Musik

Ist die Rockoper, ist das Musical „Jesus Christ Superstar“ noch zeitgemäß? Macht es Sinn, dieses Musical, das 1971 in Zeiten des Vietnam-Kriegs und im Nachklang von Flower-Power und Hippie-Kultur seine Uraufführung in New York feierte, heutzutage live aufzuführen?

 

Kurze und klare Antwort: Ja, es macht Sinn. Es ist sogar enorm wichtig, diese biblische Geschichte neu zu erzählen mit heutigen Mitteln. So geschieht es derzeit bei den 73. Eutiner Festspielen auf äußerst hörens- und sehenswerte Art und Weise. Woran liegt das? Weil hier einfach alles stimmt!

 

Das gilt an diesem Abend sogar für das Wetter, eine absolute Unwägbarkeit für Freilichtbühnen wie die neue Tribüne am Großen Eutiner See, die in diesem Jahr mit „Jesus Christ Superstar“ (JCS) zum Start der 73. Saison der Eutiner Festspiele ihre Einweihung feierte und nun 1945 Zuschauern reichlich Platz mit freiem Blick auf Bühne, See und Wald bietet. Nach zahlreichen Wolkentürmen und Regenschauern am Tag glättete und lichtete sich der Himmel am Abend. Die Wetterlage ist hier also eine Gegebenheit, die in kein Konzept passt, passen kann. Da muss man einfach Glück haben!

 

Eine alte Geschichte, neu in Szene gesetzt

Apropos Konzept: Wie Regisseur Till Kleine-Möller (mit zuständig für das Lichtdesign) diese alte Geschichte neu in Szene setzt, ist prächtig, großartig und stark: Selten machten Handys und Live-Kameras auf der Bühne so viel Sinn wie hier, im Eutiner Jesus Christ Superstar. Auch die Live-Musik, die hier und heute aus dem Graben kommt und gut verstärkt ins Publikum gelangt, überzeugte (Musiker der Kammerphilharmonie Lübeck, Dirigent: Christoph Bönecker). Die Solist*innen gaben sich stimmlich und schauspielerisch in Top-Form. Ebenso das Ensemble: engagiert und selbstlos der Sache dienend, fern jeder Eitelkeit und ohne jegliche Übertreibung agierend. Farblich und farbenreich prima abgestimmt auch das Lichtdesign (Rolf Essers).

 

Galerie - Bitte Bild klicken
Hauptdarsteller dieses Musicals ist natürlich Jesus. Emilio Moreno Aria, geboren 1998 in Rotterdam (Anm. d. Red.: Stimmumfang laut Art and Soul Management: A2 bis F5 / (Rock-) Falsett bis G#5), singt/stellt Jesus sowohl als Frau als auch als Mann dar. Er beherrscht seine Stimme in Höhen und Tiefen, ist sängerisch und schauspielerisch sicher und stark im Ausdruck. Kein Wunder, spielte er doch schon als 9jähriger die Hauptrolle in einem Musical („Kruimeltje“). Der Baritenor Florian Minnerop (Stimmumfang: G - g") ist Jesus Widersacher, er singt und spielt den Judas, eine zentrale Rolle, dies auch, weil die Geschichte aus seiner Sicht erzählt wird. Ursprünglich sollte deshalb dieses Musical „Judas“ heißen. Minnerops Stimme klingt - der Rolle entsprechend - manchmal gebrochen, zerrissen. Das ist stimmig, uneitel, gekonnt. Auch er also die richtige Besetzung für diesen Part. Was im Übrigen für alle Solist*innen dieser Inszenierung gilt!

 

Szeneapplaus für die Solisten

Szenenapplaus gab`s daher mehrfach, beispielsweise nach dem Song „I don`t know how to love him“ für Maria (Antonia Kalinowski), nach „Everything`s Alright“ (Maria, Judas, Jesus, Ensemble) und natürlich nach „Superstar“ (Judas, Soul Girls, Ensemble). Da kam sogar erste traurige Abschiedsstimmung beim Publikum auf… Hervorgehoben sein soll hier noch Joachim Kaiser (Herodes), ursprünglich von Beruf Rocksänger mit Begeisterung fürs Musical. Er hatte auf der Seebühne in Eutin seinen großen Auftritt mit „King Herod`s Song“ nach Art des Conférenciers im Musical „Cabaret“ – im silbernen Glanzanzug und rosa Schlips, begleitet von flotten Tänzerinnen des Ensembles im rosafarbenen, tief ausgeschnittenen Hosenanzug mit weiten Beinschlägen. Ein bisschen Spaß muss sein…

 

Ansonsten ist die Geschichte bekanntlich eher spaßfrei: Tim Rice und Andrew Lloyd Webber erzählen von den letzten sieben Tagen Jesus Christus hienieden, vom Einzug in Jerusalem am Palmsonntag bis hin zur Kreuzigung am Karfreitag. Die einen feiern Jesus als Superstar, die anderen sehen in ihm eine Bedrohung. Ein Freund verrät ihn. Die Göttlichkeit von Jesu wird hinterfragt und der Verräter Judas wird als sympathische Figur dargestellt. Das kam vor allem in kirchlichen Kreisen nicht überall gut an, zumal es um Machtspiele, Profilierungswillen, Harmoniesucht und Umsturzgedanken geht. Themen, die zeitlos sind wie der Mensch an sich, wie alles, was ihn/uns an- und umtreibt. In der Eutiner Inszenierung geht es auch um die Auswirkungen von Social Media, insbesondere um unseren (missbräuchlichen) Umgang mit dem Handy.

 

Jesus als Botschafter der Menschlichkeit

Für Regisseur Till Kleine-Möller ist Jesus ein Botschaftsbringer, ein Botschafter der Menschlichkeit. Die Jünger und Anhänger Jesus sind für ihn - auf unsere Gesellschaft übertragen - „eine Followerschaft, die über Nacht exponentiell steigt und eine globale Dynamik entwickelt“. Wie wir wissen, bringt dies nicht nur Gutes mit sich, sondern auch Böses, sprich: gute Botschaften und schlechte. „Nur der Botschaftsbringer selbst kennt die Worte und deren Bedeutung“, so Till Kleine-Möller, der sich nicht anmaßt, die Botschaft zu kennen, weder die von Jesus, noch die von Webber oder Rice. Der Regisseur macht sich seine eigenen Gedanken, interpretiert die empfangene Botschaft, wertet sie aus und setzt seine so gewonnenen Erkenntnisse in seiner Inszenierung von JCS ein und um. „Ich denke, wenn man sich an die persönliche Entwicklung mit den menschlichen Konflikten der Figuren im Stück hält, sollte die Geschichte für alle Zuschauer*innen egal welcher religiösen Zugehörigkeit ein Narrativ hervorbringen.“ Kleine-Möllers sagt auch, „ein Skandal entsteht immer nur in den Köpfen“.

 

Für die Theaterkritiker war die Rockoper „Jesus Christ Superstar“, die am 12. Oktober 1971 im Mark Hellinger Theater in New York Uraufführung feierte, ein Skandal! Während das Publikum das Stück mit Händen und Füßen begeistert feierte, zerrissen es die Kritiker mit Worten: Das Werk sei „der Gosse näher als einem Gospel“, schimpfte das „New Yorker Magazine“ und bezeichnete das Musical als billige Showklamotte. Die Göttlichkeit Jesu werde als Massenspektakel missbraucht. Konservative Christen kritisierten das Werk als gotteslästerlich, die Göttlichkeit Jesu werde hinterfragt, der Verräter Judas als sympathische Figur dargestellt. Faktum ist, Jesus Christ Superstar war das erste Musical der Broadwaygeschichte, das auf einer Plattenproduktion basierte. In Großbritannien war 1969 eine gleichnamige Schallplatte veröffentlicht worden - mit mäßigem Erfolg. In den USA hingegen schlug die Platte wie eine Rakete ein. Innerhalb von 12 Monaten wurden zweieinhalb Millionen verkauft.

 

eutiner festspiele JCS F Marion Hinz

Bühne Eutiner Festspiele. Jesus Christ Superstar. Foto: Marion Hinz

 

Erstmals Videokunst auf der Eutiner Bühne

Das Rock-Musical war dann auch das erste Werk Webbers, das verfilmt wurde. Das war 1973. Damals waren die Möglichkeiten von Videokunst noch relativ gering. Das ist heute anders. So ist auch in Eutin diesmal und erstmals ein Videokünstler (Videobild: Grigory Shklyar) dabei. Auch er hat seinen Part voll im Griff. Hinzu kommt das stimmige Bühnenbild (Jörg Brombacher), das voll aufgeht im Zusammenspiel mit der Videokunst: mit vielfältigen und verschiebbaren Möglichkeiten überdimensional großer Handys, die zu Fernsehbildschirmen und zum Videoeinsatz rasch und geschickt umfunktioniert werden. Optimal auch die je nach Bedarf mal schlichten, mal glitzernden Kostüme (Choreographie und Kostümbild: Timo Radünz), hinzukommen überzeugende Masken (Yvonne Kirsch) und Requisiten (Kathrin Widmer). Last but not least glänzte der Abend auch dank der eingängigen Musik von Andrew Lloyd Webber und der Liedtexte von Tom Rice. Die Songs und deren Titel sind der rote Faden von JCS, damals wie heute. Am Ende der imposanten Vorstellung gab es verdientermaßen Standing Ovation seitens des Publikums.


Jesus Christ Superstar

Team / Besetzung:

Jesus: Emilio Moreno Arias | Judas: Florian Minnerop | Petrus: Maximilian Aschenbrenner | Simon: Florian Heinke |Annas: Julius Störmer | Kaiphas: Tobias Blinzler | Herodes: Joachim Kaiser | Pilatus: Pedro Reichert | Maria: Antonia Kalinowski

Musiker der Kammerphilharmonie Lübeck | Musikalische Leitung: Christoph Bönecker | Inszenierung/Lichtdesign: Till Kleine-Möller | Choreographie|Kostümbild: Timo Radünz | Bühnenbild: Jörg Brombacher | Videobild: Grigory Shklyar | Lichtdesign: Rolf Essers | Requisite: Kathrin Widmer

Eutiner Festspiele gGmbh, in 23701 Eutin

Weitere Informationen und Termine 

Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)

Kommentare powered by CComment