Musik
Himmelwärts und erdverbunden - Saisoneröffnung  des Ensemble Resonanz. Copyright Jann Wilken

Der Herr ruft „Bravi“ nach einem solchen Konzert. Was immer er damit sagen will, es ist der Herr, der ruft, und nicht die Dame. Wir befinden uns im großen Saal der Laeiszhalle, einem Ort, wo nach wie vor feste Konventionen das Verhalten bei einem Konzert regeln.
„Bravi“. Mehrere Male muss das Ensemble auf die Bühne zurück, und es kommt auch gerne und genießt den freundlich frenetischen Applaus, die nur zu verdiente Begeisterung. Verbeugen, der Blumenstrauß für die Starsolistin, und noch einmal raus, weil es so schön ist. Auftakt zur neuen Saison der „Resonanzen“, der Konzertreihe, mit dem das in der Laeiszhalle residierende Ensemble Resonanz seit mehr als zehn Jahren den notorisch trutschigen Hamburger Konzertbetrieb erfrischt.
 
Nachdem das Ensemble Resonanz im Frühjahr mit viel Wehmut seinen ersten „Artist in Residence“, den weltläufigen Cellisten Jean-Guihen Queyras verabschiedete, beginnt nun ein neues Kapitel in der Geschichte des Ensembles. Und wenn man diesen glanzvollen Konzertabend zum Maßstab nimmt, darf man davon ausgehen, dass das Ensemble Resonanz auch in den kommenden zwei Jahren mit der Bratschenexpertin Tabea Zimmermann als neuer „Artist in Residence“ mit Fantasie, Spielfreude und großer Klasse aus der Begegnung zwischen der vertrauten klassischen Literatur und neuerer Musik Funken schlagen wird. Der Sprung ist ja auch nicht weit: wie Queyras ist auch die Bratschenspielerin Zimmermann eine Musikerin, die sich nie mit dem „klassischen“ Teil des Repertoires begnügte, sondern immer weiter nach neuen Klängen, Entdeckungen, Herausforderungen forschte. Womit sie im Ensemble Resonanz, das seit jeher zwischen „klassischer“ und „Neuer“ Musik tänzelt und immer wieder die Querverbindungen zwischen den in der Aufführungspraxis so häufig getrennten Welten herausarbeitet.
 
Nicht nur in dem programmatischen Programmtitel „Himmelerde“, der von vornherein die Region benannte, in der sich die Musik des Ensemble Resonanz abspielt, vermittelte dieser Abend sehr direkt den Stand der Zusammenarbeit zwischen dem Ensemble und seiner Residenzkünstlerin: irgendwo in der Sphäre zwischen roh und gekocht, zwischen Alltag und Transzendenz bzw. eigentlich in beiden Sphären ist diese Musik zu Hause, und während vor der Pause das Gegenüber von zwei Kompositionen von Johann Sebastian Bach und je einer auf Bach bezogenen Komposition von Sofia Gubaidulina und Paul Hindemith, zweier fast schon zeitgenössischen Komponisten, ein in der Aufführungspraxis des Ensemble Resonanz vertrautes Spannungsfeld aufbaute, rückte die sonst häufig in der musikalischen Textur aufgehende Mttelstimme und damit die Bratsche, das Instrument von Tabea Zimmermann, über die Dauer des gesamten Konzertes in den Fokus.
 
Da steht sie nun, Tabea Zimmermann, Jahrgang 66, mit ihrem grünen Schal schon optisch ein Farbklecks in der Musiklandschaft, Professorin in Berlin, Weltstar unter den Bratschenspielerinnen, und kitzelte die verschiedenen Wärmegrade aus ihrer Bratsche. Mit voller Inbrunst lässt sie ihr Instrument brummen und schwingt sich in die Höhe, nimmt die tiefen Resonanzen aus dem Ton, die vollen Anteile, lässt ihn fahl werden, durchscheinend, streicht nur noch die Obertöne hervor und bringt ihr Instrument zum Klirren. Es ist eine breite Palette an Farben und Hitzegraden, die sie da ganz unaufgeregt und ohne Hast im Zusammenspiel von Bogen und Fingern entstehen lässt, und von Stück zu Stück verstärkt sich der Eindruck, dass es tatsächlich ihre Ausstrahlung ist, die das Spiel des Ensemble Resonanz über die ohnehin vorhandene technische Klasse hinaus so leicht und transparent und souverän macht. Ganz besonders scheint diese Kraft bei Tim-Erik Winzer zu wirken, der sowohl in der Bearbeitung der Sinfonia aus Bachs Kantate „Gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt“, mit der der erste Konzertteil beginnt  als auch im „Brandenburgischen Konzert Nr. 6“, mit dem er abschließt, den solistischen Widerpart zu Tabea Zimmermann gibt, den Partner im Kanon wie im Unisono, in einem lebhaften Wechselspiel von Führen und Folgen, Locken und Entziehen, Aktion und Reaktion, das tatsächlich das Attribut Dialog verdient. Die beiden zusammen sind schon große Klasse, und die verschiedenen Inkarnationen des Ensembles dahinter bringen diese Klasse mit ihrem gelassen Spiel, das Präzision und Transparenz in sich vereint, zum Leuchten. Doch einen besonderen Reiz bekommen die Bach-Kompositionen erst durch den Einbruch des Anderen, durch Sofia Gubaidulinas ins Geräuschhafte, fast schon Gespenstische lappende „Meditation über Bachs Choral ‚Vor deinen Thron tret ich hiermit’“ und durch die „Trauermusik“, die Paul Hindemith im Januar 1936 in kürzester Zeit aus Anlass des Todes des englischen Königs George V. geschrieben hatte. Plötzlich wird deutlich, wie eng diese verschiedenen Musikauffassungen aus der gleichen Quelle trinken, das sie aufs Engste miteinander verbunden sind, das klassischer Schönklang und seine modernen Erweiterungen auf dem gleichen Holz erklingen.
 
Hatte in der ersten Hälfte des Konzertabends die Besetzung Von Stück zu Stück gewechselt, tritt nach der Pause das Ensemble in Form eines Streichorchesters zum Einsatz. Mit Anton Bruckners Streichquintett F-Dur in Orchesterbearbeitung spielt das Ensemble wieder ein Stück, in dem die Bratschen im Vordergrund stehen. Und so kunstfertig und stark das Ensemble auch steht, so strahlend und souverän die führenden Bratschen ihre Rolle spielen, kann dieses Stück nicht die Spannung aufbieten, die die Abfolge der bei aller strukturellen Querverbindungen klanglich so disparaten Stücke der ersten Konzerthälfte erzeugte. Bei aller Modernität, bei all den unverbunden scheinenden Melodieblöcken, den im Tonraum stehenden Verzierungen und Neuansätzen, bei all den ruppigen Brüchen zwischen den verschiedenen Sätzen, bleibt doch ein Rückstand von kanonisiertem Repertoire, von Konventionalität im Raum. Das Publikum hat es dennoch genossen. Sehr sogar. Tabea Zimmermann ist in Hamburg angekommen und angenommen. Der Herr schreit, endlich einmal ausgelassen. „Bravi!“.

Header Foto: Copyright Jann Wilken

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