Musik
Blödes Orchester: Michael Petermann macht Haushaltsgeräte zu Sinfonikern

Haben Sie ihren alten Toaster weggeworfen, die Waschmaschine entsorgt und die Trockenhaube verschenkt? Wie dumm!
Ihre ausgedienten Haushaltsgeräte hätten noch Karriere machen können – als Sinfoniker in Michael Petermanns „Blödem Orchester“. Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe hat dem verrückten Klangkörper nun eine Ausstellung gewidmet oder besser gesagt, einen Konzertsaal eingerichtet – denn immer 15 Minuten nach der vollen Stunde ist hier die „Haushaltsgeräte-Sinfonie“ zu hören.

„Oh, guck‘ mal, die hatten wir zu Hause auch!“ Wie oft Michael Petermann diesen Satz gehört hat? Er weiß es nicht. Es dürften aber einige tausend Mal sein, seitdem er vor neun Jahren begann, Design-Klassiker zu sammeln.
Die Affinität zu technischen Musikinstrumenten und sein absolutes Gehör brachten den Hamburger Dirigenten und Komponisten auf die Idee, aus Küchengeräten ein Orchester zu formen. Im Gegensatz zu anderen Menschen, die nur Krach wahrnehmen, konnte er die Geräusche differenzieren. „Ein Elektrorasierer kann zwar nur den Kammerton von 50 Herz Wechselstrom, diesen aber sehr präzise“, erklärt Petermann. „Ein Mixer dagegen bildet je nach Modell und Drehzahl bis zu eine Oktave Tonumfang sauber ab. Das reicht locker für eine Arie, wenn auch in eher getragenem Rhythmus“.

Michael Petermann ist ein typischer Grenzgänger. Vor zehn Jahren gründete er die Formation „Weisser Rausch“, in der Musik, Theater und bildende Kunst vereint sind. „Als Musiker guckt man gern mal auf die andere Seite“, sagt der gebürtige Darmstädter. Schon als Kind hätte er gern Museen für Kunst und Design besucht und später, in seiner Hamburger Studenten-WG, hätte ein alter Braun-Mixer in der Küche gestanden, den er zwar nie benutzte, aber nicht missen wollte. Ihm ist klar, dass er sich mit der Installation im Museum für Kunst und Gewerbe in den Bereich der Bildenden Kunst vorwagt, aber er sieht sich nicht als bildender Künstler. „Ich bin Musiker, ganz klar. Und als Musiker habe ich zwei Seelen in meiner Brust“, bekennt der 50-Jährige. „Einerseits die Liebe zur Klassik, andererseits das Faible für Elektromusik. Neben Orgel habe ich immer elektrische Orgel gespielt und in den 70er Jahren den ersten Synthesizern experimentiert.“ Klauspeter Seibel, der kürzlich verstorbene ehemalige Generalmusikdirektor in Kiel und langjähriger Lehrer an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater, hätte seine Experimente gefördert: „Seibel hat mich musikalisch geprägt“. Petermann geht an den Computer und drückt ein paar Tasten. Sofort setzen die Staubsauger ein, als nächstes die Rasierer, danach kommen die Heizlüfter. Nach einer Arie hört sich das zwar nicht an, aber ungemein rhythmisch. Das Klangerlebnis erinnert an die konkrete Musik der 50er Jahre – und an György Ligetis Sinfonie für 100 Metronome. „Eingeschränkte Mittel sind nicht nur schlecht, sie können auch bereichern“, sagt Petermann. „Durch sie bekommt man eine neue Sicht auf die Musik“. Der Computer ist Petermanns Taktstock, links und rechts davon stehen Keyboards, deren Tasten mit den Haushaltsgeräten verbunden sind. Sobald eine Taste angeschlagen wird, kommt Leben in das jeweilige Instrument. Einen „Dirigenten“ gibt es dennoch: Vor den halbkreisförmig angeordneten Instrumenten auf dem Podest steht ein weißes Telefon. Wenn es klingelt, geht es los – logisch. Petermann hat sein „Blödes Orchester“ nach Vorbild eines spätromantischen Sinfonieorchesters angeordnet. Mit rund 200 Geräten ist der technische Klangkörper größter als das Gewandhausorchester Leipzig - und das ist mit seinen 185 Planstellen das größte deutsche Orchester.

Die Anordnung in Geräte-Gruppen entspricht ebenfalls der klassischen Orchesterformation: Vorne die kleinen, zarten Instrumente, hinten die mächtigen lauten. Und so beginnt man unwillkürlich zu übersetzen: Zwanzig Elektromesser bilden die ersten Geigen, Toaster und Kaffeemaschinen die zweiten, vier Nähmaschinen die Bratschen, eine Phalanx aus Ventilatoren und Mixern die Celli, dahinter gruppieren sich die Blasinstrumente: Heizlüfter, Föne und Staubsauger. In der letzten Reihe thronen Wäschetrommeln und eine wuchtige Waschmaschine aus dem Jahr 1955, das mit einem Kohleofen angetrieben wird: Das Schlagwerk. Die meisten der Haushaltsgeräte stammen aus der Wirtschaftswunderzeit, aber es gibt auch Ausreißer: Das älteste Stück, ein Siemens-Lüfter, ist 99 Jahre alt, die jüngsten haben immerhin auch schon mehr als 30 Jahre auf dem Buckel. Warum hörte er bei 70-Jahre-Design auf? Ganz einfach, antwortet Petermann, „weil das Design dann langweilig wurde. Ob Staubsauger oder Autos- heute sieht doch alles gleich aus“.

Bis 30. April, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Steintorplatz 1, Di-So 11-18 Uhr, Do bis 21 Uhr. Eintritt 8 Euro / erm. 5 Euro, bis 18 Jahre frei.
Abb.: Michael Petermann vor seiner Installation "Blödes Orchester". Foto: Isabelle Hofmann

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