Mitte des 19. Jahrhunderts bereiste die Wienerin Ida Pfeiffer die Welt und verfasste darüber Artikel und Bücher, die im deutsch- und englischsprachigen Raum ein breites Publikum begeisterten.
Ausgestattet mit leichtem Gepäck und wenig Geld scheute sie keine Strapazen und drang in die entlegensten Winkel vor. Sie sammelte Pflanzen, Tiere und ethnographische Gegenstände, die noch heute in Museen zu besichtigen sind. Zu ihrem 225. Geburtstag am 14. Oktober letzten Jahres hat der Promedia Verlag ihre Reiseberichte neu herausgebracht. Dazu hat die Kultur- und Sozialanthropologin Gabriele Habinger eine kenntnisreiche Biographie über Ida Pfeiffer geschrieben, in der sie die besondere Leistung dieser außergewöhnlichen Frau vor dem zeithistorischen Hintergrund würdigt.
Ida Pfeiffer hat ihre traditionelle Rolle als Mutter, Haus- und Ehefrau pflichtgemäß erfüllt, als sie im März 1842 zu ihrer ersten großen Reise aufbricht. Mit ihren 44 Jahren gilt sie damals als ältere Dame. Sie wolle eine Verwandte in Konstantinopel besuchen, gibt sie vor, wenn man sie fragt, was sie allein auf dem Donaudampfer vorhat. Doch ihr Ziel ist das Heilige Land und Jerusalem. Sie bereist Gebiete, die überwiegend dem osmanischen Reich angehören, aber keinesfalls als sicher gelten dürfen. Sie muss mit Überfällen und Krankheiten rechnen. Doch sie hat Glück, findet immer wieder Weggefährten, denen sie sich anschließen kann. Unerschrocken scheut sie keinen wilden Ritt, auch wenn es das erste Mal ist, dass sie ein Pferd oder Kamel besteigt.
Diese erste Reise dauert zehn Monate. Ida Pfeiffer notiert ihre Eindrücke genau, beschreibt detailliert die Sehenswürdigkeiten, das Straßenleben, die Menschen. Insgesamt vierzehn Hefte bringt sie von dieser Reise mit. Sie sind eigentlich nur zum privaten Gebrauch bestimmt, doch der findige Verleger Jakob Dirnböck, ein Bekannter der Familie, ahnt die Sensation: eine gutbürgerliche Frau allein auf abenteuerlicher Reise, das wird die Neugierde eines breiten Publikums wecken! Doch nicht nur Ida Pfeiffer muss er zunächst mühsam überzeugen, einer Veröffentlichung zuzustimmen. Es sind ihre Brüder, die Männer der Familie, die letztlich darüber entscheiden.
Hier wird ein Missverhältnis deutlich, das die gesamte Biographie von Ida Pfeiffer durchzieht. Die „Wiener Biedermeierdame“, wie Gabriele Habinger sie nennt, legt auf ihren Reisen Zielstrebigkeit, Wissbegierde, Mut, Entscheidungsfreude und Durchsetzungskraft an den Tag, alles Eigenschaften, die damals nur Männern zugeschrieben wurden. Kaum in ihr Zuhause in Wien zurückgekehrt, wird sie wieder in das enge Korsett traditioneller Rollenvorstellungen hineingezwängt. Das kann man fast wörtlich verstehen.
Sie reist nicht in Männerkleidung. Aber in einem praktischen Reisekostüm, wie auf einer Zeichnung im Buch zu sehen ist: Ida Pfeiffer steht da in flachen Halbschuhen, ihre Knöchel sind frei, die Beinkleider verdeckt ein halblanger weiter Rock. Sie trägt eine weite lockere Jacke, ein Balihut schützt ihren Kopf. Die linke Hand stemmt sie unternehmungslustig in die Hüfte, in der rechten hält sie ein Schmetterlingsnetz. Um den Oberkörper schlingt sich der Riemen einer Tragetasche, in der sie ihre Sammlungsobjekte aufbewahrt, die sie gefunden oder gefangen hat.
Insgesamt fünf lange weite Reisen unternimmt Ida Pfeiffer in den 16 Jahren von 1842 bis zu ihrem Tod 1858 in Wien. Nach dem Vorderen Orient fährt sie 1845 für sechs Monate nach Island und Skandinavien. Ihre erste Weltreise dauert dann zweieinhalb Jahre und führt sie nach Brasilien, China, Indien bis nach Persien und über Kleinasien zurück nach Wien. Auf einer zweiten Umrundung des Globus von 1851 bis 1855 durchquert sie die holländischen Kolonialwelt, durchstreift Borneo, Sumatra und Java. Auf ihrer letzten Reise lernt sie die Neue Welt kennen, von Peru und Ecuador bis zu den großen Städten Nordamerikas, und ergattert schließlich eine günstige Schiffspassage nach Madagaskar, das damals noch fast völlig unbekannt war.
Ida Pfeiffer im Reisekostüm, um 1856. Lithographie von Adolf Dauthage. Quelle: Österreichische Nationalbibliothek, CC BY-NC-ND 4.0
Was sie auf ihren Reisen sammelt, erforscht und beschreibt, weckt das Interesse renommierter Wissenschaftler wie Alexander von Humboldt und Carl Ritter. Sie pflegt beste Kontakte zum Naturhistorischen Museum in Wien und dem Britisch Museum in London, zu deren Sammlungen sie Wesentliches beiträgt. Ihr Ruf reicht bis nach Boston und Cambridge, wo sie respektvoll empfangen wird und sich mit führenden Wissenschaftlern austauscht.
Sie beobachtet nicht nur Land und Leute, sondern besucht Gefängnisse, Krankenhäuser, Fabriken, Bergwerke, Galerien, Museen, beschreibt die gesellschaftliche Ordnung und die sozialen Eigenheiten. Da ist es von Vorteil, dass sie als Frau auch die orientalischen Harems betreten darf.
So tief wie möglich dringt sie in das fremde Leben ein. Habinger merkt an, dass es Pfeiffer hier häufig an Respekt mangelt, wenn sie ungefragt und neugierig private Wohnstätten betritt. Sie nutzt die kolonialen Strukturen, die ihr als Europäerin einen gewissen Schutz bieten. Konsuln, Kaufleute und Kapitäne der Kolonialmächte empfangen und eskortieren sie, stellen ihr Empfehlungsschreiben aus. Zwar kritisiert Pfeiffer deutlich Repression und Sklavenhandel, begegnet selbst indigenen Völkern, die als Kannibalen verschrien sind, relativ unvoreingenommen und mit Sympathie. Doch die europäische Vormachtstellung stellt sie nicht in Frage.
Spannend zu lesen ist auch der Lebensabschnitt, der vor Ida Pfeiffers Reisejahren liegt. Die Tochter eines Fabrikanten genoß als Kind eine zwar strenge, aber unkonventionelle Erziehung und wuchs sehr frei auf. Ihr Vater ließ sie wie ihre Brüder Hosen tragen, sie tobte und spielte mit ihnen so wild wie ein Junge. Erst nach dem Tod des Vaters und dem Beginn der Pubertät begann die Mutter mit dem Drill zur Weiblichkeit. Denn damals gab es für eine Tochter aus gutem Hause nur die Aussicht auf eine Versorgungsehe und ein Leben als Hausfrau und Mutter. Dass Ida Pfeiffer dann später ihre zwei Söhne praktisch allein aufziehen und zeitweise sogar arbeiten musste, wurde schamhaft kaschiert, weil es in diesem Rollenmodell nicht vorgesehen war.
Das heißt, dass Ida Pfeiffer lernen musste, einen Teil ihrer Persönlichkeit zu verstecken, vor allem ihre Selbständigkeit, Zielstrebigkeit und Willensstärke. Und es erklärt vielleicht die Ruhelosigkeit, mit der sie dem konventionellen Wiener Gesellschaftsleben entfloh und sich immer wieder in strapaziöse Abenteuer in Dschungel und Wüste stürzte. Gabriele Habingers kompakte Biographie ist mit vielen Zitaten Ida Pfeiffers gespickt und macht sehr neugierig, die Reiseberichte dieser außergewöhnlichen Frau zu lesen.
Gabriele Habinger, Eine Wiener Biedermeierdame erobert die Welt.
Die Lebensgeschichte der Ida Pfeiffer (1797-1858).
Promedia 2022,
208 Seiten, Bilder, Karten
ISBN: 978-3-85371-508-6
- Weitere Informationen (Verlagsseite)
- Weitere Informationen (Stadt Wien, Biographie)
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