Auch wer diese Wiederaufnahme bereits erlebt hat: die drei Kurzopern von Ernst Křenek an der Frankfurter Oper sind einen erneuten Besuch wert. Das Regiekonzept von David Hermann funktioniert im Zusammenspiel mit dem Bühnenbild von Jo Schramm perfekt, bietet szenischen Genuss pur.
Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester brilliert unter der Leitung von Lothar Zagrosek, lässt Křeneks Musik farbig und kontrastreich erklingen. Die Frankfurter Produktion, in der Regisseur David Hermann mit einer inhaltlichen Verknüpfung der Werke einen Bogen vom Aufstieg und Fall eines Diktators spannt, wurde bei den International Opera Awards 2018 als Wiederentdeckung des Jahres ausgezeichnet. Das liegt mit Sicherheit auch an Lothar Zagrosek, der bereits mehrere Opern des Komponisten einstudierte und alle Sinfonien Křeneks auf Platte aufgenommen hat.
In politischer Voraussicht nimmt Ernst Křenek 1928 mit seinen drei Einaktern laut Theodor W. Adorno „nicht bloß seine Zeit, sondern auch die musikalische Geschichte vor den Zeitraffer“. Gleich dreimal scheint sich der Komponist textlich wie musikalisch neu zu erfinden: Auf die tragische Oper „Der Diktator“ und ihre an Shakespeare erinnernde Figurenkonstellation folgen in der burlesken Operette „Schwergewicht oder Die Ehre der Nation“ Modetänze, rasante Pointen und ein typisches Komödienpersonal rund um den Boxer Adam Ochsenschwanz. Der Märchenoper „Das geheime Königreich“ gibt Křenek ein romantisierendes Klangvolumen und stellt dem guten, aber weltflüchtigen König nicht nur einen Narren, sondern mit einer kapriziösen, Koloraturen singenden Königin samt drei Damen gleich ein paar altbekannte Theatergestalten zur Seite. Wir kennen sie aus Mozarts „Zauberflöte“. Aber auch andere stilistische Anleihen sind erkennbar, beispielsweise bei Richard Strauss, Puccini, Schubert und Schreker.
Křenek selbst hat hierzu geäußert: „Mit dem ersten Einakter trat ich schamlos in Puccinis Fußstapfen. Im zweiten schwelgte ich in einem süßlich romantischen, eher Vor-Wagnerischen Stils, ein wenig „atonal“ gewürzt, Schubert nachkommend. Im letzten Stück schrieb ich nach Herzenslust Pasodobles, Tangos, Blues und alle solche Sachen.“ Statt „Bauhaus-Barock“ oder mit „Jazz zu flirten“, wie Glenn Gould Křeneks Kompositionsstil einst nannte, entfaltet sich im Graben der Frankfurter Oper die vielschichtige und ungewöhnliche Musik des österreichischen Komponisten, die beileibe nicht ausschließlich von musikalischen Zitaten lebt, sondern einen ganz eigenen Stil schafft. Außerdem zitiert Křenek nie wörtlich, sondern inhaltlich. Das schafft musikalische Vielfarbigkeit. Sie durchzieht den Abend. Der Chor der Frankfurter Oper ist dabei leider nur einmal hören: In das „Geheime Königreich“ bereichert er die stimmige Atmosphäre.
Den Anfang des kurzweiligen Opernabends macht die tragische Oper „Der Diktator“, eine Geschichte von Aufstieg und Fall, von Macht, Liebe und tödlicher Eifersucht. Eine weiße Wand nimmt fast das gesamte Bühnenbild ein. Vier Stühle machen den Rest aus. „Wie schön ist die Welt“, singt Charlotte, Ehefrau des Diktators vor diesem Bühnenoutfit. Sie selbst trägt bei ihrem ersten Auftritt einen weißen Pullover mit bestickten Hirschen. „Man könnte denken, es sei Frieden auf der Erde“, singt sie. Doch die Wirklichkeit ist eine andere: Im Urlaub unterzeichnet der Diktator eine neue Kriegserklärung. Vergeblich versucht seine Frau Charlotte ihn davon abzubringen. Die weiße Wand färbt sich braun. „Gewalt erzielt Gewalt“, heißt es nun. Ein Motto, das den Abend durchziehen wird.
Längst hat der Herrscher ein Auge auf die schöne Maria im mit Pelzärmeln ausgestatteten Stoffmantel geworfen, deren Mann bei einem feindlichen Giftgasangriff das Augenlicht verlor. „Licht. Licht“, ruft er. „Ich kann nichts mehr sehen.“ Weil das so ist, will Maria den Diktator töten. Und wenn sie das tut, will ihr Mann sie „mehr lieben als sie es jemals erlebt hat.“ Dreimal legt Maria die Pistole auf den Diktator an. Dreimal fällt ein Schuss. Dreimal trifft Maria tödlich. Doch der Herrscher stirbt nicht, richtet sich immer wieder auf. Und schon wandeln sich Marias Gefühle, kommt Lust, Leidenschaft, Bewunderung für den Diktator auf. Da eilt die rasende Ehefrau herbei, greift nach der Waffe und trifft Maria. Ob tödlich, bleibt offen.
In der zweiten Kurzoper, in der burlesken Operette „Schwergewicht oder die Ehre der Nation“, begegnen wir einem Wanderer zwischen verschiedenen Welten. Der Diktator wohnt einer Theatervorstellung bei. Auf der Bühne ist eine Bühne aufgebaut. Das Bühnenpublikum sitzt mit dem Rücken zum Publikum im Opernsaal. Auf dem Spielplan dort oben steht eine Komödie um den Meisterboxer Adam Ochsenschwanz, dessen Frau Evelyne und deren Tanzlehrer und Liebhaber Gaston für den „Weltrekord im Tanzen“ trainieren. „Die Welt steht uns offen. Die Liebe ist Spiel“, singen die beiden Ehebrecher, die den verhassten Diktator alias Meisterboxer erledigen wollen. Unter den misstrauischen Augen des Militärs gelingt es ihnen letztendlich, den Tyrannen in einer Art Riesenrad, das an ein Hamsterrad erinnert, festzuschnallen. Plötzlich hat Adam Ochsenschwanz eine Ladung Sprengstoff in der Hand. Mit einer Explosion endet das Stück, das inszeniert wird als beschwingter Tanzabend. Dies mit Hilfe der zitierten Jazz- und Unterhaltungsklänge, die Křenek spielerisch aufbricht.
In der Märchenoper „Das geheime Königreich“ dringt Revolutionsgeschrei von draußen herein. Drinnen, das ist ein offenes Gebäude, eine Ruine, dessen Dach komplett zerstört ist, dessen Wände grünlich-schimmelig sind, an deren Seiten sich rostige Etagenbetten befinden. Der wegen des fehlenden Daches offene Himmel ist sternenlos. In der Ruine sitzt der deprimierte Despot, der sich nun König nennt und erzählt dem Narren – der übrigens in allen drei Opern eine sich wandelnde Rolle spielt - verzweifelt, er habe als Herrscher versagt. „Narr, ich habe eine falsche Macht“, singt er. Noch steht der Champagner auf dem Tisch. Noch scheint die gute alte Zeit nicht ganz vergangen. Noch kehrt die ehemals treue Gattin mit prall gefüllten Designertüten ins ehemals traute Heim zurück. Doch längst hat sie es auf die Krone abgesehen, ist nicht nur die Ehe zerstört. Die Königin hat sich inzwischen in den gefangenen Rebellenführer verliebt, der ebenfalls nach der Krone schielt. Doch die hat inzwischen der Narr.
Nun treten drei Damen auf Veranlassung der König szenisch und sängerisch auf den Plan. Sie bieten dem Narr vergifteten Wein an und luchsen ihm beim Kartenspiel die Krone ab, die nun der Königsgattin gehört. Das Verwirrspiel nimmt seinen weiteren märchenhaften Verlauf. Bis sich Königin, König, Narr und Rebell im Wald wieder begegnen und das Ende naht. Eingeleitet wird die den Abend abschließende Waldszene, bevor sich der Vorhang zum letzten Mal öffnet, durch ein musikalisches Zwischenspiel, das wunderbar überleitet und vorbereitet auf den letzten Akt im Märchenwald.
Bäume und die Menschen spiegeln sich im Spiegelbild des Waldes. Denn die Bühnenrückwand bildet ein großer Spiegel. Auf unterschiedliche Weise sind König und Königin, Narr und Rebell nun mit der Natur vereint. Macht und Witz, König und Narr tauschen ihre Kleider. Die Königin verwandelt sich in einen Baum. Der König will nur noch über die Natur herrschen. Der Narr schlängelt sich derweil durchs Gebüsch. Der Rebell ist der einzige, der sich nicht befreien kann. Er muss zurück in jenes System, das er eben noch stürzen wollte. Am Ende siegt die Komödie über die Tragödie, macht sich lustig über das Spiel mit der Macht und der Liebe. Die Musik greift diese Leichtigkeit auf.
Křenek selbst, der nicht nur die Kompositionen schrieb, sondern auch die Libretti, hat die drei Einakter angeblich unabhängig voneinander geschrieben und erst rückblickend von einem verbindenden Element gesprochen: der menschlichen Machtentfaltung. Dies geschieht in den verschiedensten Facetten. In der ersten dieser drei Kurzopern ist es die Machtentfaltung des Diktators als Despot und Tyrann. In der zweiten Oper wird der „Starke“ karikiert. In der dritten Oper ist es eher eine Machtentfaltung nach innen, ein vermeintliches Entdecken von inneren Werten.
Die 1928 uraufgeführten Stücke werden heute leider nur selten gespielt. Die Oper Frankfurt hat gut daran getan, die drei Kurzopern zu inszenieren. Parallelen zu unserer Zeit liegen auf der Hand. Auch die Frage, warum einige Menschen zu Machtmenschen geeignet sind und andere nicht. Eine Frage, die schon Křenek selbst umtrieb. Wie war das noch? Was erkennen König und Königin, Narr und Rebell im Spiegelbild des Waldes? Sie erkennen nichts.
Drei Kurzopern von Ernst Křenek (1900-1991)
DER DIKTATOR
Tragische Oper In einem Akt / UA 1928
SCHWERGEWICHT ODER DIE EHRE DER NATION
Burleske Operette In einem Akt / UA 1928
DAS GEHEIME KÖNIGREICH
Märchenoper In einem Akt / UA 1928
Text von Ernst Křenek.
Weitere Infos und Termine
Abbildungsnachweis:
Header-Szenenfoto: Barbara Aumüller
Aus: Der Diktator
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