Fremde unter Fremden – Else Lasker-Schüler – eine Jüdin in Deutschland
- Geschrieben von Christel Busch -
Das Ernst Barlach Museum in Ratzeburg widmet der deutsch-jüdischen Literatin Else Lasker-Schüler eine Ausstellung, die sie gleichermaßen als Wortkünstlerin und Bildkünstlerin, als Malerin und Zeichnerin würdigt.
Fotografien, Zeitdokumente, Gedichte und Texte sowie Illustrationen zeichnen den literarisch-künstlerischen Lebensweg von Else Lasker-Schüler nach. Vor siebzig Jahren im Exil in Jerusalem verstorben, gilt sie heute als bedeutende Vertreterin expressionistischer Literatur und der avantgardistischen Moderne. Ihr bildnerisches Œuvre ist dagegen weitgehend in Vergessenheit geraten. Mit ihrem extravaganten Lebensstil sorgt sie im Berlin der wilhelminischen Kaiserzeit und der Weimarer Republik für Skandale. Wer ist diese Frau, die die traditionelle Frauenrolle der bürgerlichen Gesellschaft ablehnt und sich für freie Liebe, Verhütungsmittel und die Abschaffung des Abtreibungsparagrafen 218 einsetzt?
„Ich bin in Theben (Ägypten) geboren, wenn ich auch in Elberfeld zur Welt kam, im Rheinland. Ich ging bis elf Jahre zur Schule, wurde Robinson, lebte fünf Jahre im Morgenlande, und seitdem vegetiere ich", beschreibt sie 1919 in der von dem Schriftsteller Kurt Pinthus herausgegebenen expressionistischen Lyrikanthologie „Menschheitsdämmerung" ihr Leben.
Zu diesem Zeitpunkt blickt Lasker-Schüler auf ein turbulentes, aber auch exzentrisches Leben zurück: Mit 25 Jahren heiratet sie 1894 den jüdischen Arzt Jonathan Berthold Lasker. Sie zieht mit ihm nach Berlin, studiert - bevor sie sich dem Schreiben zuwendet - Malerei bei Simon Goldberg, einem Schüler von Max Liebermann. Kurz nach der Geburt ihres Sohnes Paul, den Namen des Vaters hat sie nie preisgegeben, veröffentlicht sie ihre ersten Gedichte in der Zeitschrift „Die Gesellschaft" von Ludwig Jakobowsky. In rascher Folge erscheinen weitere Gedichte, Essays, Prosatexte und Dramen, die sie in literarischen Kreisen berühmt und zum Liebling der Berliner Avantgarde machen. Durch den Dichter Peter Hille lernt sie die Maler Franz Marc, Oskar Kokoschka und George Grosz kennen sowie die Schriftsteller Richard Dehmel, Erich Mühsam, Karl Kraus, Georg Trakl, Gottfried Benn und andere. Sie wird die gefeierte Muse der Künstler-Bohème, Stammgast im Café des Westens und Königin der Caféhäuser. Mit ihrem schwarzen Pagenschnitt, den weiten Hosen und bunten Gewändern sowie den klimpernden Ketten, Armreifen und Fußglöckchen avanciert sie zum Paradiesvogel der Berliner Bohème. Ihre unbürgerliche Kleidung erregt Aufsehen, so wird sie in München im August 1914 wegen ihrer Aufmachung viermal auf der Straße verhaftet. Hinzu kommt, dass sie mit den Ideen der Lebensreform-Bewegung sympathisiert und sich für freie Liebe, Verhütungsmittel und die Abschaffung des Abtreibungsparagrafen 218 einsetzt. Aus Sicht des konservativen Bürgertums ist das ein Skandal. Nicht weniger skandalös ist ihr freier Lebensstil, sind ihre wechselnden Liebschaften.
Nach der Scheidung von Lasker heiratet sie den Schriftsteller Georg Lewin, der unter dem Pseudonym Herwarth Walden die Zeitschrift des Expressionismus „Der Sturm" herausgibt. Die Ehe scheitert ebenfalls. Die erneute Scheidung stürzt die alleinerziehende Mutter in eine finanzielle und wirtschaftliche Krise, die sie mit Lesungen und Vorträgen, mit Feuilletons in Zeitschriften zu bewältigen versucht. Sie verliebt sich 1912 in den Arzt und Dichter Gottfried Benn, der zwar nicht mit der Exzentrikerin zusammenleben will, aber zeitlebens ihr Freund bleibt. In einem Spendenaufruf in der Zeitschrift „Die Fackel" macht Karl Kraus 1913 auf die Notlage der Dichterin aufmerksam. Franz Kafka, der ihre Gedichte nicht leiden kann und sie für eine überspannte Großstädterin hält, schreibt an seine Verlobte Felice Bauer: „[...] Ja, es geht ihr schlecht, ihr zweiter Mann hat sie verlassen, soviel ich weiß, auch bei uns sammelt man für sie; ich habe 5 K hergeben müssen, ohne das geringste Mitgefühl für sie zu haben; ich weiß den eigentlichen Grund nicht, aber ich stelle mir sie immer nur als eine Säuferin vor, die sich in der Nacht durch die Kaffeehäuser schleppt."
Ständig in Geldnöten, lebt Lasker-Schüler in „ärmlichen Unterkünften und Pensionen oder bei Freunden. Auch ihre erfolgreichen Publikationen, die von Paul Cassirer herausgegebene Gesamtausgabe ihrer Werke, 1919/1920, oder Theben", handgeschriebene Gedichte mit kolorierten Bildern, ändern nichts an ihrer prekären Lebenssituation.
1932 erhält sie für ihr Gesamtwerk den Kleist-Preis, die damals wichtigste deutsche Literaturauszeichnung. Allerdings muss sie sich den Preis mit Richard Billinger, einem Bühnenautor teilen. „Und ich schäme mich, dass ich den halben Kleist-Preis bekam. 750 Mark – 476 Mietschuld sofort bezahlt, etc. Dann tranken wir Burgunder." Der Völkische Beobachter titelt empört „Die Tochter eines Beduinenscheichs erhält einen Kleistpreis" und „Für uns ist, was immer eine Jüdin auch schreibt, vor allem keine deutsche Kunst." Die Vossische Zeitung nennt sie „Die seltsamste aller Gestalten im dichtenden Deutschland".
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten emigriert Lasker-Schüler in die Schweiz, wo sie offizielles Schreibverbot erhält. Inzwischen eine ältere Frau von 64 Jahren, lebt sie unterstützt von Freunden in Zürich und Ascona. Ihre über einhundert in der Berliner Nationalgalerie hängenden Zeichnungen, werden als „Entartete Kunst“ von den Nazis entfernt. Ihre literarischen Werke fallen der Bücherverbrennung auf dem Opernplatz in Berlin zum Opfer. 1938 wird ihr die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. Von der Schweiz aus unternimmt sie mehrere Reisen nach Palästina. Als 1939 der Krieg ausbricht, verweigert die Schweiz der Jüdin ein erneutes Einreisevisum. Sie bleibt in Jerusalem, der letzten Station ihres Lebens. Zwei Jahre vor ihrem Tod erscheint ebendort ihr letzter Lyrikband „Mein blaues Klavier". Sie widmet ihn „Meinen unvergeßlichen Freunden und Freundinnen in den Städten Deutschlands – und denen, die wie ich vertrieben und nun zerstreut in der Welt, In Treue!"
In ihrer autobiografisch geprägten Dichtung beschreibt Else Lasker-Schüler eigene Lebenserfahrungen, die Liebe, ihre Träume und Visionen: Traumwelten voll intensiver, überbordender Gefühle. Ihre Freunde integriert sie in ihre Phantasiewelt, gibt ihnen eigene Namen: Gottfried Benn ist „Giselheer der Barbar", Georg Trakl der „Ritter aus Gold" oder Franz Marc „Der blaue Reiter". Als ihr alter Ego „Prinzessin Tino von Bagdad", „Jussuf Prinz von Theben" oder der Indianer „Blauer Jaguar" stilisiert sie sich zur Herrscherin ihres poetischen Universums, in dem die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Phantasie verwischen. In ihrer lyrischen Sprache – die nicht immer leicht zu lesen ist – mischen sich alttestamentarische, jüdische und christliche aber auch orientalische Elemente.
Wer in der nächsten Zeit nach Ratzeburg fährt, sollte einen Besuch im Ernst Barlach Museum einplanen. Es lohnt sich. Anhand von Zeitdokumenten kann der Besucher Lasker-Schülers Leben, von der Jugend in Deutschland bis hin zu ihrem Exil in der Schweiz und später in Palästina verfolgen. Neben ihren schwarz-weiß Portraits präsentiert das Haus Gedichte für ihre Freunde, die sie mit Porträtzeichnungen komplettiert. „Um seine Schultern schlug er wild das Dickicht; sein schönes Angesicht spiegelte er im Quell und sein Wunderherz trug er oftmals in Fell gehüllt, wie ein schlafendes Knäblein heim, über die Wiesen, wenn er müde war," dichtet sie über Franz Marc.
Mit Franz Marc, den sie zwei Jahre vor dem Ersten Weltkrieg kennenlernt, verbindet sie eine enge Freundschaft und ein reger Briefwechsel, der bis zu seinem Tod im März 1916 in Verdun dauern soll. Das Museum widmet dieser wunderbaren Korrespondenz einen eigenen Raum. „Ich bin Jussuf Prinz von Theben", stellt sich Else Lasker-Schüler in ihrem ersten Brief an Marc vor. „Ich bin aus Galiläa, ging dann nach Bagdad, kam dann nach Theben." Seine knappe Antwort lautet: „Der Blaue Reiter präsentiert Eurer Hoheit sein blaues Pferd". Der blaue Reiter schickt fortan seiner „Sternendichterin" gemalte Postkarten in leuchtenden Tusch- und Aquarellfarben – blaue Pferde, Pflanzen und Tiere. Darunter „Turm der blauen Pferde", eine Vorstudie zu seinem berühmten Gemälde, das heute als verschollen gilt. Als Jussuf Prinz von Theben antwortet Lasker-Schüler dem „gottergeben" Maler mit poetischen und fabelreichen Briefen und Postkarten, die sie mit Zeichnungen, Malereien und Ornamenten – Sterne, Halbmonde, Kronen – illustriert. Von der expressionistischen Malerei inspiriert, übernimmt sie die Strichführung und Farbintensität, von der altägyptischen Kunst das Linksprofil für die Darstellung des Prinzen Jussuf und seines Hofstaates.
An den Wänden erstrahlen ihre Collagen, kolorierte Zeichnungen und Lithographien: Illustrationen zu den Gedichtbänden „Das Hebräerland" und „Theben". Die Bilder zeigen ihre idealisierte Welt des Orients sowie die der Stadt Theben, über die sie als Prinz Jussuf herrscht: eine Stadt mit Kuppeldächern unter dem Sternenhimmel, eine Welt ohne materielle Not, eine Multikulti-Gesellschaft aus Hebräern, Persern, Juden und Abessiniern. Eingehüllt in leuchtende, farbige Gewänder reitet der Prinz von Theben auf einem Bison und Kamel, auf einem blauen Elefanten. Oder er geht mit seinem Strauß spazieren. Umgeben von Freunden, von schönen Frauen hält er Hof, feiert, musiziert und regiert mit seinen Getreuen Lasker-Schülers Phantasiereich.
Am 22. Januar 1945 erliegt Else Lasker-Schüler verarmt und von ihren Freunden vergessen in Jerusalem einem Herzleiden. Sie, die nie die hebräische Sprache gelernt hat, stirbt als Fremde unter Fremden im Exil. Am Fuße des Ölbergs befindet sich ihr Grab.
Die Ausstellung „Fremde unter Fremden – Else Lasker-Schüler – eine Jüdin in Deutschland" ist bis zum 30. August 2015 im Ernst Barlach Museum Ratzeburg, Barlachstraße 3, 23909 Ratzeburg zu besichtigen.
Die Öffnungszeiten sind Dienstag bis Sonntag von 11-17 Uhr .
www.ernst-barlach.de
Abbildungsnachweis: Alle Fotos Ernst Barlach Museum Ratzeburg.
Header: Else Lasker-Schüler um 1920
Galerie:
01. Der zielende Blitz übt sich im Pfeil und Bogen vor, Bleistift, Farbstift, Collage © Jüdischer Verlag GmbH Frankfurt am Main
02. Else Lasker-Schüler, fotografiert als Prinz Jussuf von Theben © Jüdischer Verlag GmbH Frankfurt am Main
03.-06. Aus der Serie "Prinz Jussuf von Theben". Fotos: Christel Busch
07. Postkarte an Franz Marc, 1913. Foto: Christel Busch
08. Das Grab von Else Lasker-Schüler auf dem Ölberg in Jerusalem. Foto: Martin Keller. Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0
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