So kurzweilig, so fesselnd erklang Wagners „Ring des Nibelungen“ lange nicht mehr wie kürzlich in Dresden mit Christian Thielemann und der Sächsischen Staatskapelle.
Das Abendrot über der Semperoper, opulent, fast drohend, flammendrot wie aus der Kulissenmalerei, ist verschwunden. Und der fast leergefegte Dresdner Theaterplatz wieder düster, kaum etwas deutet darauf hin, das hier gleich ein Musikereignis beginnt, für das Wagner-Fans vor einem Jahr lange Schlange standen, um Karten zu bekommen. Genau einen Tag dauerte der Vorverkauf in der Schinkelwache, dann waren die beiden Zyklen von „Der Ring des Nibelungen" komplett ausverkauft. Es war ja auch nicht irgendein „Ring“, sondern „Der“ Ring mit Christian Thielemann am Pult der Sächsischen Staatskapelle und einem Sänger-Ensemble, das zu großen Teilen Bayreuth-gestählt ist.
Die Zuhörer strömen, von der Kälte getrieben, in die Semperoper, und drinnen spürt man das internationale Flair: Japaner, Spanier, Italiener, Amerikaner und Briten, Franzosen, Holländer, Chinesen – da kommt in den Foyers und Gängen schon ein Hauch von Bayreuth auf. Zwar gilt der Aufmarsch keiner neuen Inszenierung, Willy Decker brachte diesen Ring schon 2001 bis 2003 auf die Dresdner Bühne. Aber nun ist es das erste Mal, dass Thielemann alle vier „Ring“-Opern hier aufführt – je vier Abende innerhalb einer Woche. Und natürlich möchte die Musikwelt wissen: Wie schlägt sich der Bayreuther Musikdirektor, seit sechs Jahren Herr am Dresdner Pult, frei von den Zwängen und Querelen am Grünen Hügel?
Ultrahomogene Streicher, wuchtiges Blech
Die Uhr oben im Bühnenportal dreht sich in Fünf-Minuten-Schritten den ersten Tönen aus der Tiefe des Rheines entgegen, und man ahnt: Sie wird die Zeit unendlich und fürchterlich dehnen, wenn hier auch nur die geringste Spur von Langeweile aufkommt. In sechs Tagen wissen wir mehr. Applaus, Thielemann, Start.
„Wunderharfe“ hat Richard Wagner die Sächsische Staatskapelle genannt, 1548 wurde sie gegründet, kein deutsches Orchester existiert länger. Gemeinsam mit Thielemann dauert es nicht lange, bis aus dem Orchestergraben zauberhafte Töne aufsteigen. Ein unerhört feiner, bis aufs Hertz ultrahomogener Streicherklang, eine Blechgruppe, die geradezu physische Wucht ausüben kann, die beim Zuhörer den ganzen Körper vibrieren lässt, aber auch Akkorde sanft ganz sanft weben kann. Trompeten, die wie Schwerter schneiden können, Holzbläser, die jedem das Herz schmelzen lassen, oft schon kammermusikalisch fein ziseliert, dann wieder, hart, kantig, fordernd.
Das ist ein vollständig anderer Wagner hier im offenen Orchestergraben der Semperoper als im überdeckten des Bayreuther Festspielhauses – Thielemann arbeitet die Feinheiten von Wagners Partitur und Instrumentationen glasklar heraus und baut mit Instrumenten und Stimmen einen schillernden Klangkosmos zwischen Liebe und Tod, immer getragen von der Hoffnung aufs Neue. Weggeblasen ist alle Bräsigkeit, alle aufgeplusterte Germanengöttergroßmannssucht.
Ja, Thielemann wohl ist der beste „Ring“-Dirigent zurzeit. Er, der da vor dem Orchester steht, das einst von Heinrich Schütz, Johann Adolf Hasse, Carl Maria von Weber und Richard Wagner selbst geleitet wurde, dirigiert mit Leidenschaft, Detailversessenheit, allgegenwärtiger Aufmerksamkeit, wo nötig und ruhigem Fließen-Lassen, wenn möglich. Er lässt den Sängerinnen und Sängern instrumentale Unterstützung zuteil werden, mit weit mehr Präzision, als sie der nuschelnde Mischklang von Bayreuth fordert. Thielemanns Orchester hebt und trägt die Sänger je nach deren eigenem Vermögen.
Das gilt für den gnadenlosen, stahlscharfen Siegfried-Tenor der „Götterdämmerung“ von Andreas Schager ebenso wie für den kräftigen, in warmen Farben leuchtenden Sopran von Petra Langs Brünnhilde in der „Walküre“, den trägt er doppelt, als im Schlussspurt der „Götterdämmerung“ die Riesenpartie kräftemäßig ihren Tribut zollt. Es gibt viele stimmliche Lichtblicke: den bodenlos bösen Alberich von Albert Dohmen, den hellen, frechen, bissigen Loge von Kurt Streit, die Fricka von Christa Mayer, die in „Siegfried“ die mahnende Urmutter Erda übernahm, der schwarz-bassige Hunding von Georg Zeppenfeld, und natürlich der „Siegfried“-Siegfried von Stephen Gould – es ist, als hätte man eine Bayreuther Besetzungsliste vor sich.
Bei Thielemann klingt Wagner fließender, melancholischer, menschlicher
Überlegen, gelassen folgt Thielemann einem Gesamtkonzept, das nicht von Männergetue und hartem Kampf geprägt wird, sondern getrieben wird von Sehnsüchten, verborgenen Wahrheiten, von Zartheit und Bangen und einschnürenden Ängsten. Das Zusammenspiel zwischen Instrumenten und Sängersolisten erklingt bei ihm weicher, fließender und auch melancholischer, menschlicher. Zwar hat auch Thielemann seine unbedingten Saft- und Kraft-Momente, seine Riesen erzeugen kleine Erdbeben mit jedem Schritt, beim Walkürenritt bangt man ums Gemäuer. Mehr noch folgt man aber – und das ist ausgesprochen kurzweilig – den allzu menschlichen Intrigen, den Fehlplanungen von Göttern und Menschen, dem unaufhaltsamen Sog auf das böse Ende zu.
Das erscheint bei Decker dann gar nicht so böse – Wotan und Erda erscheinen nochmals, stumm, und fast denkt man, es könne doch gleich wieder von vorn beginnen, was da eben als Fehlkalkulation Wotans so furios zusammengebrochen ist. Es ist ein reduzierter „Ring“ (Bühnenbild Wolfgang Gussmann), nur die Bühne ist vollgestellt mit Gestühlreihen, die nur selten bedeutungstragend werden dürfen – etwa, wenn sie sich als Drache Fafner hoch aufbäumen, oder wenn Loge sich abseits der Vorbereitungen zum Einmarsch der Götter in ihren Burgen-Neubau in die Sitzreihe lehnt, als würde er nun einem Film mit erwartbarem Ende zuschauen, selbst nur noch bedingt beteiligt. Sonst werden diese Sitzreihen immer mal wieder zu bösartigen Hindernissen für die Sänger, die nicht nur singen und spielen, sondern auch risikoreich klettern müssen, was etwa Stephen Gould fast zum Verhängnis wurde.
Decker reduziert, seine Inszenierung ist zeitlos, ohne große Ablenkung in den Bildern. Nur am Ende der „Götterdämmerung“ verpuffen Spannung und Dramatik etwa zu sehr, und beinahe kommt der Moment, wo man doch noch versucht ist, die Uhr im Bühnenportal zu konsultieren, die man fast vier Abende lang fast vergessen hatte. Es gab ja auch andere Ablenkung, und da wunderbar wenige Patzer aus dem Orchester kamen, fielen die Rumpeleien der Bühnentechnik um so mehr auf, die immer besser hörbar wurden, je leiser die Staatskapelle ihre Klänge zauberte.
Was im Gedächtnis bleibt, sind weniger die bekannten „Best-of“-Stellen des Rings. Auch wenn Momente wie Wotans leidenschaftlicher Abschiedskuss vor der Bestrafung von Brünnhilde das Herz stocken lassen. Es bleibt vielmehr ein großartiges, lebendiges, packendes Universum von Wagners Musik, eines, das feinste Nuancen der Handlung unterstreicht, ein ganz schlanker, hochtransparenter „Ring“, der vom ersten Takt an gefangen nimmt und die Zuhörer auch am Ende nur langsam wieder freigibt. Der Beifall ist grandios, Thielemann hat offenbar viele lautstarke Fans im Publikum.
Wenn denn eine zeitgemäße Erneuerung des Wagnerschen Traums vom Musiktheater Erfolg haben sollte, dann könnte es so gelingen wie hier in Dresden und mit Thielemann, ausgehend vor allem und immer wieder von Wagners Musik.
Wagner „Ring des Nibelungen“ in Dresden mit Christian Thielemann / Sächsischen Staatskapelle
Weitere Informationen zur Semperoper Dresden und Programm.Abbildungsnachweis: Alle Fotos: © Klaus Gigga. Semperoper Dresden, Der Ring des Nibelungen
Header: Rheingold Christiane Kohl (Woglinde), Simone Schröder (Flosshilde), Sabrina Kögel (Wellgunde), Janina Baechle (Erda).
Galerie:
01.Rheingold: Vitalij Kowaljow (Wotan), Karl-Heinz Lehner (Fafner)
02. Rheingold: vorn: Janina Baechle (Erda), hinten: Tansel Akzeybek (Froh), Christa Mayer (Fricka), Derek Welton (Donner), Vitalij Kowaljow (Wotan), Regine Hangler (Freia)
03. Walküre: Peter Seiffert (Siegmund), Elena Pankratova (Sieglinde)
04. Walküre: Vitalij Kowaljow (Wotan), Petra Lang (Brünnhilde)
05. Siegfried: Gerhard Siegel (Mime), Vitalij Kowaljow (Wanderer)
06. Siegfried: Vitalij Kowaljow (Wanderer), Christa Mayer (Erda)
07. Götterdämmerung: Andreas Schager (Siegfried), Petra Lang (Brünnhilde)
08. Götterdämmerung: Stephen Milling (Hagen), Chor
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