Musik
„Fruehlingsstuerme“. Wiederkehr nach 90 Jahren Dornroeschenschlaf an die Komischen Oper Berlin

Mit begeistertem Applaus honorierte das Premierenpublikum die Wiederaufführung von Jaromír Weinbergers Operette “Frühlingsstürme“ an der Komischen Oper Berlin.
90 Jahre ruhten die Frühlingsstürme. Die Originalpartitur blieb ebenso wie die Orchesterstimmen bis heute verschollen. Erhalten sind lediglich der gedruckte Klavierauszug und das detaillierte Regiebuch samt Libretto. Auf Grundlage dieses Materials und 1933 eingespielter Schallplattenaufnahmen einzelner Nummern hat Norbert Biermann mehr als zwei Jahre an der Rekonstruktion der Partitur gearbeitet und die Operette zum Teil neu arrangiert.

Intendant Barrie Kosky und Dirigent Jordan de Souza hauchen nun diesem Werk in der Neuinszenierung an der Komischen Oper Berlin neues, pralles Leben ein. Der jüdische Komponist schrieb das Stück dem damaligen Startenor Richard Tauber auf den Leib. Jetzt erfüllt Tenor Tansel Akzeybek mit seiner in allen Stimmungen überzeugenden Stimme voll und ganz die Rolle des Ito, dessen Liebe zu Lydia unerfüllt bleibt, weil die Politik dieses verhindert. Politik und Liebe stehen im Mittelpunkt in dieser Operette, die mehr ist, als das Genre vermuten lässt: Sie ist auch eine Freude für Opernfreunde, für Liebhaber des Revue-Theaters und für Jazz-Fans.

„Fruehlingsstuerme“. 01Dies alles ist auch dem großartigen Team an der Seite von Barry Kosky und Dirigent Jordan de Souza zu verdanken: Bühnenbildner Klaus Grünberg, Kostümdesignerin Dinah Ehm, Choreograph Otto Pichler, Dramaturg Ulrich Lenz, Komparserie und Orchester der Komischen Oper, großartige Sänger und Sängerinnen und ein Schauspieler, der bei der Premiere alle Register seines Könnens zog. Dass ein Schauspieler – in diesem Fall Stefan Kurt – eine Hauptrolle in einer Operette hat, ist eine der Besonderheiten, die diese Operette in ihrer Kombination von ernsthaftem Stoff und leichter Komödie zu bieten hat. Barry Kosky: „Es gibt in dieser Operette eine latente Unruhe und Unsicherheit, ein alle Beziehungen und Begegnungen durchziehendes fundamentales Misstrauen. Keiner vertraut dem anderen. Das ist höchst ungewöhnlich für eine Operette.“

Ungewöhnlich ist auch, dass die Zuschauer ein echtes Feuerwerk auf der Bühne erleben. Dies, nachdem bereits ein sänger- und darstellerisch großartiges Feuerwerk über sie ergangen ist. Mit wunderbaren Sängern und Sängerinnen, mit liebreizenden Tänzerinnen in Straußenfedern auf rosaroter Treppe, mit großartigem – zum Glück längerem - Slapstick-Spiel-Einsatz von Stefan Kurt: Auf die Angebetete wartend ringt er für seinen bevorstehenden Heiratsantrag um die richtigen Worte und Gesten, um die richtige Verfassung und das richtige Verfahren. Hinzukommen Hotel-Drehtüren, die samt Pagen, Koffern und Sängern ständig in Schwung sind und vieles andere mehr. Das alles spielt sich in einem Holzkasten auf der Bühne ab, der sich wie ein Zauberkasten ständig verwandelt, immer der Handlung entsprechend.

„Fruehlingsstuerme“. 02Die Handlung gestalten: als Chinesen verkleidete japanische Spione im Hauptquartier der russischen Heeresleitung, deren Chef General Wladimir Katschlakow (Stefan Kurt), die junge Witwe Lydia (Vera-Lotte Boecker) aus St. Petersburg, die das Blut der Offiziere in Wallung bringt und ihre brennende Leidenschaft für den japanischen Offizier Ito (Tansel Akzeybek) kaum zügeln kann, ein kalauernder deutscher Reporter (Dominik Köninger), der mal zum Koch, mal zum Zauberer mutiert und mit allen Finessen die frech-vorlaute Tochter Tatjana (Alma Sadé) des Generals zu umgarnen sucht. Sie sind die schmackhaften Zutaten dieser eigenwilligen, mitten im Japanisch-Russischen Krieg von 1904/05 spielenden Operette. „Frühlingsstürme“ ist der Name der Operette, aber auch das von General Katschalow ausgegebene Losungswort, mit dessen Hilfe der japanische Major Ito die russische Frontlinie passieren will, was allerdings misslingt.

Hinter den oft komisch-heiter wirkenden „Frühlingsstürmen“ stehen zwei tragische Geschichten. Zum einen ist es die politische Situation der 30er Jahre, zum anderen das persönliche Schicksal des Komponisten: Während die Nationalsozialisten mit Fackelzügen durch das Brandenburger Tor marschieren, jüdische Künstler und Künstlerinnen ihre Anstellungen verlieren und wenige hundert Meter entfernt der Reichstag brennt, lässt sich das Theaterpublikum im Berliner Admiralspalast am 20. Januar 1933 von Jaromír Weinbergers „Frühlingsstürmen“ in ein weit entferntes Fantasie-China entführen. Nur zwei Monate später, am 12. März 1933, fällt unter den neuen Machthabern der letzte Vorhang für dieses musikalische Verwirrspiel um Liebe und Politik und das Stück gerät in Vergessenheit.

„Fruehlingsstuerme“. 03Nicht weniger dramatisch ist die persönliche Geschichte des jüdischen Komponisten Weinberger (1896 – 1967), der vor dem nationalsozialistischen Regime zunächst nach Frankreich und später in die USA floh. Hier lebte er unter schwierigen finanziellen Bedingungen, zumal ihm keine Tantiemen ausgezahlt wurden. Seine Mutter und Schwester waren von den Nazis ermordet worden; seine großen Erfolge gerieten in Vergessenheit. Zwar komponierte er weiter, doch ohne Erfolg. Weinberger erlitt einen Nervenzusammenbruch, einen Herzinfarkt und litt unter Depressionen. Er zog sich aus der Öffentlichkeit zurück, gab das Komponieren auf und nahm sich nach mehreren Klinikaufenthalten 1967 mit Schlaftabletten das Leben.

Tragisch ist auch der Geschichtsverlauf der „Frühlingsstürme“. Dies, obwohl Richard Tauber kurz nach der Premiere Nummern des neuen Werkes auf Schellackplatten aufnahm. Dies, obwohl einige Lieder und das Regiebuch bereits während der Probenphase in Druck gingen. Dies, obwohl alles getan wurde, die neue Operette nach dem großen Erfolg von Weinbergers 1927 uraufgeführter Volksoper „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ ebenfalls weltweit zu vermarkten. Die Nazis durchkreuzten alle diesbezüglichen Pläne: Richard Tauber wird nach einer Vorstellung von „Frühlingsstürme“ vor dem Hotel Kempinski am Berliner Kurfürstendamm von SA-Männern niedergeschlagen. Am 12. März fällt der letzte Vorhang für das Stück. Fünf Tage später verlässt Tauber Deutschland. Weinberger flieht ebenfalls.

Jetzt bildet die Wiederaufführung von „Frühlingsstürme“ den Auftakt zu einem Weinberger-Schwerpunkt an der Komischen Oper Berlin, der im März mit einer Neuproduktion des vergessenen Welterfolgs „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ und einem Festival seine Fortsetzung findet. „Frühlingsstürme“ unterscheidet sich strukturell von vorangegangenen Werken des Genres, wenn auch das Libretto von Gustav Beer Einflüsse zeigt von Lehárs „Land des Lächelns“, Puccinis „Madame Butterfly“ und Paul Abrahams „Viktoria und ihr Husar“. Es gibt lediglich vier Gesangsrollen, der Chor spielt eine untergeordnete Rolle, große Tanznummern fehlen und die fünfte Hauptrolle ist eine reine Sprechrolle - und dennoch fehlt nichts, ist alles vollkommen.

Das großartige Orchester spielt unter seinem Dirigenten Jordan de Souza mit differenzierter Klangvielfalt, rhythmisch präzise, dynamisch abgestuft, in jedem Stil zu Hause, auf der Grundlage einer meisterlich gelungenen Rekonstruktion der Partitur. Hier fügen sich die vier außergewöhnlich gut besetzte Gesangspartien wunderbar ein: ein schmeichelnder, spielfreudiger Bariton (Dominik Köninger als Kriegsberichterstatter Roderich), eine temperamentvolle Generalstochter (Alma Sadé als Tatjana), eine technisch-musikalisch glänzende, ausdrucksstarke und stilsichere Dame von Welt (Vera-Lotte Boecker als Lydia) und ein schlanker, ernsthaft musizierender, beeindruckender Tenor (Tansel Akzeybek als japanischer Generalstabsoffizier Ito). Last but not least: ein in allen Bereichen perfekt agierender General (Stefan Kurt als Wladimir Katschalow). Unbedingt hingehen, ansehen und anhören!

Frühlingsstürme

Operette [1933, deutsch] in drei Akten von Jaromír Weinberger
an der Komischen Oper Berlin
Inszenierung: Barry Kosky
Choreographie: Otto Pichler
Bühnenbild und Licht: Klaus Grünberg
Co-Bühnenbildnerin: Anne Kuhn
Kostüme: Dinah Ehm
Dramaturgie: Ulrich Lenz

Weitere Termine von „Frühlingsstürme“
8., 13. und 23. Februar, 1.,12.,28 und 31. März, 5., 10. und 19. April sowie 24. und 30. Juni 2020
Karten: Preise: 12 bis 98 €
Kartentelefon: (030) 4799 7400
Mo bis Sa: 9 bis 20 Uhr, So und Feiertage: 14 bis 20 Uhr
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www.komische-oper-berlin.de

YouTube-Video:
Frühlingsstürme | Show it, Jordan de Souza! | Komische Oper Berlin


Abbildungsnachweis:
Alle Fotos Iko Freese / drama-berlin.de
Header und Galerie: Szenenfotos „Frühlingsstürme“

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