr drin.
FG: Es war schon so unglaublich viel drin! So viel, wie ich nie in meinem Leben erwartet hätte. Ich komme vom Dorf, ohne jeden Bezug zur klassischen Musik, in der ganzen Verwandtschaft nirgendwo eine Stimme. Mein Vater war Dreher. Der hatte solche Ängste, als er hörte, dass ich Sänger werden wollte. Wie kannst Du nur, hat er gesagt. Wenn Du wenigstens Lehrer wirst, oder Inspektor bei der Post oder Bahn.
IH: Sie haben erzählt, dass Sie zur Musik wie die Jungfrau zum Kind gekommen sind. Mit 18 hat Ihnen jemand eine Karte für die „Zauberflöte“ geschenkt und als der Priester Sarastro den Mund aufmachte, bekamen Sie eine Gänsehaut. Das war der Auslöser, oder?
FG: Ja, ich hätte vorher nie geglaubt, dass man mit den Schwingungen seiner Stimme einen Menschen körperlich berühren kann. Ein Ton im Kehlkopf ist das Unattraktivste, was es gibt. Man muss den Ton zum Schwingen bringen, den ganzen Körper bis ins Zwerchfell hinein und bis in die Backenknochen. Wenn ein guter Opernsänger in der Küche singt, müssen Sie sich die Ohren zuhalten, so laut ist das.
IH: Was werden Sie jetzt in der Hamburger Kammeroper singen? „Zugabe“ soll ja ein ganz besonderer Abend werden.
FG: Ich weiß noch gar nicht, ob ich singen werde. Ich werde vielleicht singen. Das Ganze ist kein Auftritt, eher eine Aktion. Es gibt Filme von mir, auch Tonaufnahmen, und zwischendurch erzähle ich, wie es mit meiner Karriere gegangen ist. Über die Zusammenarbeit mit Karajan und wie ich nach London, New York und Los Angeles gekommen bin.
IH: Die schönsten Anekdoten handeln von Pleiten, Pech und Pannen. Was fällt Ihnen dazu ein?
FG: Eine der dramatischsten Pannen war meine Rückfahrt von New York 1964 nach Deutschland. Ich hatte eine Freifahrt für die „Hanseatic“, dafür sollte ich zwei Konzerte an Bord geben. Als ich dem Taxifahrer sagte: „Pear 91“ fragte er, „Hanseatic?“. Ich sagte stolz „Yes“ und er antwortete nur: „It‘s on fire“. Sie brannte lichterloh. Ich habe dann meine letzten Dollars zusammengekratzt und die billigste Passage auf der Queen Elisabeth gebucht. Aber diese Geschichte wollte ich eigentlich noch gar nicht erzählen. Jetzt muss ich mir noch was anderes ausdenken.
IH: Herr Grundheber, herzlichen Dank für das Gespräch.
Franz Grundheber wurde 1937 als Sohn eines Handwerkes und einer Blumenbinderin in Biewer bei Trier geboren, verpflichtete sich nach dem Abitur drei Jahre bei der Luftwaffe in Husum, absolvierte die Offiziersschule in München und eine Fliegerausbildung in Uetersen, entschied sich dann aber gegen die militärische Laufbahn und für die Sängerkarriere. 1964-1966 Stipendium und Gesangsausbildung an der Indiana-Universität in Bloomington, USA. 1966-1988 Ensemblemitglied der Hamburgischen Staatsoper, wo er bis heute über 2000 Vorstellungen und mehr als 120 Rollen interpretiert hat. Seit 1988 arbeitet der zweifache Kammersänger freischaffend an allen großen Opernbühnen der Welt, u.a. mit berühmten Dirigenten wie Karajan, Barenboim, Abbado und Solti. Franz Grundheber lebt mit seiner zweiten Frau Angelika in Rissen an der Grenze zu Schleswig-Holstein und hat vier erwachsene Kinder.
„Zugabe“, ein Abend mit Franz Grundheber, am 28.3.2014, um 20 Uhr in der Kammeroper Hamburg (Allee Theater), Max-Brauer-Allee 76 in Hamburg-Altona
Eintritt: € 20 / € 15, Karten unter (040) 3829 59
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