Musik

Eine traumhafte, musikalische Theaternacht mit großen Gefühlen und berauschend schöner, natürlicher Kulisse – so lässt sich der Premierenabend der Weber-Oper „Der Freischütz“ bei den 73. Eutiner Festspielen 2024 in Kürze beschreiben. Im Übrigen gibt es keinen schöneren Weg zum „Freischütz“ als der Spaziergang durch Schlosspark und Wäldchen hin zur Tribüne am Großen Eutiner See.

 

„Welch schöne Nacht“ in freier Natur

Ein klasse Vorspiel der Natur, ein perfekter Auftakt zu dieser Oper über den deutschen Wald und das Unheimliche. Überall rauscht, duftet, grünt es. Vogelgezwitscher inklusive. Der Wald zieht den Vorhang auf und die Hauptperson des Abends kann sich vor uns ausbreiten, „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber, berühmter Sohn der Stadt Eutin.

 

Die neue, glanzvoll-breite Tribüne hat hinter sich den stillen See, vor sich die Bühne als Spiegel. Dazwischen liegt der (Orchester-)Graben. Der ist bei der Premiere bedeckt - trotz stabiler Wetterhochlage, trotz garantierter Trockenheit (kein Regen in Sicht), trotz rundum angenehmer Wohltemperiertheit (die neue Heizung im Graben muss nicht in Betrieb genommen werden). Deshalb wirkt die ideenreiche, prachtvolle Ouvertüre - die schon bei der Uraufführung in Berlin wegen ihrer Schönheit wiederholt werden musste -, und die von ihrer dynamischen Bandbreite, ihrem Zusammenspiel zwischen diabolischer Tiefe und dramatischer Zuspitzung lebt, heute eher blass und gedämpft. Die Lautsprecher können diese akustische Deckelung offensichtlich nicht ausgleichen.

 

Neben dem Festival-Chor ist auch diesmal wie in den vergangenen Jahren die Kammerphilharmonie Lübeck mit ihren mehr als vierzig Musiker und Musikerinnen für den orchestralen Part zuständig. Das harmonische Zusammenspiel zwischen Natur unter freiem Himmel und den Mitwirkenden dieser Inszenierung (Anthony Pilavachi), die aus der Musik herauskommt, schafft es problemlos, die breite Bühne zu bespielen. Und durch das handwerklich solide, gute Zusammenwirken von Solisten, Chor und Orchester unter der sympathischen Leitung von Leslie Suganandarajah wird nach der Ouvertüre nun hörbar: Durch die Abdeckung des Orchestergrabens ist für eine gute Balance zwischen „oben“ und „unten“, zwischen Sänger*innen und Musiker*innen gesorgt. Ein Wechsel zwischen offener (Ouvertüre) und geschlossener (weiterer Verlauf) Abdeckung wäre allerdings optimal.

 

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Nur fünf Wochen hatte das Ensemble dieser neuen Freischütz-Inszenierung Zeit für die Probenarbeit. Eine Zeit, die das Team um Regisseur Anthony Pilavachi und Dirigent Leslie Suganandarajah bestens genutzt hat. So jedenfalls lässt sich das Ergebnis deuten. Entsprechend auch der Schlussapplaus. Carl Maria von Weber hätte sich sicher gefreut über die gelungene Darbietung seiner romantischen Oper in Eutins romantischer Naturkulisse.

 

In dieser Oper kommt alles zusammen: Schauerromantik und Volkstümliches, Natur und Nation, Unheimliches und Diabolisches, Die Handlung spielt im böhmischen Wald kurz nach dem 30jährigen Krieg. Der junge Jäger Max (Marius Pallesen), zweiter Jägerbursche beim fürstlichen Erbförster Kuno (Sebastian Campione), möchte dessen Tochter Agathe (Ann-Kathrin Niemczyk) heiraten. Um seine Liebe zu beweisen, muss er vor dem Fürsten einen Probeschuss abgeben. Doch Max hat eine Pechsträhne im treffsicheren Schießen, er verliert beim Preisschießen. Also lässt er sich von seinem älteren Kollegen, dem Jägerburschen Kaspar (Thomas Weinhappel), dazu überreden, nachts in der Wolfsschlucht Freikugeln zu gießen. Kugeln, die jedes Ziel treffen, doch die siebente Kugel wird vom Teufel persönlich gelenkt. Dafür hat Kaspar sich Samiel, dem Bösen, verpflichtet und will nun diesem – statt seiner – die Seele von Max übereignen. Erstmals ist es eine Teufelin (Samiel: Nina Maria Zorn), die hier das Dämonische verkörpert. Sie ist die Einzige, deren (Sprech)Stimme per Mikro verstärkt wird. Das schafft eine betont unheimliche, irritierende Stimmung.

 

Gesungen wird ohne Mikrofon, eine besondere Herausforderung für alle Stimmen. Keiner der Solistinnen und Solisten hat bisher bei einer Aufführung in Eutin gesungen. Für alle ist es das erste Mal. Die Auswahl der Solist*innen erfolgte nach einem Vorsingen, das im November vergangenen Jahres in Hamburg stattfand. Eine von ihnen ist hier in Eutin zum ersten Mal überhaupt als Solo-Sängerin in einer Oper zu hören: die Französin Océane Paredes (Ännchen). Sie war zum Vorsingen von Anthony Pilavachi nach Hamburg eingeladen worden. Sie sang als erste vor – und sie siegte. Nun singt sie also erstmals als Solistin einer Oper das Ännchen auf der Seebühne am Großem Eutiner See. Anthony Pilavachi ist sicher, dass auf diese Sängerin eine große Karriere wartet – es könnte sein, dass er Recht hat.

 

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Max (Marius Pallesen, von links) lügt Agathe (Ann-Kathrin Niemczyk) und Ännchen (Océane Paredes) vor, er müsse einen erlegten Hirsch ausweiden. Foto: Daniel Lagerpusch

 

Das große Pfund, mit dem die Eutiner Festspiele – neben der wunderschönen Naturkulisse – wuchern können, scheint Jahr um Jahr die geschickte Wahl der Solist*innen zu sein. Durch erstaunliche Deklamationsintensität erreichen sie hier und heute bei der Premiere eine bewundernswerte Bühnenpräsenz. Allen voran Ann-Kathrin Niemczyk (Agathe) mit einer erfreulichen Gesangstechnik, ausbalancierter Dynamik, leichter Höhe, aber auch geschmeidiger Kraft. Ihr ebenbürtig, vom Publikum gleichfalls bejubelt, Marius Pallesen (Max) mit einer für diese Freilichtbühne idealen Mischung aus lyrischer und dramatischer Stimmanlage bei gleichzeitig großer Spielfreude. Mit jeweils überzeugender Charakterdarstellung und schöner Stimmgestaltung ergänzten überzeugend auch die weiteren Mitglieder des Vokalensembles mit Thomas Weinhappel (Kaspar), Océane Paredes (Ännchen), Sebastian Campione (Kuno), Wolfgang Rauch (Ottokar), Lukas Konieczny (Eremit), Laurence Kalaidjian (Kilian).

 

Alle Chorsänger tragen schwarz-weiße Masken und dunkle Kleidung, die Damen zuzüglich eindrucksvoll-rote Handschuhe, die ebenso wie schwarze Regenschirme geschickt für die Performance eingesetzt werden (Kostümbild: Cordula Stummeyer). Der Chor ist Masse, nicht Individuum. Der Einzelne soll unsichtbar sein und ist es auch. Ausnahme sind die weißgekleideten Brautjungfern. Sängerisch beeindruckte der Chor (Leitung: Sebastian Borleis) durch Klangschönheit in allen Stimmlagen, in der Personenführung und durch seinen guten Kontakt zum Dirigenten Leslie Suganandarajah. Bei populären Gesangstiteln wie den Volksliedern „Wir winden dir den Jungfernkranz“ oder dem Jägerchor „Was gleicht wohl auf Erden“, die hier ins Kitschige kippen – was bereits von Zeitgenossen Webers wie Heinrich Heine kritisiert wurde - scheint Pilavachi den Regiefinger in die Wunde legen zu wollen. Hier wankte nicht nur die Musik, sondern auch das Bühnengeschehen. Das allerdings hätte besser zu dem Komponistenkollegen mit dem Doppel-b (Lloyd Webber) und seiner Musik gepasst. Vollkommen passte das Bühnenbild (Bühnenbild: Jörg Bombacher). Agathes Zimmer mit Riesenspinne, Spinnennetz, Särgen (Requisite: Kathrin Widmer) und Gespenstern auf der Bühne, die unterschiedlichen Farben und Stimmungen (Lichtdesign: Rolf Essers) und last but not least der allmähliche Sonnenuntergang, die hereinbrechende Finsternis und Donnerhall…

 

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Das ganze Dorf verspottet Max (Marius Pallesen), nachdem Bauer Kilian (Laurence Kalaidjian) das Wettschießen gewonnen hat. Foto: Daniel Lagerpusch

 

Die Schweizer haben ihre Berge, die Griechen das Mittelmeer, die Araber ihre Wüste, die Deutschen ihren Wald. Eutin hat außer dem Wald im Hintergrund der Bühne noch einen großen See hinter der Tribüne. Ideale Voraussetzungen für den „Freischütz“, das bekannteste Werk des im November 1786 in Eutin geborenen Komponisten Carl Maria von Weber. Mit der ersten Freischütz-Aufführung im Jahr 1951 im Eutiner Schlossgarten begann der Siegeszug der heutigen Eutiner Festspiele. 43 Mal stand „Der Freischütz“ auf dem jährlichen Spielplan, mehr als 200 Mal wurde die Bühne am Großen Eutiner See zur Wolfsschlucht. Die letzte Aufführung liegt acht Jahre zurück. „Der Freischütz“ gehörte also nicht immer, aber immer wieder zum Programm auf der Festspielbühne, wunderschön gelegen im Schlossgarten am Großen Eutiner See. Ebenso dazu gehört auch der Wald im Hintergrund der Bühne. Eine Festspielsaison lang ruhte der Wald, war es still am See: innerhalb von zwanzig Monaten wurde die neue Tribüne gebaut, die Platz bietet für rund 2.000 Zuschauer mit freiem Blick auf den grünen Hügel. Rund 16 Millionen Euro kostete der Bau. Eine Investition, die sich gelohnt hat, gemessen an dieser Inszenierung.


Der Freischütz

Dirigent: Leslie Suganandarajah | Regie: Anthony Pilavachi

Bühnenbild: Jörg Brombacher | Cordula Stummeyer | Lichtdesign: Rolf Essers

Chorleitung: Sebastian Borleis | Orchester: Kammerphilharmonie Lübeck (KaPhiL!) | Chor: Chor der Eutiner Festspiele

Weitere Aufführungstermine bis 15.08.2024

Eutiner Festspiele gGmbh, in 23701 Eutin

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