Am 21. März fand in Licata (Provinz Agrigent, Sizilien) die Einweihung der Kulturwerkstatt „La Casa di Rosa“ („Rosas Haus“) statt, die dem Leben und Werk der 1990 verstorbenen sizilianischen Sängerin Rosa Balistreri (1927–1990) gewidmet ist.
Das Kulturlabor „La Casa di Rosa“ entstand aus einem Projekt des Zentrums für Studien der sizilianischen und mediterranen Kultur, das sich in Zusammenarbeit mit Künstlern und Kulturschaffenden dafür einsetzt, die Schätze Süditaliens als Zentrum des Mittelmeerraums zu bewahren und aufzuwerten.
„Rosas Haus“: Neue Kulturwerkstatt
Die Einweihung des neuen Kulturzentrums in Licata, das ein Museum und eine Bibliothek beherbergt, fand am Geburtstag von Rosa Balistreri (geb. 21.3.1927 in Licata) statt, um ihr in äußerst ärmlichen Verhältnissen begonnenes Leben – das die junge italienische Volkssängerin in den sechziger Jahren auf die Bühne des fast gleichaltrigen, späteren Nobelpreisträgers Dario Fo (1926–2016) katapultieren sollte – und das musikalische Werk dieser menschlich und künstlerisch unvergesslichen Persönlichkeit zu würdigen.
Die Veranstaltung fand in dem Haus statt, in dem die Sängerin ihre Kindheit in Licata verbracht hat, jener Kleinstadt an der südwestlichen Küste der Insel Sizilien, in deren Altstadtgassen Rosa zu singen begann. Das Gebäude ist heute der operative Sitz des Zentrums für Studien zur sizilianischen und mediterranen Kultur, das eine Reihe von Veranstaltungen und Projekten zur Förderung von Kultur und Kunst durchführt.
Die Konzeption und Realisierung der auch deshalb bedeutenden Einrichtung „Casa di Rosa“, weil Rosa Balistreri 2018 in das Register des immateriellen Kulturerbes Siziliens eingetragen worden ist, entspringt insbesondere der Initiative und dem Engagement des modernen sizilianischen Troubadours Mel Vizzi und Dr. Nicolò La Perna, seines Zeichens Biograph von Rosa Balistreri und Präsident des Zentrums für Studien der sizilianischen und mediterranen Kultur.
Nachdem der Bürgermeister von Licata, Angelo Balsamo, zusammen mit Nicolò La Perna offiziell das Eröffnungsband von „Rosas Haus“ durchtrennt hatte, um die Einweihung des neuen Zentrums zu besiegeln, würdigten zahlreiche Unterstützer das Andenken an die ehedem als einfache Marktfrau tätige Sängerin aus Licata: Neben offiziellen Reden traten Bänkel- und Volkssänger aus ganz Sizilien und Norditalien auf. Die Einweihungszeremonie wurde von Professor Dagmar Reichardt, Dozentin für transkulturelle Studien an der lettischen Kulturakademie in Riga, Lettland, auch über die italienischen Grenzen hinaus gewürdigt. Als an Rosa Balistreris Wirken seit vielen Jahren interessierte und deren Schaffen in mehreren Publikationen erforschende deutsche Kulturwissenschaftlerin, drückte Reichardt in einem vom sizilianischen Dichter Piero Carbone vorgetragenen Brief ihre Bewunderung für die sizilianische Sängerin aus. Für Reichardt, die Balistreris revolutionären, dialektalen Gesang als einen gegen ghettoisierte und ghettoisierende Gesellschaftsstrukturen sich erhebenden „Schrei nach Inklusion“ in Form eines soziokulturellen Novums versteht, ist Balistreri eine imposante, angstfreie, umstürzlerische Figur, deren fordernde, eindringliche Stimme noch heute ein Zusammenwirken von beeindruckendem Charisma, pazifistischer Vitalität und kommunikativer Durchsetzungskraft ausübt, die an Aktualität kaum zu überbieten seien.
Zur Bekräftigung dieser Sichtweise überreichte Dagmar Reichardt der Bibliothek der „Casa di Rosa“ ein 2020 von ihr kollektiv konzipiertes Buch über die musikalische Polyphonie und „Die vielen Wege der italienischen Melodien in einer transkulturellen Welt“ (Originaltitel: „Polifonia musicale: Le tante vie delle melodie italiane in un mondo transculturale“), in dem sie Rosas außergewöhnlichen Werdegang im Gespräch mit der zwischen Österreich und Italien pendelnden postmodernen Singersongwriterin Etta Scollo hervorhebt. So „kehrt“ Rosa Balistreri symbolisch wieder in ihr Haus ein, das nun zu einem Kulturzentrum geworden ist und vor allem Jugendlichen und Schulen offen steht. Inmitten der engen Gassen des historischen Zentrums von Licata in Hafennähe (via Martinez 42) gelegen, erinnert auch die Umgebung des neuen Zentrums an Rosa Balistreris Jugend, als sie barfuß und vollkommen mittellos damit begann, ihre unverfälschte, instinkthafte, mythische Stimme zu Gehör zu bringen, ob sie nun, wie es hieß, dabei auf der Straße gespielt oder in ihrem bescheidenen Zimmer manche Träne geweint haben mag.
Heute sind die Wände des kleinen Hauses mit großformatigen Reproduktionen ihres Gesichts geschmückt, die das Antlitz von „Mutter Erde“ und zugleich die Dramen persönlicher Tragödien darstellen sollen. Porträts diverser Künstler bereichern die Wände von „Rosas Haus“, die an das Leben von Rosa Balistreri erinnern und von Malern und Zeichnern stammen, die die Sängerin aus Licata gekannt haben oder mit ihr befreundet waren – darunter der Maler Manfredi Lombardi, der Rosa Balistreri in der Toskana empfing und sie in die kulturellen Kreise in Florenz eingeführt hat, wo sie gegen Ende ihres (eher kurzen) Lebens rund zwanzig Jahre gelebt und sich zunächst mit Putz- und Hilfsarbeiten durchgeschlagen hat, um sich und ihre Kinder durchzubringen – sowie von jungen Künstlern, die keinen direkt Kontakt mehr zu ihr hatten.
„Wir haben Rosa nach Hause zurückgebracht, in ihre eigenen vier Wände, zwischen denen nun ihre Stimme ebenso widerhallen kann wie auch Videos über ihre Karriere und ihre ebenso tragische wie faszinierende Geschichte, inmitten ihrer Fotos und Originalgemälden von Manfredi Lombardi [...]. Wir haben ihr Haus mit persönlichen Gegenständen, ihren Erinnerungen, ihrem Wesen gefüllt, vor allem aber wollen wir, dass die Botschaft, die sie uns mitgegeben hat, von hier in die Welt ausgeht – das ist das Hauptanliegen der ‚Casa di Rosa‘“, so ist in der Mitteilung zu lesen, die das Zentrum für sizilianische und mediterrane Kulturstudien anlässlich der Eröffnung in sozialen Netzwerken veröffentlicht hat.
Gründungsmitglieder, Team, Bürgermeister und Stadtvertreter von Licata sowie Freundeskreis der "Casa di Rosa". Foto: Gloria Mas.
„Rosas Haus“ möchte aber auch Ausgangspunkt für ein neues Verständnis von Kultur und Kunst sein. So soll nach Ansicht der Macher des neuen Kulturzentrums in Licata die „Casa di Rosa“ ein Symbol und Inzentiv für ein neues Kultur- und Kunstverständnis sein, das sich von rhetorischen Diskursen über Folklore und den üblichen, inzwischen banal und überholt wirkenden Kommunikationsmethoden des letzten Jahrhunderts verabschiedet und im Rahmen seiner Möglichkeiten strategisch versucht, die Narrative der Tradition mit innovativen, auf die jüngere Generation ausgerichteten Formen zeitgemäß zu gestalten. Dafür sorgt zunächst eine bereits aktive soziale Gruppe, die derzeit an einer der „Casa di Rosa“ gewidmeten Webseite arbeitet, die derzeit in Aufbau ist.
Ab April werden zudem Führungen durch die „Casa di Rosa“ angeboten, die sich vor allem an Jugendliche und Schulen richten und zunächst nach Voranmeldung und später (hoffentlich mit Unterstützung und Hilfe öffentlicher Institutionen vor Ort) täglich stattfinden.
Das Zentrum für sizilianische und mediterrane Kulturstudien mit Sitz in der „Casa di Rosa“ und vertreten durch dessen Präsidenten Dr. Nicolò La Perna profitiert von der Zusammenarbeit zwischen Künstlern und kulturellen Persönlichkeiten, die daran arbeiten, eine Realität zu erschaffen, die in erster Linie darauf abzielt, den (auch ortsunabhängigen) Stolz der Zugehörigkeit zu einer der ältesten und vielschichtigsten Kulturen der Welt – nämlich der sizilianischen – sichtbar zu machen. So wird im Verwaltungsrat die künstlerische Leitung von dem aus der norditalienischen Region Reggio Emilia stammenden Sänger Fulvio Cama und dem Musiker und Sänger Antonio Zarcone aus dem sizilianischen Favarese wahrgenommen, während der Bänkelsänger Mel Vizzi aus Licata, der bereits die „Putia du Cuntastorie“ (den „Handwerksladen für Bänkelsänger“) in Licata gegründet hat, die Rolle eines zentralen Bezugspunkts und Verantwortlichen für die „Casa di Rosa“ vor Ort spielt. Der wissenschaftliche Ausschuss des Zentrums schließlich wird von Notar Salvatore Abbruscato geleitet und besteht aus: Felice Liotti, Nino Bellia, Lorenzo Alario, Raffaele Messina, und Andrea Burgio.
La Casa di Rosa, via Martinez 42, Licata, Sizilien/Italien
Vorläufige Homepage (Casa di Rosa)
Übersetzung des Textes aus dem Italienischen: Redaktion KulturPort.De
Polifonia musicale Le tante vie delle melodie italiane in un mondo transculturale, herausgegeben von Dagmar Reichardt, Domenica Elisa Cicala, Donatella Brioschi und Mariella Martini-Merschmann (Hrsg.), mit einem Vorwort von Dagmar Reichardt & Domenica Elisa Cicala sowie einem Interview mit der sizilianisch-deutschen Liedermacherin Etta Scollo, Firenze: Franco Cesati Editore, (Civiltà italiana. Terza serie, no. 32), 2020.
Weitere Informationen (Verlag)
YouTube-Videos:
- Rosa Balistreri: La piccatura (4:03 Min.)
- Rosa Balisteri: Mi votu e mi rivotu (2:00 Min.)
- Rosa Balisteri: E lu suli 'tinni 'ntinni (2:58 Min.)
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Lesen Sie auch: Dreißigjähriges Jubiläum für Siziliens Singer-Songwriterin Rosa Balistreri (2020)
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