Lübecks Generalmusikdirektor und Operndirektor Stefan Vladar kann auf eine jahrzehntelange Karriere als Dirigent und Pianist zurückblicken. Er verfügt daher über beste Kontakte in der Konzert- und Theaterwelt. So verbindet ihn beispielsweise eine jahrzehntelange Bekanntschaft mit Brigitte Fassbaender, die sich nach ihrer Weltkarriere als Mezzosopranistin 1995 der Opernregie zuwandte und seitdem bisher an die 100 Inszenierungen gestaltet hat.
Stefan Vladar gelang es nun, Brigitte Fassbaender für Lübecks Inszenierung von Richard Strauss „Elektra“ zu gewinnen. Und das ist ein Glücksfall für Lübeck! Die musikalische Leitung der Inszenierung hat – wie sollte es anders sein – Stafan Vladar. Auch das ist ein Glücksfall für Lübeck.
Mit „Elektra“ (Uraufführung am 25. Januar 1909 in Dresden) begann die langjährige Zusammenarbeit zwischen Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal. Die Oper erregte damals ebenso viel Aufsehen wie zuvor „Salome“. Strauss ging hier musikalisch noch weiter und forderte das Publikum somit extrem. Hofmannsthal äußerte hierzu: „In Elektra ist zum ersten Mal der Versuch gemacht (worden), in einen tragischen Moment eine ganze menschliche Psyche zusammenzupressen“. Es ist zudem die erste Oper, die Strauss selbst als eine „griechische Oper“ bezeichnet hat. Insgesamt sind es im Laufe dreier Jahrzehnte fünf griechische Opern geworden: Auf „Elektra“ folgten „Ariadne auf Naxos“, „Die ägyptische Helena“, „Daphne“ und „Die Liebe der Danae“. Am Ende seines Lebens ging Strauss sogar so weit, sich selbst als „Griechischen Germanen“ zu bezeichnen.
In „Elektra“ sind alle Protagonist*innen der Tragik ihres Lebens restlos ausgeliefert. Sie werden beherrscht von ihren Alpträumen, Rachegedanken, Mord- und Todesgelüsten. Denn in nunmehr fünftem Geschlecht lastet ein Fluch auf der Familie: Ein einstiger Mord muss in jeder folgenden Generation durch einen weiteren Mord gesühnt werden. Während sich Elektras Schwester Chrysothemis nichts sehnlicher wünscht als ein „normales“ Leben mit Mann und Kind („Ich will leben, ein Leben mit Mann und Kindern, will den Mord vergessen lassen“), ist Elektra tief erfüllt von Rachegedanken: Ihr geliebter Vater Agamemnon ist nach der Rückkehr aus dem Trojanischen Krieg hinterrücks vom Geliebten Aegisth ihrer Mutter Klytämnestra ermordet worden. Seitdem sinnt Elektra auf Rache. Die soll und wird am Ende auch vollzogen werden durch ihren heimgekehrten Bruder Orest. Doch Erlösung bringt auch dieser (Doppel)Mord nicht.
„Es sind keine Götter im Himmel“, singt Elektra verzweifelt. Jeden Morgen in aller Herrgottsfrühe ruft sie ihren Vater: „Agamemnon. Wo bist du, Vater?“ Es ist die Stunde, wo sie ihn „geschlachtet haben“. Ein blutiges Prunkfest will Elektra feiern, wenn die Rache vollbracht ist. Von der Mutter ist einmal zu hören: „Was die Wahrheit ist, das bringt kein Mensch heraus.“ Elektra will die Mutter sterben sehen, dann braucht sie nicht mehr zu träumen, und die Mutter auch nicht. „Die Tat ist wie ein Bette auf dem die Seele ausruht.“ Sätze wie diese sind es, die Hofmannsthal in sein Libretto hineingeschrieben hat und die niemand so schnell vergisst. Die gesamte Szenerie dieser Tragödie in einem Aufzug spielt sich auf dem Innenhof auf der Rückseite des Palastes ab. Das griechische Blau-Weiß wird hier aufgegriffen. Allerdings ist dieses Blau nicht leuchtend, sondern matt und Grau(blau). Die Fenster und Türen des Palastes bleiben dunkel, sind mit Vorhängen verhüllt. Einmal erscheint die Mutter am diesmal erhellten Fenster - kurz bevor sie ermordet wird. In diese dunkle Tragödie von Tod und Todesnähe bringen die spielerisch und musikalisch wunderbar agierenden Mägde mit ursprünglicher Vitalität Licht und Leben ins Spiel. Überhaupt: Spielerisch und sängerisch ist dieser Abend eine reine Freude – trotz der tragischen Geschehnisse. Opernlegende Brigitte Fassbaender hat in Lübeck als Regisseurin hervorragende Arbeit geleistet: Jede Bewegung auf der Bühne, jede Geste der Handelnden ist austariert, alles stimmt, ist stimmig. Das gilt für den ganzen Abend.
Schon beim Hören der ersten Takte wird deutlich, welch großartige Komposition dieser Inszenierung zugrunde liegt: eine im mozartschen Duktus verdichtete Klangwelt eines Gustav Mahlers ohne dessen minutiöse Dynamik-Ausführungshinweise. Was für eine Freiheit, aber auch was für eine Verantwortung für den Dirigenten! Denn nur in steter Dynamik-Ausbalancierung kann es gelingen, aus der dichten Partitur eine transparente musikalische Kathedrale, sozusagen eine „Sagrada Familia“ zu bauen. Und das gelingt Stefan Vladar höchst überzeugend, auch durch einen Dirigierstil, der ganz an das Dirigat des späten Komponisten Strauss erinnert: sparsam, musikalisch-ökonomisch, hochpräzise und praxisfreundlich (z.B. die diffizilen Mägde-Ensemble-Einsätze).
Und das große Orchester? Großartig! Elastisch, elegant und energisch, wo es energisch zu sein hat. Verspielt in floraler Motivik, zart in den wunderbaren Soli, stählern in der Todesmotivik, immer zugewandt - auch dem Publikum. Vor allem aber dem Dirigenten. Sollte Vladar auch hier gelungen sein, was anderen nicht (immer) gelingt? Das harmonische Zusammenführen divergierender Flügel kraft seiner natürlichen musikalischen Autorität? In sympathischer Leidenschaft versteht Vladar es, den kräftigen Orchesterklang mit dem Vokalklang auf der Bühne auszugleichen. Ein „Grabenkrieg“ wird somit ausgeschlossen. Karajan hat einmal gesagt, auf Grund der hohen Zahl an Ausführenden sei es nahezu unmöglich, zu einem bestimmten Zeitpunkt eine ideale Gesamtbesetzung für eine Opernaufführung zu finden. Umso bemerkenswerter ist es, wie hoch in Lübeck auch das Niveau der kleineren Partien ist. Welche Klang- und Spielfreude ist an diesem Abend, in dieser „Elektra“ zu hören und zu sehen, welche Strahlkraft zeigen die Mägde und was für großartigen Solisten sind hier am Werk!
Trine Møller (Elektra) und Lena Kutzner (Chrysothemis) sind sowohl stimmlich als auch schauspielerisch einzigartig: Dynamisch differenziert und dramatisch gesteigert erfüllt Trine Møller die Rolle der Elektra. Selten erlebt man auf der Opernbühne eine solche Rollenidentifikation. Ebenbürtig präsent und klangschön schlüpft Lena Kutzner in die Rolle der Schwester. Auch Edna Prochnik als Königin und Mutter Klytämnestra überzeugt durch ihre hohe sängerische und darstellerische Wandlungsfähigkeit. Bemerkenswert ist auch die sofortige Bühnenpräsenz der Sänger*innen in Partien kleineren Umfangs. So ist Wolfgang Schwaninger als Aegisth entschlossen klar, der färöische Bass Rúni Brattaberg als Orest überzeugt mit warmem Registerausgleich. Bravo!
Richard Strauss: „Elektra“
Weitere Termine:18.02, 16.00 Uhr, 22.03, 28/03, jeweils 19.30 Uhr, 07.04, 18.00 Uhr, 12.04, 19.30 Uhr, im Theater Lübeck, Großes Haus, Beckergrube 16, in 23552 Lübeck.
Musikalische Leitung: Stefan Vladar
Inszenierung: Brigitte Fassbaender
Bühne & Kostüme: Bettina Munzer
Chor: Jan-Michael Krüger
Licht: Falk Hampel
Dramaturgie: Jens Ponath
Mit: Edna Prochnik, Trine Møller, Lena Kutzner, Wolfgang Schwaninger, Rúni Brattaberg, Laurence Kalaidjian, Natalia Willot, Elvire Beekhuizen, Noah Schaul, Changjun Lee, Elizaveta Rumiantseva, Therese Fauser, Laila Salome Fischer, Frederike Schulten, Andrea Stadel; Chor des Theater Lübeck; Statisterie des Theater Lübeck; Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck.
Dauer: ca. 1 Stunde, 45 Minuten (keine Pause)
Theaterkasse Tel.: 0451- 3996 00. Tickets auch bei allen bekannten Vorverkaufsstellen
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